Anlässlich des Todes vom Hartbichler-Sepp vom Samerberg erinnern die Samerberger Nachrichten an dessen Kriegserinnerungen. Das Gespräch fand vor 15 Jahren in der guten Stube seines Hofs in Hartbichl statt.
Im kommenden Jahr werden es 75 Jahre, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Einer der Kriegsteilnehmer und Kriegsgefangenen war Sepp Bauer vom Hartbichler-Hof am Samerberg. Vor wenigen Tagen verstarb der „Hartbichler-Sepp“ im Alter von fast 95 Jahren. Aus diesem Grund erinnern wir an ein Gespräch auf dem Hartbichler-Anwesen hoch oben in der Hochtalregion Samerberg im Landkreis Rosenheim, bei dem Sepp Bauer erzählte. Austragsbauer Sepp Bauer war von 1942 als junger Mensch im Krieg. Erst nach sieben Jahren Kriegszeit und Gefangenschaft kam er zurück in seine Heimat. Dazwischen lagen harte, karge und wahrhaft lebensgefährliche Zeiten. Besonders erinnert sich Sepp Bauer an das Osterfest vor 74 Jahren. Es hat ihm –wie er sagte- das Leben gerettet, denn ein Gottesdienst gab ihm wieder Lebensmut und Kraft zum Weitermachen.
In der guten Stube des Hartbichler-Hofes treffen wir Sepp Bauer zu einem Gespräch. Die Stube ist nicht irgend ein Wohnzimmer. Den ganzen Zweiten Weltkrieg über war die bis heute so erhaltene Stube Treffpunkt für gesellige Stunden. Der Grund war, dass damals der Saal vom Gasthaus Maurer im nahen Grainbach geschlossen war und dass auf dem Hartbichler-Anwesen von den 13 Kindern sechs Dirndl waren. Soldaten auf Heimaturlaub trafen sich nur allzu gerne beim Hartbichler. Das Sich-Gerne-Treffen auf dem Hof hat sich nach dem Krieg noch fortgesetzt. Die Geschwister Hartbichler waren volksmusikalisch und gesanglich gerne aktiv und bis in die heutigen Tagen gab es in Hartbichl eine außergewöhnliche Gastfreundschaft auf dem Hof von Sepp Bauer und gleich daneben auch bei seinem vor einigen Jahren ebenfalls verstorbenen Bruder Konrad, einem Mitglied der bekannten Inntaler Sänger.
1942 bis 1949 – sieben magere Jahre – Sepp Bauer erinnert sich
Im Herrgottswinkel sitzend erzählt Sepp Bauer von seinen Erlebnissen und von den Ereignissen zum Kriegsende vor fast 75 Jahren: „Im Kriegsjahr 1942 kam für mich die Einberufung zu den Gebirgsjägern nach Bad Reichenhall. Nach der Ausbildung ging es im Frühling 1943 nach Mitrawiza in Serbien. Dort rückte die erste Gebirgsdivision an, die gerade aus dem Kaukasus kam. Wir jungen Rekruten mit gerade mal 18 Jahren wurden dieser Division zugeteilt. Nach vielen harten Märschen durch die Südostländer erreichten wir das Mittelmeer. Weit im Süden bekam ich Malaria und kam von meiner Truppe weg. Im Oktober 1944 erfuhr ich, dass die erste Gebirgsdivision, die in Belgrad eingesetzt wurde, von russischen Truppen völlig eingekesselt wurde und grausam in den Tod ging. Auch mein Bruder Hans war dabei und er wird seitdem vermisst. Im Nachhinein konnte ich froh sein, dass ich wegen meiner Krankheit nicht mehr bei der Truppe sein konnte. Ende 1944 kam ich zu einer anderen Truppe, die den Rückzug aus dem Süden antrat. Wir marschierten über viele Pässe zurück bis nach Bosnien. Dann gelangten wir durch die freie Stadt Sarajewo (hier durften wir aber wegen des Status der Stadt nicht bleiben) bis zur kleinen Stadt Cenitza. Dort machten wir Station. In der Zwischenzeit war tiefer Winter eingebrochen und wir suchten in einigen abgestellten Bahnwaggons Übernachtungsquartier. So verbrachten wir Weihnachten 1944. Die Stimmung an den Feiertagen war nicht sehr fröhlich, es waren viele Wachdienste und eine strenge Sicherung nötig. Am meisten sorgten wir uns, wie es weitergehen sollte. Die von uns geplante Trasse in Richtung Belgrad mussten wir wegen Feindesnähe meiden. Wir entschieden uns für den einzigen möglichen Fluchtweg durch Slowenien. Nach langen Marschierstrecken kamen wir eines Tages zu einem großen Sammelplatz deutscher Soldaten.
