Ideen für die „Konferenz zur Zukunft Europas“, die die EU noch diesen Herbst eröffnen will, hat die Paneuropa-Union Deutschland bei ihrem 54. Andechser Europatag entwickelt. Der Präsident dieser überparteilichen Europabewegung, der CSU-Europapolitiker Bernd Posselt, nannte vier Schwerpunkte für die Arbeiten, die bis zur französischen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2022 laufen und die Grundlage für einen neuen EU-Reformvertrag bilden sollen: Europäischer Zusammenhalt, europäische Schlagkraft und Effizienz, Demokratisierung der EU sowie Verbesserung der Sicht- und Spürbarkeit Europas.
Posselt rief dazu auf, eine erneute Spaltung des Kontinents in Ost und West zu vermeiden, keine Grenzschließungen wie zu Beginn der Corona-Krise mehr zuzulassen, bis zur nächsten Europawahl vertraglich zu verankern, daß ausschließlich das Europaparlament über die Zusammensetzung der Kommission entscheidet, sowie eine gemeinschaftliche Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen, die in der Lage sei, wirksam auf Aggressionen wie die türkische gegen die EU-Mitglieder Griechenland und Zypern zu reagieren. Dies bedürfe eines stärkeren europäischen Zusammengehörigkeitsgefühls, das auf den geistigen Fundamenten der gemeinsamen europäischen Kultur aufbauen müsse: „Der Neustart Europas benötigt eine breite Bürgerbewegung, die in einen Konvent für eine echte europäische Verfassung mündet.“
Die Gäste, die gemäß den während der Corona-Pandemie geltenden Hygienebestimmungen im Andechser Klostergasthof tagten, wurden auf das herzlichste von Pater Valentin Ziegler willkommen geheißen: „Damit, daß Sie sich hier versammeln, setzen Sie ein Zeichen der Treue und Stabilität, ein Zeichen, daß die Menschen gefragt sind in einem Europa, das so schnell wieder in Nationalismen versinkt.“ Unter Berufung auf die in Andechs geborene Heilige Hedwig von Schlesien als „große Brückenbauerin“ und mit einem warnenden Blick auf den amerikanischen Präsidentenwahlkampf mahnte er Europa dazu, „die eigene Stabilität zu pflegen, für die eigenen Werte einzutreten und nicht zuzulassen, daß es zu einem Schlagabtausch kommt, der alles spaltet.“ Der Paneuropa-Gedanke zeichne sich dadurch aus, daß er alles zusammenführe und in die Zukunft blicke: „Wir brauchen die Vergangenheit, um die Zukunft zu gestalten, aber wir müssen auch in der Gegenwart leben und den Gegenwartspunkt, den Kairos nutzen.“
In fünf Foren befaßten sich jeweils zwei bis drei Experten mit verschiedenen Themenbereichen, die unter der Leitung von Vertretern der Paneuropa-Jugend ausdiskutiert wurden. Das erste davon über die Vereinbarkeit von Klima-, Umwelt- und Agrarpolitik in der Europäischen Union bildeten die Bayerische Landesbäuerin Anneliese Göller und der Landtagsabgeordnete Dr. Martin Huber, Mitglied im Umwelt- und im Europaausschuß, die die stellvertretende PEJ-Bundesvorsitzende Gentiana Krasniqi moderierte.
Martin Huber plädierte dafür, Klima- und Umweltschutz bewußt mit der Entwicklung neuer Technologien zu verbinden, „statt jede Woche eine andere Gruppe an den Pranger zu stellen, ob das jetzt die Bauern, die Hauseigentümer oder die Autofahrer sind.“ Nötig seien positive Projekte: „Es gehört zur Wertschöpfungskette für Elektroautos, Methoden zu entwickeln, daß man Batterien wiederverwerten kann. Das schafft Arbeitsplätze bei uns und tut etwas für Umwelt und Klima.“ Zudem müsse man Hebelwirkungen finden, um mit unseren Standards in den Rest der Welt hineinzuwirken. Dem sollten vor allem auch die großen Handelsabkommen der EU mit anderen Weltregionen dienen: „Es darf nicht so sein, daß durch Verträge wie den jetzt verhandelten mit Mercosur unser Schutzniveau gesenkt wird, statt daß wir zu einer Hebung des weltweiten Niveaus beim Umwelt- und Klimaschutz, aber auch bei den Sozialstandards beitragen.“
Anneliese Göller wies darauf hin, daß Klima, Umwelt und Landwirtschaft gesamtgesellschaftliche und weltweite Aufgaben seien. Die europäische Land- und Forstwirtschaft habe dafür eine Schlüsselrolle, sie sei Teil der Lösung und nicht, wie oft behauptet, das Problem. Es gelte eine wachsende Bevölkerung mit gesunden, hochwertigen Lebensmitteln zu versehen. Die Landwirtschaft sei der einzige Bereich, der durch den Aufbau von Humusschichten und die Bewirtschaftung von Wäldern aktiv Sauerstoff produziere und CO2 binde. Zugleich sei er besonders vom Klimawandel betroffen. Wetter und Schädlinge würden Bauernfamilien in der ganzen Welt bedrohen. Die europäischen Landwirte seien intensiv bestrebt, Tierwohl, Biodiversität und Naturschutz zu berücksichtigen. Bäuerliche Kulturlandschaften könnten gleichzeitig die Ernährung sichern und der Gewinnung nachwachsender Rohstoffe für die Energiegewinnung dienen, wobei es notwendig sei, den Flächenfraß zu stoppen.
