Aus dem Corona-Tagebuch von Karl Stankiewitz – Was sind das eigentlich für Typen, die sich „Querdenker“ nennen, die ganze Hundertschaften der vollbeschäftigten Polizei auf Trab bringen, die Medien momentan aber etwas weniger bewegen? Sind es schlichte Spinner, ideologische Strategen,überkluge Köpfe, vermeintliche Weltverbesserer, notorische Neinsager, selbsternannte Philosophen oder Quacksalber, die eine harmlose Grippe namens Covid 19 durch Handauflegen heilen? Keinesfalls verwechseln sollte man sie mit Quereinsteigern, wie sie neuerdings die etwas angegraute Fraktion der SPD im Münchner Stadtrat auffrischen sollen. Auch nicht mit dem Typus Linksdenker, den der Berliner Kurt Tucholsky einst einem „seltenen, traurigen, unirdischen, maßlos lustigen Komiker“, nämlich unserem Karl Valentin, freundlichst zugeschrieben hat.
Komisch, dass selbst die Suchmaschine nur eine eher wohlfeile Erklärung liefert: Querdenker sei „jemand, der eigenständig und originell denkt und dessen Ideen und Ansichten oft nicht verstanden oder akzeptiert werden“. Statt einer genaueren Interpretation stößt man im Netz auf eine Querdenker United GmbH. Diese Community mit weltweit 500 000 Anhängern will – wie unzählige andere Gruppen – „auf friedlichem Wege einen Beitrag zum Austausch und zur Potentialentfaltung der Menschen leisten“., Sie distanziert sich.denn auch von „Veranstaltungen, die in populistischer Absicht und im Gleichschritt mit fragwürdigen politischen Agitatoren aus allgemeinem Unmut und Frustration Stimmung gegen die Gesellschaft machen“.
In meinem eigenen Kopf-Computer indes werde ich besser fündig. Oft genug hatte ich ja in meinem früheren Leben als Münchner Korrespondent außerbayerischer Zeitungen mit Typen zu tun, denen man durchaus das Etikett „Querdenker“ aufpappen könnte. Der erste dieser Art war vielleicht ein Physiker namens Groll, der das Perpetuum mobile errechnet haben wollte und dies so präzise nachwies, dass 1951 sogar der SPIEGEL meinen Bericht brachte. Der „Wunderdoktor“ Bruno Gröning, den die Abenezeitung von Herford nach München gelotst hat, gilt noch heute als das „Phänomen“ schlechthin. Schlag nach im Netz.
So mancher jener Querköpfe der Nachkriegszeit bastelte aus seinen Gedankenspielen seine eigene Partei, erwähnt seinen nur Karl Feitenhansl und Franz Schönhuber. Ein hochprozentiger Sonderling wurde gar bayerischer Staatsminister, er hieß Alfred Loritz. Ein eben solcher Typ, der fränkische Kommunarde Dieter Kunzelmann, war bei mir zuhause ein eher ungebetener Dauergast; er überhäufte mich mit seinen Schriften und seiner abstrusen Weltanschauung dermaßen, dass ich meinen Dackel in Kunzelmann umtaufte. Fazit: Kreuz-und-Querdenker aller Art scheinen im Land der Märchenkönige besonders üppig zu gedeihen.
Überhaupt nicht vorstellbar ohne Querdenker ist die Kunstgeschichte. Das Museum Villa Stuck zeigt zur Zeit hervorragende Beispiele – von Josef Beuys bis Adolf Wölfli – unter dem Titel „Bis ans Ende der Welt und 0ber den Rand“.
Foto: Archiv Stankiewitz – Gröning-Interview