Feldmesse zu Ostern vor 74 Jahren
Am Sammelplatz hielt Johann Georg Schmutz eine Feldmesse. Der bayerische Kriegs- und Divisions-Geistliche bestärkte uns in seiner Predigt, durch zu halten und nicht den Mut zu verlieren. Wir waren weit über 1.000 Soldaten, denen er eine baldige Rückkehr in die Heimat wünschte. Da Ostern bevorstand, erteilte er uns den Ostersegen. Mit dem Lied „Großer Gott, wir loben Dich“ klang die Feldmesse aus. Dabei gab es Feldzettel mit dem gekreuzigten Jesus. Ich hatte das Glück, einen Feldzettel zu erhalten, insgesamt reichten sie wegen der großen Soldatenanzahl allerdings bei weitem nicht aus. Gemeinsam mit Bildern, die ich von zu Hause mit der Feldpost erhielt, trug ich den Feldzettel immer bei mir. Mit vielen Hindernissen konnte ich ihn nach all den Jahren nach Hause bringen. Mehrfach musste ich ihn in der Erde vergraben, weil in der Gefangenschaft wäre er als Sabotage angesehen worden. Die Ostermesse war für mich und sicher auch für viele meiner Kameraden sehr wichtig, weil wir dadurch wieder Hoffnung und Kraft schöpfen konnten. Noch dazu, weil wir im Rahmen unseres Rückzuges keine Post mehr von zu Hause erhielten.
Kriegsende am 8. Mai 1945 ist Beginn einer Leidenszeit
Es war Frühling im Jahr 1945 als wir nach vielen anstrengenden und schlaflosen Nachtmärschen in der kleinen Stadt Celle in der Steiermark eintrafen. Etwa 50 Kilometer vor der österreichischen Grenze bemerkten wir, dass sehr viele Fahrzeuge und Landser auf der Straße standen. Da erhielten wir die Mitteilung, dass der Krieg aus sei. Der erste Gedanke war: „Jetzt kommen wir nach Hause“. Doch die Grenze war bereits von den Alliierten gesperrt und wir bekamen die Anweisung, alle Waffen abzugeben. Entsprechend der Vereinbarung der Siegermächte mussten alle Soldaten dort bleiben, wo sie gerade gefangen worden sind. Serbien war zwar keine Siegermacht, doch jetzt waren sie Machthaber über uns und sie konnten sich an uns rächen über die vorangegangenen Greueltaten der SS. Die Engländer riegelten die Grenzen dicht ab, Versuche einiger Kameraden, dieses Grenznetz zu durchbrechen, endeten in den allermeisten Fällen tödlich. Serbische Kriegsgefangene zu sein war ein schlimmer Gedanke, es war der schrecklichste Tag im Leben als wir dies erfuhren. In großen, von hässlichen serbischen Posten bewachten Kolonnen ging es im Marsch zurück nach Serbien. Wir erreichten mehrere Durchgangslager unter freiem Himmel. Nach Monaten erst kamen wir in den serbischen Wäldern an. Wir wurden in Hundertschaften ein- und aufgeteilt. Unsere Aufgabe war der Straßenbau in Wäldern, in denen noch nie vorher eine Axt nach Holz geschlagen hatte. Außerdem mussten wir uns selbst Lager aus diesem Holz bauen und uns für den Winter versorgen. In der Nacht lagen wir dicht aneinander, um nicht zu (er)frieren und es gab sehr viele Ungeziefer.
