Leitartikel

Gespräch mit Hans Hipp: Wachszieherei und Lebzelterhaus

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Altes Handwerk greifbar erleben in der „Alten Wachszieherei“   im Haus Hipp dem ehemaligen traditionellen Lebzelterhaus

 Beim Öffnen der Eingangstüren ins Haus Hipp gleiten die Blicke unwillkürlich auf die Finger und auf das, was der Besucher in Händen hält: Die Türgriffe sind alte Votivpaare in Bronze gegossen. Blickt man sich weiter um, entdeckt man im gesamten Haus Hipp viele weitere Details, die auf die alte Handwerkskunst hindeuten. Denn das Handwerk und die Geschichte der Lebzelter und Wachszieher kann man im Haus Hipp bis 1610 zurückverfolgen.

Im Interview begeistert Hans Hipp für sein altes Handwerk am Hauptplatz 6 in Pfaffenhofen an der Ilm. Anna Felbermeir durfte ihn besuchen und hat neben viel Interessantem auch einige Kuriositäten und nette Anekdoten erfahren.

Herr Hipp, wo sind die Ursprünge für das Handwerk des Wachsziehers?

Hans Hipp: Für fast 90 Pfarreien haben meine Vorgänger und Vorfahren Kirchenkerzen hergestellt. Kirchenbücher mit den aufgezeichneten Einkäufen der Pfarreien und alte Kerzenrechnungen gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Seit vier Jahrzehnten erforsche ich als Wachszieher das Brauchtum der wächsernen Votivgaben und die enge Verbindung meines Handwerksbetriebes mit der einstmals blühenden Wallfahrt zum Gnadenbild „Unserer Lieben Frau“ in Niederscheyern. Zu den wichtigsten Quellen gehören die zehn in der Scheyerer Klosterbibliothek aufbewahrten Mirakelbücher, in denen von 1635 bis 1803 weit über 30 000 Gebetserhörungen und Verlöbnisse“ teilweise mit den Wachsopfern aufgezeichnet wurden.

 Wie lange gibt es die Wachszieherei Hipp in Pfaffenhofen?

Hans Hipp: Das Haus Hipp, ein traditionsreiches Lebzelterhaus, kann bis zum 17. November 1610 am Hauptplatz in Pfaffenhofen nachgewiesen werden. 1897 hatte der Lebzelter Joseph Hipp, Urgroßvater des heutigen Inhabers und Gründers von Hipp-Babynahrung, den Betrieb von der Witwe seines verstorbenen Chefs Anton Seidl übernommen. Vor 125 Jahren wurde mit der Herstellung des Zwiebackmehl`s im Hause Hipp am Hauptplatz der Stadt Pfaffenhofen an der Ilm der Grundstein für das heutige Unternehmen HiPP Babykost (Georg-Hipp-Straße 7) gelegt. Das Zwiebackmehl wurde damals nicht aus einer Geschäftsidee heraus hergestellt, sondern aus einer Notlage: Die Kindersterblichkeit lag bei 40 % wegen „innerer Auszerrung“. Daher stellte Joseph Hipp „satten“ Zwieback für seine eigenen Kinder her. Dieser wurde mit Butter versetzt und mindestens fünf Minuten gekocht. Mit dieser Zubereitungsart wurde der Brei nicht nur sämig, sondern es wurden auch die Bakterien vernichtet und der Brei hatte beste Voraussetzungen für Babys.

 …dann ist seit Ihrem Großvater die Lebzelterei in Hipp Hand?

Hans Hipp: Ja genau. Ich halte die alte Handwerkertradition bereits in dritter Generation aufrecht, denn mein Großvater Joseph Hipp erwarb das alteingesessene Lebzelteranwesen anno 1897. Seitdem ist die Geschichte der Familie Hipp lückenlos dokumentiert, alte Unterlagen sind erhalten und beweisen die Liebe und Wertschätzung, die meine Vorfahren ihrem traditionellen Handwerk entgegenbrachten. Ich selbst habe das Handwerk von meinem Vater erlernt. Inzwischen führt das Haus Hipp mein Sohn Dominik.