In der Debatte über die Schaffung einer gemeinsamen Öffentlichkeit zeigte sich Prof. Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, besorgt über die Entwicklung der europäischen Medienstruktur. Der Journalismus stecke in einer Krise, und es bestehe die Gefahr, daß junge Menschen sich hauptsächlich aus Social Media informieren, die keinerlei professionelles Niveau aufwiesen. Darunter leide sowohl die politische Bildung insgesamt als auch die Kenntnis europäischer Zusammenhänge. Auch die großen europäischen Themen hätten eine zu geringe Rückbindung in die Bevölkerung. Die Europäischen Institutionen hätten dies erkannt, was auch ein Antrieb für die Initiative zur Konferenz über die Zukunft Europas sei. Die EU brauche einen grenzüberschreitenden Diskussionsraum, da sie nicht über einen europäischen Demos verfüge. Dieser lasse sich auch nicht durch europäische Medien künstlich schaffen, sondern müsse sich aus fundierten Auseinandersetzungen um Grundfragen, die den ganzen Kontinent beträfen, Schritt für Schritt entwickeln.
Der Vizepräsident der internationalen Paneuropa-Union und Medienanwalt Dirk Voß stufte diese Analyse als zu pessimistisch ein. Er schlug neue Ansätze vor, wie etwa die Gründung europäischer und mehrsprachiger Nachrichtenagenturen, die die nationalen Medien beliefern, privatwirtschaftlich organisiert sein sollten, aber eventuell auch eine öffentlich-rechtliche Förderung erhalten könnten, die ihre Unabhängigkeit nicht beeinträchtige. Die Menschen in der EU hätten in den letzten zwanzig Jahren von Skandinavien bis ans Mittelmeer gleichermaßen über die Banken-, Währungs-, Flüchtlings- und jetzt die Coronakrise diskutiert, ohne daß sich die sprachliche Vielfalt dabei als hinderlich erwiesen habe. Europas Demokratie müsse parlamentarisch durch in den Wahlkreisen verwurzelte Abgeordnete gestärkt werden, woraus ein echtes Gemeinschaftsbewußtsein entwickelt werden könne. Die Idee von der Notwendigkeit eines „Staatsvolkes“ nannte Voß provokativ „eine Hypothese“. Auch auf nationaler Ebene sei die Entstehung einer gemeinsamen Öffentlichkeit erst durch die Schaffung einer gemeinsamen staatlichen Struktur entstanden.
Das Podium wurde ebenso wie das folgende von Christian Hoferer, dem Landesvorsitzenden der Paneuropa-Jugend Bayern, moderiert. Der ehemalige Pressesprecher der EU-Kommission Jochen Kubosch und der Vorsitzende des Bayernbundes, Sebastian Friesinger, Mitglied des Bezirkstages von Oberbayern, untersuchten die Rolle von Demokratie und Föderalismus im Bauplan Europas.
