Kultur

Buchtipp: Manuel Vilas, „Die Reise nach Ordesa“

Veröffentlicht von Günther Freund

Autobiographischer Familienroman mit vielfältigen Perspektiven des Lebens in Spanien in den letzten fünf Jahrzehnten.

Manuel Vilas erzählt vom Aufwachsen in einer ärmlichen, aber zufriedenen Familie. Er erzählt von seiner chaotischen Mutter, die sich nicht für Politik interessiert, sondern für Schlagersänger und Bingospielen. Er erzählt von Ferien in Ordesa, dem Sehnsuchtsort in den Pyrenäen, wo er und seine Eltern früher ihre Ferien verbrachten. Vor allem aber erzählt er von seinem Vater, zu dem seine Beziehung oft nicht einfach war. Von dem Handlungsreisenden, der seinen Seat 600 mehr als seine Frau und seine Kinder liebt. Von dem geheimnisvollen, lebensfrohen Mann, der nie genug Geld hat, aber wie ein Bourgeois auftritt und vom sozialen Aufstieg träumt, irgendwann keine Lust mehr hat. Stoffe zu verkaufen, seinen Job an den Nagel hängt und lieber im Fernsehen den Köchen zuschaut. Manuel Vilas selbst wird 1962 geboren. Im Alter von 8 Jahren vergeht sich ein Priester an ihm. Er studiert in Zaragoza, wird nach dem Studium Lehrer und ärgert sich 20 Jahre lang mit widerspenstigen Schülern ab. Er heiratet und bekommt zwei Söhne, die er Brahms und Vivaldi nennt. Die Ehe scheitert, er trinkt und nimmt Drogen. Dann tut er es seinem Vater gleich, hört auf in der Schule, lebt von der Hand in den Mund. Er verfasst Lyrik und Prosa und schreibt für mehrere literarische Zeitungen.

Der von der Literaturkritik hochgelobte Roman war 2018 in Spanien Buch des Jahres. Der Autor, der über eine überbordende Erzählphantasie verfügt, erzählt seine Familiengeschichte in kurzen Kapiteln mit zahllosen, sich immer wieder wiederholenden Reflexionen, Impressionen und Assoziationen über den Sinn des Lebens und über den Tod. Seine Geschichten sind lebendig, voller Sarkasmus, realistisch und ohne jede Beschönigung. Daneben liefert er ein präzises Bild der spanischen Kulturgeschichte der letzten fünf Jahrzehnte. Eine düstere Biografie, poetisch, packend, authentisch, aber auch sehr traurig. Sehr zu empfehlen.

Buchprofile Rezemsion von Günther Freund

Die Reise nach Ordesa, Roman, 416 S.
BERLIN VERLAG, 2020
ISBN/EAN: 9783827014023

                                                                                                zum Michaelsbund-Online-Shop


Redaktion

Günther Freund

1944 in Bad Reichenhall geboren, Abitur in Bad Reichenhall, nach dem Studium der Geodäsie in München 3 Jahre Referendarzeit in der Vermessungs- und Flurbereinigungsverwaltung mit Staatsexamen, 12 Jahre Amtsleiterstellverteter am Vermessungsamt Freyung, 3 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Zwiesel und 23 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Freyung (nach Verwaltungsreform mit Vermessungsamt Zwiesel als Aussenstelle). Seit 2009 im Ruhestand, seitdem in Prien am Chiemsee wohnhaft.

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