Typhus im Lager und Heimkehr
Im Winter 1946 brach im Lager Typhus aus. Es war keine ärztliche Hilfe zur Stelle. Noch dazu war die Tagesration an Essen eine Polendersuppe (Maissuppe), ein wenig Maisbrot und einmal am Tag warmer Tee. Auch ich bekam Typhus, konnte nur schwach überleben. Oft musste ich mit ansehen, wie wieder einer meiner Kameraden durch Hunger und Krankheit starb. Ganze vier harte Winter trafen mich im serbischen Waldlager. Im Lager überlebte ich, weil ich zum Pferdeburschen bestellt wurde und dadurch immer wieder zusätzlich an Nahrung kam. 1949 konnte ich erst heimkehren“.
Wie Sepp Bauer weiter erzählt, hatten er und seine Kameraden schon nicht mehr an eine Heimkehr geglaubt. Dank Konrad Adenauer wurden jedoch Lager um Lager aufgelöst und es ging auch für ihn einmal nach Freilassing. Hier reichte das Evangelische Hilfswerk heissen Tee und einen Lebkuchen. Alsdann ging es vorbei an der Chiemgauer Heimat, mit dem Zug nach Donau-Ulm. Im Schwäbischen sandte man die Bayern gleich ins Bayerische nach Neu-Ulm weiter. Dort waren sie fast eine Woche in Quarantäne, ehe sie mit 90 Mark in der Tasche und mit dem Zug die Heimreise antreten konnten. Die Bahn ging damals noch bis Achenmühle. Von dort machte sich Sepp Bauer auf den Fußweg nach Hause. Sieben Jahre war er nicht mehr daheim, niemand wusste von seinem Kommen. Ein Stück des Weges auf den Samerberg konnte er mit dem „Käser“ Peter mitfahren, der gerade Milch transportierte. In Hartbichl waren inzwischen die Geschwister größer, zwei ältere Brüder waren gefallen, so dass die Schwestern mit dem Vater den Hof führen mussten. Eine Schwester war auch schon verheiratet. Der gesundheitliche Zustand von Sepp Bauer ließ zu wünschen übrig, der Körper war voller Wasser. Dr. Lechleitner aus Grainbach ermunterte die Heimkehrer, seinen Empfehlungen zu folgen, damit sie wieder gesunden. Nach drei Wochen bekam Sepp Bauer eine Gehirnhautentzündung. Wieder konnte die Lebensgefahr abgewendet werden. Nach vier bis fünf Jahren war es soweit: Sepp Bauer konnte wieder richtig Bauer auf dem Hartbichlerhof sein. Mit 60 Prozent Versehrtheit kam er vom Krieg heim, durch Nachuntersuchungen wurde dies auf 25 Prozent gemildert. Letztlich gab es bis heute allerdings keine einzige Mark finanzielle Erstattung für sieben Jahre Krieg und Gefangenschaft oder gar eine Kriegsrente. Doch Sepp Bauer klagt nicht an, vielmehr ist und bleibt er dankbar. Er ist sich sicher, dass der Feldzettel zu Ostern vor 60 Jahren ein lebensrettender Schutzengel war und er ist dankbar, im hohen Alter in seiner Samerberger Heimat in Frieden und Gesundheit zufrieden sein zu können. Dankbarkeit empfindet er auch, wenn er die Kontakte zu ehemaligen Mitgefangenen aufrecht erhalten kann. Auch wenn diese Kontakte immer weniger werden, so gilt für Sepp Bauer die bleibende Erkenntnis, dass wahre Kameradschaft in der Gefangenschaft zu unbeschreiblicher Größe gewachsen ist. „Daran denke ich heute noch oft und dankbar“- so Sepp Bauer vom Hartbichlerhof am Samerberg in seinen Erinnerungen.
Anton Hötzelsperger
Fotos: Hötzelsperger
- Feldzettel von Ostern 1945 – Vorder- und Rückseite
- Sepp Bauer mit gut 18 Jahren als junger Soldat
- Sepp Bauer in der guten Stube seines Hartbichler-Anwesens