Was wird in der Lebzelterei hergestellt?

Hans Hipp: Die strengen Zunftordnungen von früher erlaubten nur den Lebzeltern die gewerbliche Weiterverarbeitung von Bienenhonig und Bienenwachs. In unserem Haus lag die Lebzelterei neben der Wachszieherei und wenn in beiden Räumen gearbeitet wurde, vermischten sich die feinen warmen Gerüche der edlen Bienenprodukte und erfüllten das ganze Haus. Ob Honigzelten, Benediktiner Fruchtlebkuchen, Lebkuchen-Knusperstangen, Bilderzelten oder gefüllte Honigherzen – Joseph Hipp versuchte zeit seines Lebens, die Eigenschaften seines Materials zu ergründen. Daraus entstanden seine legendären Rezeptbücher, die heute noch Fundamente unserer Spezialitäten und des Erfolgs unserer Produkte sind. Die aussagekräftigen „Bilderzelten“ entstanden, wenn der Lebzelten-Teig in kunstvoll gestochene Modeln gedrückt wurde und vielerlei Bilder für den Essenden entstanden. Wie das ABC-Taferl, ein Geschenk zum Schulanfang. Buchstabe für Buchstabe konnten die Kleinen abbrechen und beim Lutschen der harten Zelten das ABC lernen. Und wenn das Kind endlich beim Z angekommen ist fragten die Eltern: „Hast du’s jetzt endlich gefressen?“, eine Redewendung die wir heute noch gerne gebrauchen. Ein junger Mann, der zu schüchtern war, der Liebsten seine Gefühle zu offenbaren, der ging zum Lebzelter und kaufte dort einen gemodelten Lebzelten mit einer Liebespaar Abbildung, das er ihr wortlos schenken konnte – und alles war gesagt. Sie biss dann wohl ein Stück ab und antwortete „Ich hab‘ dich zum Fressen gern“. Rund ums Jahr gab es für jeden Anlass diese Bilder-Lebzelten, ob zur Hochzeit oder Taufe, für kirchliche und profane Feste oder einfach als Glückssymbol wie die Spinnerin, die keineswegs als Darstellung eines Berufsbildes zu verstehen sei. Geblieben ist aus der reichen Bilderwelt der Honigzelten, im modernen Jahresablauf lediglich noch das Oktoberfestherz. Der Beruf des Lebzelters, der sich später zum Konditor – ursprünglich Zuckerbäcker – und Wachszieher weiterentwickelte ist heute weitgehend vergessen.

 … was wird in der Wachszieherei gemacht?

Hans HiPP: Ein wichtiger Geschäftszweig der Wachszieherei war die Kerzenherstellung. Für fast 90 Pfarreien wurden in unserem Haus Kerzen gezogen und geschnitten. Die noch warmen Kerzenrohlinge wurden auf kalten Steintischen solange gerollt bis sie erstarrten und somit „besonders gerade“ wurden. Daher stammt der Ausdruck, wenn man was besonders gerade machen möchte, das mach ich „kerzengerade“. Ein weiteres wichtiges Erzeugnis aus Bienenwachs waren die Votivgaben. Vor allem in der Barockzeit wurden diese als bildliche Bitten und Dankbezeugungen in Wallfahrtskirchen geopfert. Schon als Kind bin ich fasziniert gewesen von den wächsernen Figuren und Miniaturabgüssen menschlicher Körperteile und Organe, Wachshäusern und -Tieren, sowie den uralten Holzformen, die in meinem Elternhaus überall in Schränken und Vitrinen aufbewahrt waren. Noch heute gießen wir diese Wachsopfergaben aus den alten hauseigenen Modeln.

Wie vererbt sich die Begeisterung für das Handwerk des Wachsziehers?