Auf Hoferers Frage, ob Zuständigkeiten bei der EU-Reform eher nach oben oder nach unten zu verlagern seien, antwortete Kubosch mit Verweis auf Artikel 5 des EU-Vertrages. Dieser schreibe das Subsidiaritätsprinzip fest, aufgrund dessen große Aufgaben wie etwa die Außen- und Sicherheitspolitik künftig auf die europäische Ebene übertragen werden sollten, während viele Detailregelungen eher wieder in die Hände der Staaten und Regionen zurückwandern könnten. Kubosch setzte sich sehr kritisch mit der mehrfach geäußerten Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auseinander, das Europäische Parlament sei nicht demokratisch, weil es keine völlige Proportionalität wiederspiegle. Einerseits bestehe das Bestreben nach einer möglichst gerechten Sitzverteilung, andererseits müsse aber auch den kleinen Staaten eine ausreichende Zahl an Mandaten zustehen, denn auch sie hätten Souveränität an die europäische Ebene abgegeben. Diese Elemente bringe die EU durch einen vernünftigen politischen Kompromiß, der nicht perfektionistisch, aber zielführend sei, in Einklang. Seine demokratische Kraft habe das Europaparlament unter anderem dadurch gezeigt, daß es schon einmal eine EU-Kommission zum Rücktritt zwang. Es gebe kaum eine wesentliche Entscheidung in der EU, die ohne die Europäische Volksvertretung zustande kommen könne, weshalb klar festzuhalten sei: „Die Europäische Union ist selbstverständlich demokratisch.“
Sebastian Friesinger schilderte in überzeugender Weise die Rolle der kleinen Einheiten wie Gemeinden und Regionen als Bausteine Europas. Vor allem die Euroregionen seinen bestens geeignet, um Europa antizentralistisch zu organisieren, ohne es zu zersplittern. Die Chance zu gemeinsamen Projekten diesseits und jenseits der Binnengrenzen sei auch eine wesentliche Chance Europas. In einem föderativen System spüre man auf der lokalen Ebene ebenso wie auf der europäischen, daß man sich gegenseitig brauche. Scharfe Kritik übte Friesinger an den Grenzabriegelungen im Frühling – am Beispiel von Sachrang, zu dessen Ölbergkapelle seit Jahrhunderten Bayern und Tiroler gemeinsam wallfahrteten und das jetzt von der österreichischen Seite her nur noch über die Absperrung hinweg versorgt werden konnte. Für das Gelingen der europäischen Einigung sei es wichtig, das lähmende Einstimmigkeitsprinzip im Rat weiter zurückzudrängen. Friesinger sprach sich für mehr Eigenverantwortung, Bürokratieabbau und Kompromißbereitschaft aus – „das gilt aber nicht nur für die EU, sondern genauso für Gemeinden und Regionen.“
Den Versuch einer „Annäherung an die Seele Europas“ unternahmen im Dialog Bernd Posselt und der ehemalige bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle, jetzt Regierungsbeauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Spaenle definierte die auf der Gottesebenbildlichkeit des Menschen basierende Personalität als Kern des europäischen Wertesystems. Aus dieser Wurzel heraus sei die europäische Kultur „schon vor Jahrhunderten die mit der größten Reichweite geworden.“ Andererseits seien es auch terroristische Regime in Europa wie die von Hitler oder Stalin gewesen, „die die Würde des Menschen mit Füßen getreten haben wie selten vorher oder nachher.“ Geschichtspolitisch prägend für den neuen Weg Europas sei dann die Fähigkeit seiner Völker geworden, einander die Hand zu reichen. Er würdigte in diesem Zusammenhang die Bemühungen der Paneuropa-Union und von Bernd Posselt um die Völkerverständigung, aber auch „die historische Leistung der Vertriebenenverbände mit ihrem Gewaltverzicht und ihrem Bekenntnis zur europäischen Einigung zu einer Zeit, als die Wunden noch offen waren.“ Der Multilateralismus der heutigen Welt erfordere dringend das Bemühen, „sich zusammenzusetzen und miteinander zu reden.“ Spaenle beschrieb die Umsetzung dieser Haltung durch konkrete Arbeit am Zusammenwirken zwischen dem Freistaat Bayern, dem Europäischen Parlament in Straßburg, dem Elsaß-Memorial in Schirmeck sowie der KZ-Gedenkstätte Struthof-Natzweiler in den Vogesen. Dort könnten bayerische Lehrer und Schüler spüren und erfahren, was Europa für Frieden und Menschenwürde bedeute.
