Kultur

Buchtipp: Martin Becker, Die Arbeiter

Veröffentlicht von Günther Freund

Die Geschichte einer kleinstädtischen Arbeiterfamilie aus dem Sauerland, wie es sie heute nicht mehr gibt.

Im Sauerland der 1980er Jahre ist Martin, der Ich-Erzähler, das Nesthäkchen einer einfachen Familie mit vier Kindern. Das ganze Leben dreht sich nur um die Arbeit. Der wortkarge Vater, ein Schmiedearbeiter im Bergbau, ist bestimmend; die Mutter, eine Schneiderin, vereinnahmt ihren Jüngsten. Für Gefühle oder Gespräche ist wenig Platz, soziale Kontakte gibt es kaum. Irgendwie schaffen sie es immer, gerade so über die Runden zu kommen. Manchmal fahren Martins Eltern im gebrauchten Auto mit den Kindern in eine Ferienwohnung an der Nordsee. Trotz aller Erschwernisse, Schicksalsschläge und Mühsal empfinden sie ihr Leben als schön. Adoptivkind Lisbeth ist behindert, sitzt im Rollstuhl und wird bedingungslos geliebt. Schwester Uta, die Rebellin, verlässt die Familie früh und bricht den Kontakt fast vollständig ab, sie bleibt unverheiratet, landet in Oostende, wo es nach dem Tod von Schwester Lisbeth ein unverhofftes Wiedersehen mit Martin gibt, der jetzt verheiratet ist, einen Sohn hat und einen ganz guten Job. Kristof, der Vernünftige, bringt es zu einem großzügigen Haus mit kleinem Pool in der Nähe der Eltern und kümmert sich um sie, als sie krank werden und viel zu früh sterben. Für ihr Leben voller Maloche, Alkohol, Nikotin und ungesunder Ernährung zahlen sie frühzeitig ihren Preis.

Martin Becker liefert in seinem Roman ein vielschichtiges Bild der Lebenswelt von Arbeitern in einer industriellen Gesellschaft. Der Autor erzählt in flüssigem Schreibstil, der ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt, und glänzt mit klugen, mitunter auch recht düsteren Alltagsbeobachtungen. Ohne Romantik und Verklärung beleuchtet er schonungslos die alltäglichen Herausforderungen und existenziellen Fragen der Arbeiterklasse. Die Charaktere wirken real und ihre Verhaltensweisen werden detailliert und authentisch dargestellt. Der Roman erhellt überzeugend zeitgeschichtliche Zustände und ist eine lohnende Lektüre für Leserinnen und Leser jeder Generation.

Buchprofile-Rezension von Günther Freund
Roman, LUCHTERHAND LITERATURVERLAG, 2024, 304 S., 22,00 €ISBN/EAN: 9783630877402


Redaktion

Günther Freund

1944 in Bad Reichenhall geboren, Abitur in Bad Reichenhall, nach dem Studium der Geodäsie in München 3 Jahre Referendarzeit in der Vermessungs- und Flurbereinigungsverwaltung mit Staatsexamen, 12 Jahre Amtsleiterstellverteter am Vermessungsamt Freyung, 3 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Zwiesel und 23 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Freyung (nach Verwaltungsreform mit Vermessungsamt Zwiesel als Aussenstelle). Seit 2009 im Ruhestand, seitdem in Prien am Chiemsee wohnhaft.

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