Biodiversität und Ökosystemfunktionen werden dank Millionenförderung der Deutsche Forschungsgemeinschaft detailliert untersucht
Zweieinhalb Jahre haben sich Professor Jörg Müller vom Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Universität Würzburg und seine Mitstreiter auf diesen Moment vorbereitet. Nun kam für Müller, der zugleich das Sachgebiet Naturschutz und Forschung im Nationalpark Bayerischer Wald leitet, die erlösende Nachricht: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat final grünes Licht für ein millionenschweres Vorhaben gegeben, in dem der älteste Nationalpark Deutschlands eine der Hauptrollen spielt. Im Fokus dabei steht eine große Feldstudie, bei der erforscht wird, wie wichtig die Lebensraumvielfalt in Wäldern für die Artenvielfalt ist.
Müller und sein Team aus knapp zwei Dutzend internationalen Experten wollen herausfinden, wie sich eine Erhöhung von räumlicher Heterogenität im Wald auswirkt. Sprich: Wie bedeutend ist es für die Natur, wenn es auf kleiner Fläche viele verschiedene Landschaftstypen in direkter Nachbarschaft gibt, etwa lichte, totholzreiche oder alte Waldareale. Besonders im Blick haben die Forscher, wie sich diese strukturelle Diversität auf die Vielfalt verschiedenster Artengruppen vom Boden bis in die Baumkrone niederschlägt. Dazu wurden in insgesamt 22 Waldbeständen mehrere Messpunkte eingerichtet. Die Flächen liegen in verschiedensten Klimazonen und Waldbesitzarten. An jedem Messpunkt werden eine Vielzahl von Messinstrumenten ausgebracht, von Boden-, Licht- und Flugfensterfallen für Insekten, über Sporensammler für Pilze und Horchboxen zum Nachweis von Vogelstimmen, bis hin zu Fotofallen zur Erkennung von Säugetieren. Der Großteil der Gerätschaften wurde im Bayerwald jüngst bereits installiert. „Kurz gesagt“, berichtet Müller, „fahren wir das volle Programm mit den neuesten automatisierten und hochstandardisierten Methoden zur Biodiversitätserfassung.“
Naturschutz-Mitarbeiter Jens Schlüter (links) und EU-Ranger Nico Daume Installieren auf einer der Forschungsflächen im Nationalpark Bayerischer Wald eine Flugfensterfalle. (Foto: Nationalpark Bayerischer Wald)
Dank der Förderzusage hat die Forschergruppe nun Planungssicherheit für mindestens die nächsten vier Jahre hat. „Das Projekt hebt die Nationalpark-Forschung auf ein neues Niveau und macht den Nationalpark zum Schwerpunktforschungsgebiet“, freut sich Müller. „Wir machen dabei etwas total Geniales, was sonst bisher niemand macht.“ Unter dem Titel „Verbesserung der strukturellen Vielfalt in Wäldern zur Verbesserung der Multi-Diversität und Multi-Funktionalität in Produktionswäldern“ werden nicht nur die Randzone des Nationalparks sowie Waldflächen des Bistums Passau und Privatwald im Bayerischen Wald sehr genau unter die Lupe genommen. Mit dabei sind auch der Nationalpark Hunsrück-Hochwald sowie Waldflächen im fränkischen Universitätsforstamt Sailershausen, im Saarland und im Stadtwald Lübeck.
Doch wie kam es zum Projekt? „Ausgangspunkt unserer Forschungen ist die immer stärker werdende Nutzung der Landschaften durch den Menschen“, erklärt Müller. „Nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Wald sind dadurch heute viele Flächen sehr homogen.“ Die Wälder Mitteleuropas seien bis auf wenige Ausnahmen meist mittelalt, mitteldicht und dadurch oft artenarm. Im „Einheitsbrei“, so Müller, fehle es schlicht an der Lebensraumvielfalt. Für viele Arten gebe es keinen Platz mehr. Zu den Ausnahmen gehört der Nationalpark Bayerischer Wald. Natürliche Störungen wie Windwürfe und Borkenkäferbefall verändern die Landschaft hier seit vielen Jahren. Inzwischen passiert dies auch andernorts in Deutschland. „Leider sind diese natürlich ablaufenden Prozesse nur selten geeignet, um belastbare Forschungsergebnisse zu erarbeiten, “, sagt Müller. „Schließlich geht die Natur nicht standardisiert überall gleich vor.“
Was die Wissenschaftler aus Deutschland, Japan, den USA, den Niederlanden, Kanada, Tschechien, Taiwan und der Schweiz im mit „BETA-FOR“ abgekürzten Projekt besonders reizt, ist die erstmalige experimentelle Erforschung der Beta-Diversität. Dabei handelt es sich um den Teil der Biodiversität, der erst dadurch zustande kommt, weil es verschiedene Arten von Lebensräumen beziehungsweise verschiedene Stadien der Waldentwicklung in direkter Nähe zueinander gibt. Kurz gesagt sagt dieser Wert also aus, für wie viele Arten plantagenartig angelegte Wälder nicht nutzbar sind, weil sie strukturreiche Landschaften brauchen, um überleben zu können. „Die Störungsereignisse in der Naturzone des Nationalparks haben hier Pate gestanden“, weiß Müller. Die neuen Erkenntnisse werden helfen, die Biodiversität in unseren Wäldern effizienter zu verbessern. Daneben untersuchen die Forscher aber auch Ökosystemfunktionen, wie den Abbau organischen Materials oder die Kohlenstoffspeicherung.
Ausgelegt ist das Projekt auf acht Jahre, wobei die Finanzierung für die erste Hälfte des Zeitraums nun gesichert ist. Insgesamt wird mit Kosten von acht Millionen Euro geplant. Der Großteil der Feldarbeit findet bereits 2022 und 2023 statt. Ein Teil der Flächen, unter ihnen zwei Areale im Nationalpark, sollen als Daueruntersuchungsflächen langfristig erhalten werden. „So können wir auch relevante Daten in Zusammenhang mit dem Klimawandel und Extremereignissen sammeln“, erklärt Müller.
Pressemeldung Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald