Kultur

Malerdorf Übersee-Feldwies – Kunst in schwieriger Zeit

Mindestens 45 Künstler und Künstlerinnen waren in der Zeit von 1919 bis 1955 mehr oder weniger lang hier ansässig. Die meisten von ihnen hatten eine akademische oder künstlerische Ausbildung oder waren so talentiert, dass sie autodidaktisch hervorragend künstlerisch tätig sein konnten. Überwiegend bestritten sie mit ihrer Kunst auch ihren Lebensunterhalt.

Die Frage nach den Gründen der gehäuften Ansiedelung von Malern an einen Ort stellt sich also für Feldwies und Übersee ebenso wie für die berühmten Künsterkolonien in Worpswede oder auch im Murnauer Moos. Das Nebeneinander verschiedener Stilrichtungen findet man ebenfalls in den erwähnten Kolonien. Zahlenmäßig war die Künstlerkolonie Feldwies und Übersee in den Zeiten zwischen dem Ende des 1. WK und 1955 größer als Worpswede, das Zahlenverhältnis ist 45:42 Die „Künstlerkolonie Worpswede“ ist eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft von Künstlern in Niedersachsen. Sie entstand Ende des 19. Jahrhunderts im Teufelsmoor, etwa 20Kilometer nordöstlich von Bremen. Der Ort wurde zur Heimat bedeutender Künstler des Jugendstils, Impressionismus und Expressionismus. Zur „Stadtflucht“ der Künstler führten neben dem Interesse für Licht, den ländlichen Motiven oder den markanten Landschaften auch romantische Sehnsüchte nach bäuerlicher Idylle und nach einem einfachen, naturnahen Leben.

Am Anfang der „Künstlerkolonie Feldwies und Übersee „stand ohne Zweifel der „Farbenfürst“ Julius Exter, der große Gegenspieler des berühmten Franz von Stuck. Er ließ sich 1902 als erster namhafter Maler hier nieder und gründete in der Feldwies eine in ganz Europa bekannte Malschule. Diese Malschule mit zahlreichen Schülern aus aller Herren Länder und seine Freundschaft mit anderen berühmten Künstlerkollegen dürfte ein erster wesentlicher Grund für die Beliebtheit von Übersee-Feldwies als Malerdorf in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen sein. Aber auch Arnold Balwé, vor dem 2. Weltkrieg zugezogen, sammelte Studenten in diesen schwierigen Zeiten um sich, ebenso wie Willi Geiger. Dazu mögen ferner die besondere Beschaulichkeit des ländlichen Chiemgaus und die besseren Umweltbedingungen zum Malen in der freien Natur („plein air“- Malen) beigetragen haben. Hier fanden die Künstler besondere Lichtverhältnisse und außergewöhnliche Malmotive in der freien Landschaft und im bäuerlichen Alltag. Ferner kam dazu, dass das Leben auf dem Land billiger als in der Stadt war und gerade in den Notzeiten unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg und während und nach dem zweiten Weltkrieg dort Lebensmittel eher zu erhalten waren als in der Stadt. Nicht wenige Künstler waren in den allgemeinen Notzeiten in einer wirtschaftlich sehr prekären Lage und tauschten deswegen ihre Gemälde gegen Naturalien oder bezahlten damit ihre Miete. Im Notfall war man sogar bereit, den eigenen Malstil dem Geschmack der Dörfler ein wenig anzupassen und gefälligere Bilder zu schaffen.

Auch die gute Verkehrsanbindung von Übersee über die Schiene ab 1860 und ab 1936 auch über mitten durch das Dorf führende neue Reichsautobahn, mag zur Etablierung von Übersee zu einem Künstlerdorf beigetragen haben. Einige Maler wie Wilhelm Hofelich und Erich Lüdke kamen nach Übersee, nachdem sie in München oder Berlin durch Bombenangriff ihr Zuhause und ihre Werke verloren hatten und versuchten, auf dem Land wieder Fuß zu fassen. Andere wie Erika Dinklage wollten mit dem Umzug aufs Land nach Feldwies ihr Leben neu strukturieren. Alois Hies verließ München möglicherweise wegen seiner Ehe mit einer jüdischen Frau. Das Land schien insgesamt sicherer zu sein als der von den Nazis beherrschte Kulturbetrieb in den Gr0ßstädten.

Aber auch in die dörfliche Umgebung von Übersee reichte der übermächtige Arm der Nazis: Max Steinleiter lebte in ständiger politischer Bedrohung, die ungarische Jüdin Aranka Schulhof, die bei ihm lebte, entging nur durch ihren frühen Tod der Vernichtung im KZ, die Werke von Erna Dinklage wurden zur „Entarteten Kunst“ erklärt und Fritz Harnest, der sich in seinem Malstil zur Abstraktion hin entwickelte und aus seiner Gegnerschaft zum herrschenden Regime wenig Hehl machte, entkam nur um Haaresbreite dem Gefängnis. Willi Geiger verlor seine Professur und zog sich in seine „Pax“ in Neuwies zurück. Andere, wie Michael Kiefer und Franz Gebhardt hatten auf Grund ihres Malstiles und der dargestellten Motive keine Probleme mit den politischen Machthabern.

Gesprächsrunden und Lesungen werden das Leben einzelner Künstlerpersönlichkeiten besonders beleuchten: Donnerstag, 13.4. um 18 Uhr erzählt Enkel Stephan Harnest vom Leben und Werken seiner Großeltern, am Samstag, den 15.4. um 18.00 Uhr erinnert Julia Geiger und Martin Metz mit einer Lesung aus den Lebenserinnerungen von Willi Geiger, am Dienstag, den 18.4. um 18 Uhr beleuchtet Carsten Lewerentz das Schaffen von Karl Meisenbach und Käthe Seele und am Samstag, den 22.4. um 18 Uhr gedenkt man Walter Lederer und Walter Brendel, die heuer 100 Jahre alt geworden wären. Mit dabei sind Sophie Lederer als Ehefrau Lederers und Michaela Haslberger als Tochter Brendels.

Bericht: Martin Metz – Bildmaterial: Annemarie Kneissl-Metz

Anhang: Flyer

 


Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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