Bernd Posselt zitierte den französischen Dichterfürsten Paul Valéry, der schon im Ersten Weltkrieg in einem Essay über das Wesen Europas festgestellt habe, daß dieses geographisch nur ein kleiner Wurmfortsatz Asiens sei, aber durch seine einzigartige Kultur das Gesicht der Welt geprägt habe. Europa sei, so Posselt, eine uralte kulturelle Realität, die schon mehr als tausend Jahre bestanden habe, bevor der erste Nationalstaat gegründet wurde. Die Kulturen der Welt entwickelten sich auseinander und seien allesamt von einem Enteuropäisierungsprozeß bestimmt. Wenn Europa einfach nur als Rest einer von ihm lange Zeit stark geprägten globalen Zivilisation übrig bleibe, sich noch dazu nationalstaatlich zersplittere und seine Identität vergesse, werde es verschwinden. Posselt sprach sich gegen einen Weltstaat aus, weil es für diesen keine kulturelle Basis gebe, aber für eine Zusammenarbeit mit den anderen Erdteilen und Zivilisationen sowie für ein geistig und politisch starkes Europa, das anderen ein guter und stabiler Partner sein könne.
Den Festgottesdienst zu Ehren der Heiligen Hedwig in der Andechser Wallfahrtskirche hielt der langjährige Abtprimas aller Benediktinerklöster weltweit, Notker Wolf aus St. Ottilien, der um Frieden für Europa und seine Menschen und Völker betete und um die Bereitschaft, „trotz vieler Risse und Wunden zwischen den Nationen und Religionen“ friedfertig aufeinander zuzugehen, „weil es ohne Vergebung und Versöhnung nicht weitergeht“. In seiner Predigt sprach er über das Jesus-Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“ und über die Spannung zwischen geistlicher und weltlicher Macht durch die Jahrhunderte. Ab der Französischen Revolution sei Gott immer mehr verdrängt worden und der Mensch an seine Stelle getreten, was zu den totalitären Reichen des 20. Jahrhunderts und Millionen Toten geführt habe. Auch was die Technik betreffe, meine der Mensch alles bestimmen zu können und vernichte damit die Natur. Dieser Einstellung setzte Notker Wolf die Ordensregel des Heiligen Benedikt entgegen, in der der Abt nicht absolut hersche, sondern in der Verantwortung vor Gott gemeinsam mit den Mönchen den Willen Gottes zum Wohl des Menschen suche. Durch die Benediktiner habe sich dieses Konzept der Machtausübung in ganz Europa verbreitet. „Gott muß wieder der Maßstab in unerem Abendland sein, in der Gesellschaft und auch im Politischen. Er unterdrückt nicht, er dient: Das ist der große Unterschied. Er schenkt uns die Hoffnung auf die Zukunft, nicht unser menschliches Können.“
Zum Abschluß der Andechser Europatage diskutierte der Missionsbenediktiner mit Margret Kopp, der Vorsitzenden der „Aktion PiT-Togohilfe e.V.“, und dem Bundestagsabgeordneten Thomas Erndl, Vorsitzender des Fachausschusses Außenpolitik im ASP, unter dem Titel „Keine Zukunft ohne die anderen“ über die Verantwortung Europas in der Welt, moderiert von Landrat a.D. Matthias Wilkes, Präsidiumsmitglied der Paneuropa-Union Deutschland aus Hessen. Der SPD-Vizepräsident des Bayerischen Landtages, Markus Rinderspacher, der pandemiebedingt kurzfristig absagen mußte, schickte den Paneuropäern seine herzlichsten Grüße.
Thomas Erndl betonte, die kulturelle Vielfalt in Europa zu bewahren sei wichtig, „aber wir müssen trotzdem politische Handlungsfähigkeit sichern und mit unserer Außenpolitik aktiver werden.“ Dafür fehle noch das Bewußtsein, viele wollten neutral sein „wie eine große Schweiz: Was um uns herum passiert, soll uns nicht angehen“. Von der „Konferenz zur Zukunft Europas“ erhoffe er sich eine kleinteilige Diskussion nicht nur im Innenverhältnis, sondern auch über die Verantwortung, die wir in der Welt haben. Die deutsche Außenpolitik müsse „eine europäische Außenpolitik sein“: Sie dürfe keine Führungsrolle übernehmen, aber manchmal werde erwartet, daß sie partnerschafltich vorangehe. Eine Frage sei: „Wie können wir die Räume, aus denen sich die USA zurückziehen, gestalten?“ Was Afrika betreffe, so habe Entwicklungsminister Gerd Müller einen Kommissar für dieses Thema gefordert und erreicht, daß der Haushalt seines Ministeriums mit 10,8 Milliarden weit über dem des Außenministerims mit 5,5 Milliarden liege. Gegenüber der aggressiven Politik Chinas und Rußlands sei eine klare Strategie nötig. Bei China habe das Prinzip „Wandel durch Handel“ nicht funktioniert. Es sei aber durchaus möglich, gleichzeitig Handel zu betreiben und trotzdem bei manchen Themen eine deutliche Sprache zu sprechen, denn auch China brauche gewisse europäische Produkte sowie vor allem die europäischen Absatzmärkte. Sowohl bei der chinesischen Initiative der „neuen Seidenstraße“ als auch angesichts der systematischen Versuche Rußlands, die Europäische Union zu spalten, müsse man einen klaren Blick bewahren und umso mehr daran arbeiten, Einigkeit zu erzielen. Das sei zwar eine „Mammutaufgabe“, müsse aber dringend angegangen werden.
