Kultur

Nußdorf: „Rufer am Inn” – Geschichte in Stein gemeißelt

Wer mit dem Radl oder zu Fuß über die Innbrücke nach Nußdorf geht, wird sie wohl eher registrieren als die eiligen Autofahrer: Die Statue am Ufer des Inns. Der erste Gedanke, den man dabei bekommen kann: Wo schaut der Gute denn hin? Hat er etwa in den Bergen Gämsen entdeckt? Ein Blick auf die Infotafeln im Plättenstadl etwas flussaufwärts in Windshausen sorgt für Aufklärung – der steinerne Mann ist der „Rufer am Inn“. Damit erinnert die Skulptur am Ufer des Flusses an frühere Zeiten, als es noch keine bequeme Brücke über den Inn gab.

Wer damals von Flintsbach nach Nußdorf oder zurück wollte, musste das viele Jahre lang mit der Fähre machen. Und er musste sich auch bemerkbar machen. „Fährmann, hol über!” war der Ruf, mit dem Reisende auf sich aufmerksam machten, damit sie über das Wasser auf die andere Seite kamen. Ganz in der Nähe des Rufers am Inn war einst der Fähranlieger. Seit wann der Fährverkehr auf dem Gebirgsfluss betrieben wurde, ist nicht gesichert. Was man heute weiß: die Fähre wurde im Jahr 1652 erstmals urkundlich erwähnt. Doch Experten gehen davon aus, dass der Fährbetrieb schon früher stattfand. Über den Inn setzten allerdings nicht nur Einheimische und Reisende über. Neben einer Personenfähre konnte auch wahlweise eine Transportfähre betrieben werden. Mit ihr konnten Wagen, Tiere, Kutschen und später auch kleine Kraftfahrzeuge übergesetzt werden. Der Fährmann wohnte in einem Haus neben der Anlegestelle. Wurde er in den Anfängen des Fährbetriebs noch mit dem erwähnten Ruf geholt, so konnten die Passagiere bald mit einer großen Glocke auf sich aufmerksam machen.

Die Reise über das Wasser war nicht immer unproblematisch. Heute ist der Inn zwar ein gebändigter Fluss, der sich, durch viele Staufstufen gebremst, bei Normalwasser gemütlich durch sein Bett fortbewegt. Doch früher war das anders. Damals war das Gewässer ein reißender und auch gefährlicher Alpenfluss mit einer starken Strömung. Diese Eigenschaften machten sich die Fährleute zunutze: Die Fähre war an einem großen, dicken Seil befestigt, das über den Inn gespannt war. Die Strömung trieb sie über das Wasser.

Wie das damals genau war und wie sich die Schifffahrt auf dem Inn entwickelt hat, zeigen heute die überdachten Infotafeln im Plättenstadl Windshausen. Geschichtsinteressierte sehen darauf, wie der Inn damals ausgesehen hat und wie beschwerlich und gefährlich der Alltag der Schiffleute auf dem Inn früher war. Neben Landkarten aus dieser Zeit gibt es Zeichnungen und Fotos von früheren Schifflleuten, die ihr Leben und ihre Arbeit dokumentieren. Die meisten von ihnen waren Mitglieder des im Jahr 1635 gegründeten Schiffleut-Verein, der einst als Versicherung gedacht war, um die Hinterbliebenen von verunfallten oder tödlich verletzten Schiffleuten zu versorgen. Der Verein, den es heute noch gibt, ist übrigens der älteste Verein Nußdorfs.

Obwohl in Nußdorf der Fährbetrieb seit dem 1. Oktober 1972 eingestellt ist, gibt es ein paar Kilometer weiter südlich dennoch die Möglichkeit, die alte Zeit nachzuerleben: Die Gemeinde Kiefersfelden bietet von 1. Mai bis 16. Oktober Fahrten mit der Innfähre an. Zwar ist diese wegen der heute zu geringen Strömung zusätzlich mit einem Elektromotor ausgestattet, doch Nostalgie kommt dennoch auf, wenn sich das Gefährt in Bewegung setzt. Was man dort allerdings nicht machen muss: Den Ruf „Fährmann, hol über!“ loswerden. Das macht schon das steinerne Denkmal an der Innbrücke in Nußdorf.

Text: af – Fotos: re

Beitrag entstand in Kooperation mit dem Wendelstein Anzeiger – www.wendelstein-anzeiger.de

 

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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