Überbordende, schlecht gemachte Bürokratie, Preisdruck, Inflation, Freihandelsabkommen, Klimakrise – es gibt vieles, was Landwirtinnen und Landwirte aktuell verunsichert und in Existenznöte bringt. Nicht ohne Grund werden jedes Jahr viele Hoftore für immer geschlossen,auch in Bayern, wie der kürzlich veröffentlichte Agrarbericht 2024 zeigt. Welches ist der richtige Weg, um Betrieben erfolgversprechende Rahmenbedingungen zu geben und eine gesicherte Existenz zu ermöglichen? Ist es eine weitere Produktionssteigerung und damit ein Zurück zum „Wachse oder Weiche“ vergangener Jahre? Oder braucht es einen anderen Weg – einen Weg, der die Grundlagen unserer Nahrungsmittelproduktion dauerhaft sichert und gleichzeitig Landwirtinnen und Landwirten eine verlässliche Einkommensquelle bietet?
Ernährungssicherung mit Ökolandbau
Wir wollen die Menschen in unserem Land mit qualitativ hochwertigen, möglichst heimischen Produkten versorgen. Dazu brauchen wir unter anderem fruchtbare Böden, ausreichend Wasser sowie eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt in einer abwechslungsreichen Kulturlandschaft. Ohne diese Produktionsgrundlagen setzen wir unsere Ernährungssicherung und die unserer Nachkommen aufs Spiel. Wir brauchen deshalb eine multifunktionale Landwirtschaft, die sowohl Nahrungsmittel als auch Gemeinwohlleistungen produziert. Doch Leistungen, von denen alle profitieren wie sauberes Wasser und Artenvielfalt, werden aktuell nicht honoriert. Das EU-Recht erlaubt lediglich einen Ausgleich des entgangenen Gewinns, sollte z.B. durch einen Blühstreifen der Ertrag sinken. Viel attraktiver wäre es, mit Gemeinwohlleistungen ein Einkommen zu erzielen. Dies würde sich positiv auf die Menge der damit bereitgestellten öffentlicher Güter und auf das Einkommen der Landwirtinnen und Landwirte auswirken. Es wäre auch fairer. Denn aktuell besteht auf dem Lebensmittelmarkt eine
Trittbrettfahrerproblematik: Einige wenige sind bereit für nachhaltig produzierte regionale Lebensmittel mehr Geld auszugeben. Davon profitiert die gesamte Gesellschaft, auch die, die zu günstigen Produkten mit hohen Externalitäten greifen. Zu den öffentlichen Gütern, die am
dringendsten verbessert werden müssen, zählen langfristige Bodenfruchtbarkeit, Artenvielfalt sowie Wasser- und Klimaschutz.
Dass landwirtschaftliche Produktion und öffentliche Leistungen Hand in Hand gehen können, beweist seit vielen Jahren der ökologische Landbau.
EU, Bund und Länder haben sich deshalb zum Ziel gesetzt, den Ökolandbau aufgrund seiner positiven Leistungen für Boden, Wasser,
Klima und Artenvielfalt zu fördern. Um den Ökolandbau in Zukunft besser und effektiver voranzubringen, fordern wir:
Neustart für die GAP!
Die LVÖ fordert:
1) GAP stark vereinfachen durch einen Systemansatz
2) Gemeinwohlleistungen als Einkommensquelle etablieren
3) Doppelbelastungen der Bio-Betriebe etwa bei der Düngebedarfsermittlung auflösen und den Ökolandbau als „Green by concept“ anerkennen
Die nächste Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) bietet die historische Chance, die gewachsene Förderlogik nach dem Prinzip „Entschädigung des entgangenen Gewinns“ zu ersetzen durch eine echte Honorierung der öffentlichen Leistungen. Alle wünschen sich dafür ein möglichst einfaches, verständliches und effizientes Förderprinzip. Dies lässt sich mit Stufen der Bewirtschaftungsintensität erreichen. Als Betrieb entscheidet man sich für eine Stufe und damit für ein gesamtbetriebliches Bewirtschaftungspaket aus Pflanzenschutz, Düngung und Fruchtfolgeanforderungen und bleibt diesem über mehrere Jahre treu. Die Bewirtschaftung nach EU-Öko-Verordnung wäre darin die höchste Systemstufe, die bereits gesetzlich geregelt ist. Ein Aufstieg in eine anspruchsvollere Stufe ist möglich, ein Abstieg nicht. Je höher die Gemeinwohlleistung und umso höher die Honorierung pro Hektar. So hat der Betrieb Planbarkeit und muss sich nur einmal mit der Fördersystematik beschäftigen, was auch für die Verwaltung eine Entlastung ist. Regionale Top-up-Programme sind möglich.