Erzabt Notker bestätigte, „Wandel durch Handel“ sei immer eine Illusion Europas gewesen. Die chinesische Führung habe das Ziel, ihr Land „zum Reich der Mitte der ganzen Welt“ zu machen, und gehe dabei vor wie eine Dampfwalze. „Sie wollen die ganze Welt überwachen, um so alles in Gewalt zu haben.“ Das sei Realpolitik, und daher warne er vor Blauäugigkeit auf europäischer Seite. Andererseits stellte er sich aber hinter die Versuche des Vatikan, einen Kompromiß mit der chinesischen Regierung in Sachen Bischofsernennungen zu finden. Seit Kaiser Konstantin hätten sich Herrscher immer wieder als äußere Herren auch über die Religion gesehen. Die chinesischen Christen, auch die der offiziellen, staatlich anerkannten Struktur, bräuchten zum Überleben Einheit und unsere Solidarität, nicht politische Eingriffsversuche wie die jüngsten der US-Außenpolitik.
Margret Kopp lenkte den Blick auf Afrika: „Es ist von Europa – an der Straße von Gibraltar – nur 14 Kilometer entfernt – ein Nachbar, den wir aber überhaupt nicht kennen, außer über Medienmeldungen von Hunger, Not, Korruption und Völkermord und Bilder schöner Landschaften.“ Der kulturelle Reichtum – von Straßentheater-Traditionen bis zu moderner Architektur auf Lehmbasis – sei unbekannt. Deshalb rief sie auf, „Initiativen zu starten – über die Schule, die Medien, Austausch, Tourismus, daß wir unsere direkten Nachbarn einschätzen können und wissen, wie sie ticken.“ Die Bevölkerung sei sehr jung und werde sich bis 250 verdoppeln. Täglich 15 000 Kinder würden an Hunger und fehlenden Behandlungsmöglichkeiten sterben. Sich darum zu kümmern sei „nicht nur Gutmenschentum, sondern eine Zukunftsaufgabe“. Wir müssen zu einem sozialen Ausgleich zwischen reichen und armen Ländern kommen. Die Starken müssen den Schwachen helfen, es kann nicht umgekehrt sein. Es ist im unseren Interesse, daß es nicht auf unsere Kinder und Enkel zurückfällt.
Auf die Frage aus dem Publikum, wohin denn die Milliarden geraten seien, die man in den letzten Jahren in die Entwicklungshilfe ausgegeben habe, antwortete Margret Kopp wie aus der Pistole geschossen: „Ich möchte mir nicht vorstellen, wie Afrika aussehen würde, wenn die Gelder nicht geflossen wären.“ Sicher sei viel versickert, aber inzwischen habe man dazugelernt: „Die Zusammenarbeit über den Staatsapparat ist schwieriger zu kontrollieren, trotzdem ist sie auch nötig.“ Sie selbst als Leiterin einer Privatorganisation versuche aber die Regierungen möglichst zu umgehen. Zur Zeit wachse in Afrika eine gebildete Schicht heran – etwa Ärzte, die in Europa studiert hätten, weil es in Togo nur die Grundausbildung gebe. Sie müsse man ermutigen, zurückzugehen und das Gelernte für ihre Länder und ihre Mitmenschen anzuwenden: „Leute, es ist euer Land, Afrika gehört euch.“ Die dann entwickelten Konzepte gelte es, wenn sie überzeugend seien, auch zu akzeptieren, weil die Afrikaner selbst am besten wüßten, wie sie „die Moderne an ihren Kulturraum herantragen.“ Internet und Mobiltelefon funktioniere in Togo „wesentlich besser als bei mir in Maisach. Die Studenten laden sich alles aus dem Internet herunter.“ Eine gebildete Jugend in Afrika sei wichtig, damit die europäische Jugend dort auf Partner treffe, mit denen sie kommunizieren könne.
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