Leitartikel

Über 80 Jahre alter Brief von der Kriegsfront

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Wenn Anneliese Flori aus Rosenheim einen Brief der besonderen Art herzeigt, dann liegen ganze 80 Jahre zwischen der Absendung und dem heutigen Betrachten. Es ist auch auf andere Weise ein besonderer Brief, denn er ist auf Birkenrinde geschrieben und das auch noch in Gedichtform. Das Mädchen Anneliese war gut zwei Jahre alt als ihr Vater am 8. Januar 1943 aus seinem Kriegseinsatz den Brief an seine Frau Anni und an sein nicht minder geliebtes Töchterlein Anneliese sandte.

Der Brief im Wortlaut

Finnland, den 8.1.1943

Liebes Annl u. Annelies

Weit der Heimat fern, sah ich am Himmel 7 Stern
ich trau es kaum zu sagen, es ist der große Wagen
und so ich meine Streife geh, ich in der Richtung Heimat geh
genau wie ich, Sie zu Hause sich wohl mit mir befassen.
Doch liebe Annl ich kann Dir doch nicht alles sagen
mußt Du doch zu Hause soviel ertragen
und wenn ich mich noch so sehr nach Euch in der Heimat sehne
so muß ich meine Streife unter dem Wagen weiter gehen
wie oft hat er mir im Süden die Richtung der Heimat gezeigt
und nun muß ich sehen wie liegt sie mir im Rücken so weit
doch wollen wir tapfer sein und die Kammern zu schließen.
Diese Birkenrinde Euch zum Gruß
zu schälen war mir ein Genuß.
Für Dich und Annilein
soll sie ein Stück aus Finnland sein.
Nehmt es als Andenken aus dem Land
wo Euer Vati im Kriegsjahr „Januar 1943“  gelandet
und daß ich auch auf einsam weitem Wege
zu Dir stets immer die Gedanken finde
möcht ich Dir als Zeichen geben diese einfache Birkenrinde.

Vati

Den Brief ihres Vaters – geschrieben auf Birkenrinde mit feiner Feder und Tinte – entdeckte Anneliese als ihre Mutter im Jahr 1969 im Alter von nur 62 Jahren verstarb und sie ihren Nachlass sichtete. Als sie den Brief an das Tageslicht holte, war ihr erster Gedanke: „Der Brief bekommt einen Gedenk- und Ehrenplatz. Er hat in mir sofort die Gefühle wieder geweckt, die ich in mir von meinem Vater trug. Ich habe zwar keine persönliche Erinnerung, aber bevor mein Vater in den Krieg musste, nahm er mich auf den Arm, ich klammerte mich stark an ihn und er tanzte mit mir. Dieses Rhythmusgefühl ist in mir wachgeblieben“. Anneliese hat ihren Vater nicht mehr gesehen. Wegen Malaria kam er zwar einmal von der Front, aber dann wurde er nach Topola in Serbien versetzt und gilt dort als vermisst. Ihre Mutter unternahm viele Anstrengungen, um von ehemaligen Kameraden Näheres über seinen Verbleib zu erfahren, dazu aber weiß sie nur: „Von den Kameraden und Kontakten hat sie nur Fürchterliches erfahren, darüber sollte man schweigen“. Deswegen sind für Frau Flori jedes Gedenken wie der Volkstrauertag und auch die aktuellen Kriegsmeldungen auf der Welt eine Erinnerung, was Menschen mit Menschen getan und was Menschen den Menschen angetan haben.

Fotos: Hötzelsperger – 1. Anneliese Flori mit dem Brief, den ihr Vater vor 80 Jahren aus Finnland an ihre Mutter und sie starb. 2. Der Brief (im Original leider etwas ausgebleicht, da er seit 1969 dem Licht in der Wohnung ausgesetzt war).

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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