1) Durchgängige Kennzeichnung aller NGT in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette
2) Wissenschaftsbasierte Risikoprüfung (wir empfehlen als Grundlage den Vorschlag der französischen Regulierungsbehörde ANSES)
3) Wirksame Ko-Existenzregelungen für ökologisch wirtschaftende Betriebe und Unternehmen
4) Deutliche Stärkung der öffentlich finanzierten Bio-Züchtungsforschung
Der Vorschlag der letzten EU-Kommission für eine umfassende Deregulierung neuer Gentechniken (NGT) verunsicherte Verbraucherinnen und Verbraucher und einen Großteil der Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland und Europa, die seit Jahrzehnten konsequent
und erfolgreich ohne Gentechnik wirtschaftet. Es ist gut und richtig, dass EU-Kommission und Europaparlament den Einsatz neuer
Gentechniken in der ökologischen Produktion ausschließen wollen. Jetzt muss sich auch der Rat dafür engagieren. Gleiches gilt für die durchgängige Kennzeichnung aller NGT durch die gesamte Wertschöpfungskette. Nur mit Kennzeichnung ist echte Wahlfreiheit möglich.
Gleichzeitig müssen NGT – wie alle anderen Produkte und Technologien in der EU – auch künftig nach wissenschaftlich seriösen Kriterien reguliert werden. Eine willkürliche „a priori“- Freistellung von jeder Risikoprüfung ohne wissenschaftliche Grundlage wird den berechtigten
Ansprüchen der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Land- und Lebensmittelwirtschaft und der Umwelt nicht gerecht. Sie wäre auch keine rechtssichere Grundlage für Akteure, die mit NGT arbeiten wollen. Aktuell sind Patente auf Pflanzen, die mit NGT gezüchtet wurden, möglich. Eine Deregulierung der NGT würde zu mehr patentiertem Saatgut führen und die Freiheit der Landwirte beim Nachbau weiter einschränken. Um dies zu vermeiden, muss das Patentrecht dringend reformiert werden.
Die Öko-Züchtung hingegen ist darauf ausgerichtet, sichere Erträge und beste Lebensmittelqualität ohne chemisch-synthetische Pestizide und mit höchster Nährstoffeffizienz zu erreichen. Ökologische Züchtungsakteure entwickeln innovative Sorten von Anfang an in Bio- Qualität – nachbaufähig, auf die Bedingungen in Deutschland zugeschnitten und mit vollem Fokus auf den Ökolandbau. Doch die Bio-Züchtung finanziert sich aktuell vor allem über private Spenden von Höfen und Lebensmittel-Unternehmen. Damit die Bio-Züchtung ihr ganzes Lösungspotenzial für die Herausforderungen der Zukunft nutzen kann, braucht es dringend mehr Förderung durch die öffentliche Hand.
Absatzwege in der Außerhausverpflegung stärken!
Die LVÖ fordert:
1) Bio-Quote von 50% in öffentlichen Kantinen
2) Intensive Bewerbung der neuen Auszeichnungsmöglichkeiten für Küchen (Bio-AHVV)
3) Einführung eines Zuschusses für die Bio-Umstellung von gastronomischen Einrichtungen
4) Bereitstellung ausreichender Mittel im Bundeshaushalt für Qualifizierungs- und Unterstützungsprogramme in Küchen
Gutes Essen ist eine wichtige Grundlage für Gesundheit und Lebensfreude. Die dänische Hauptstadt Kopenhagen hat das früh erkannt und in den letzten Jahren eine weltweit vorbildliche Reform der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung umgesetzt. Statt zum Teil ungesunder und meist aus fernen Ländern importierter Dosen- oder Tiefkühlkost gibt es in Kitas, Schulen, Kliniken und Senioreneinrichtungen eine regional-saisonale Frischküche – und das ohne wesentliche Änderungen im Budget der Küchen und ohne Preiserhöhungen. Tischgäste, Beschäftigte und Verantwortliche der Kommunen sind von den Ergebnissen des Programms gleichermaßen begeistert, auch regionale Wirtschaft und Umwelt profitieren. In Deutschland sind ähnliche Erfolge möglich, das zeigen Metropolregionen wie München, Berlin, Nürnberg oder Bremen und Flächenländer wie Brandenburg oder Sachsen. Damit gutes Essen in öffentlichen Einrichtungen selbstverständlich werden kann, muss mehr in die Umstellung der Küchen investiert werden. Kopenhagen hat sieben Jahre lang jährlich nur einen Euro pro Einwohner/in investiert und damit Tausende von Beschäftigten in den öffentlichen Einrichtungen und regionale Bauernhöfe, Verarbeitungs- und Handelsunternehmen unterstützt.
In Deutschland fehlen bisher entsprechende Budgets, obwohl die gesundheitlichen Folgekosten einer nicht-nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung deutlich teurer sind als die Investition in die Verbesserung des Essens – und dabei sind die positiven Effekte einer besserenGemeinschaftsverpflegung auf Lern- und Arbeitsleistung noch gar nicht berücksichtigt!
Bericht und Foto: LVÖ