Hans Hipp: Seit ich damals aus kleinen Modeln wächserne Pferdchen gießen durfte oder mit Köpfen, Männern und Frauen aus Wachs spielte, hat mich die Begeisterung für diese geheimnisvollen Kult-Figuren nicht mehr losgelassen. Von klein auf durfte ich damit aufwachsen – die Wachszieherei war der wärmste Raum im Haus, wo man sich immer aufhalten konnte. Sehr wichtig ist das Dokumentieren, wie es bereits mein Vater, der ebenfalls Hans Hipp geheißen hat, getan hat, Wissen erlangen über Geschichtliches und das Wissen weiterzugeben.

Wie kann man das traditionsreiche Handwerk heute erleben?

Hans Hipp: Für einen spontanen Besuch ist unsere „Alte Wachszieherei“, wie unser Konditorei-Café, an 7 Tagen geöffnet. Nach Anmeldung halte ich für Gruppen von 15-40 Personen gerne einen lebhaften, ca. 40-minütigen Vortrag, über die Verarbeitung von Bienenhonig und Bienenwachs zu Kerzen, Votivgaben und den „feinen Honigzelten“. Das profane und religiöse Brauchtum um diese Erzeugnisse kommt dabei nicht zu kurz. Auch die Anfänge der HiPP Babykost – vor genau 125 Jahren im Haus Hipp – werden erläutert. Die Besucher sitzen während des Vortrags mitten in der Wachswerkstatt und können sich anschließend in gepflegter „Kaffeehaustradition“ verwöhnen lassen.

 Wie entstand die Idee für den Wiederaufbau der „Alten Wachszieheri“?

Hans Hipp: Die Dokumentation des Lebzelterberufes – der Honig und Wachs Verarbeitung – ist in unserem traditionsreichen Haus bis auf den heutigen Tag seit dem 17.11.1610 nachweisbar und im süddeutschen Raum einmalig geworden.  Durch das liebevolle Bewahren alter Arbeitsgeräte, Model und den vielen schriftlichen Unterlagen spürt man die Wertschätzung meines Vaters und meines Großvaters gegenüber ihrem Handwerk und erlaubte uns den originalgetreuen Aufbau der alten Wachszieherei am ursprünglichen Ort. Diese einzigartige Tradition erlebbar und greifbar zu machen und das alte Lebzelter- und Wachszieherhandwerk weitergeben zu können ist nun unsere Aufgabe.

Bericht und Bilder: Anna Felbermeir, Sachgebiet Öffentlichkeitsarbeit im Bayerischen Trachtenverband – www.trachtenverband-bayern.de / Haus Hipp

Literatur von Hans Hipp – www.haus-hipp.de

Das Lebzelterhaus und die Gründungsgeschichte der Hipp Babykost, Eigenverlag (2022)

Wachs zwischen Himmel und Erde, Hirmer Verlag (2020)

Das Lebkuchenbuch von Hans Hipp, Inselverlag (2015)

Lebendige Tradition – 400 Jahre Lebzelterei, Konditorei, Wachszieherei, Eigenverlag (2010)

Lebzelter – Wachszieher – Metbrauer, Dachauer Heimatschriften (1987)

Votivgaben – Heilung durch den Glauben, Ludwig Verlag (1984)

Lebzelten – Wachsstöckerl – Votivgaben, Ludwig Verlag (1982)

Bildunterschriften:

Hans Hipp, geb. 1949, beim Fertigstellen von Votivgaben

Blick in das gemütliche Cafe Hipp

Aus alter Tradition werden heute noch Honigzelten hergestellt

Kerzen erfordern viel Liebe zum Detail, wie bleichen des Wachses und „kerzengerade“ rollen (Bild mit dem Vater von Hans Hipp)

Votivgaben und Wachstöckerl haben ihre eigenen Geschichten

Wenn die Kerzen im Schaufenster fertiggestellt wurden, gab es viele Zuschauer

Bild aus 1907 mit der Gründerfamilie Familie Hipp – jüngstes Kind Georg (auf dem Stuhl sitzend) ist der Gründer der Hipp Babykost

Frontansicht des Hauses Hipp von 1910 und 2023

Dominik Hipp führt heute das Haus Hipp in Pfaffenhofen an der Ilm

 


Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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