Kirche

Kardinal Marx zur Europäischen Union

Veröffentlicht von Toni Hötzelsperger

Marx warnt: Europäische Union kann „wieder auseinanderfallen“  –  Kardinal Marx erinnert an vor 90 Jahren im Konzentrationslager Dachau ermordeten Fritz Gerlich und fordert dazu auf, in dessen Sinne „hellwach“ zu sein für Bedrohung durch völkischen Nationalismus

 Kardinal Reinhard Marx hat die Europäische Union als „großes Friedensprojekt“ gewürdigt und zugleich gewarnt, dass diese Errungenschaft von einem völkischen Nationalismus bedroht sei. Der Erzbischof von München und Freising bekannte bei einem Gedenkgottesdienst für den vor 90 Jahren im Konzentrationslager Dachau ermordeten Publizisten Fritz Michael Gerlich (1883-1934) am Sonntagabend, 30. Juni, in der Basilika St. Bonifaz in München, dass er selbst „begeisterter Europäer“ sei. Als sein Vater ihn während des Studiums in Paris besucht habe, sei das für ihn „eine Freude“ gewesen, „was Europa nach dem Krieg in Gang gebracht hat“. Er fügte hinzu, es sei nicht sicher, „ob das gelingt, ob das nicht doch wieder auseinanderfällt“, wenn „völkischer Nationalismus“ etwa von Parteien wie der AfD „propagiert wird“. Marx betonte, „noch“ sei das nicht die Mehrheitsmeinung des Volkes. Als aktuelle Gefahr benannte er, dass andere Parteien im Werben um Stimmen „versuchen, etwas zu kopieren“. Es gelte, hellwach zu sein, wie Gerlich es gewesen sei. „Fritz Gerlich würde heute auch hellwach Artikel schreiben, aber deutlich! Und das müssen wir jetzt tun“, rief Marx auf. Er erinnerte an das jeweils einstimmige „klare Urteil“ der Freisinger und der Deutsche Bischofskonferenz: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar. Punkt.“

Bereits sehr früh, noch vor der Machtergreifung Hitlers, „gab es genug Menschen, Fritz Gerlich gehörte dazu, die glasklar deutlich gemacht haben: Hitler heißt Krieg, Unterdrückung und Terror“. Gerlich, für den derzeit ein Seligsprechungsverfahren läuft, sei zunächst „ein Protestant, Calvinist, auch ein ziemlich heftiger Nationalist“ gewesen. Die Begegnung mit Therese Neumann, als katholische Mystikerin unter dem Namen Resl von Konnersreuth bekannt, und dem Kreis um sie, habe dazu geführt, „dass seine Bekehrung“ nicht etwa „weg von den Problemen der Welt“ geführt habe, „sondern ganz im Gegenteil“. Marx erklärte: „Die christliche Mystik öffnet uns die Augen für die Not und die Herausforderung der Welt.“ Für Gerlich sei klar gewesen, „dass mit einem christlichen Menschenbild das, was das NS-Regime anstellte, überhaupt nicht vereinbar ist“. Nicht umsonst habe sich Hitler jede Ausgabe der Zeitschrift „Der Gerade Weg“, die Gerlich verantwortete und die sich konsequent gegen Hitler und den Nationalsozialismus wandte, vorlegen lassen. Ab März 1933 war Gerlich ohne Prozess inhaftiert, wurde immer wieder schwer gefoltert, in der Nacht auf den 1. Juli 1934 nach Dachau überführt und dort erschossen.

Marx erinnerte daran, dass vor wenigen Wochen „75 Jahre Grundgesetz“ gefeiert wurden. Dessen erster Artikel – „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ – sei ihm immer vorgekommen „wie ein geistlicher Text“. Das Grundgesetz sei „auch eine Reaktion auf den totalen moralischen Zusammenbruch Deutschlands“. Bis heute frage er sich: „Wie kann ein solches Land innerhalb von wenigen Monaten einen solchen abschüssigen Weg gehen in brutalste Verbrechen? Dass das ganze Justizsystem, intellektuelle, gelehrte Leute, nicht aufgestanden ist, sondern die Morde abgesegnet hat – unglaublich!“ Marx hob die Bedeutung für das Heute hervor: „Wir müssen den Anfängen wehren. Das fängt im Denken an, im Reden.“ Er glaube nicht, dass sich Geschichte einfach wiederhole, „aber es gibt immer wieder Tendenzen, falsche Wege zu gehen, Menschen in verschiedene Klassen einzuteilen“, warnte Marx, „immer wieder droht die Versuchung, Herrschaft auszuüben über einen anderen und damit das Recht zu ersetzen durch die Macht“. (glx)

Bericht: Erzbischöfliches Ordinariat – Foto: Archiv Erzbistum München-Freising – Gemälde (Maler unbekannt – Fotograf: Christian Schranner)

 

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