Kultur

Buchtipp: Carole Fives, Kleine Fluchten

Veröffentlicht von Günther Freund
Eine überforderte alleinerziehende Mutter versucht verzweifelt, dem Alltag mit ihrem anstrengenden kleinen Sohn zu entfliehen.

Eine junge Mutter ist unzufrieden mit ihrem Schicksal. Ihr Mann ist vor über einem Jahr abgehauen und hat sie mit ihrem kleinen Sohn sitzengelassen. Sie lebt in Lyon, wo sie weder Familie noch Freunde hat, einen Krippenplatz hat sie auch noch nicht gefunden. Die Frau liebt ihren Sohn über alles, aber niemand nimmt ihr das Kind einmal ab und der Kleine lässt seiner Mutter keine freie Minute. Ihren Job als freiberufliche Grafikerin kann die Frau nur noch im Home Office ausüben. Immer wieder verliert sie Aufträge, weil sie des Kindes wegen Termine nicht einhalten kann, das Geld wird knapp. Für jede Ungezogenheit des Kindes erntet sie missbilligende Blicke, immer macht man ihr ein schlechtes Gewissen und schreibt ihr allein die Schuld für ihre prekäre Situation zu. In ihrer kleinen Wohnung fühlt sie sich einsam und gefangen und schmerzlich wird ihr bewusst, wie unfrei sie ist. Und so gönnt sie sich kleine Fluchten, die ihr die Illusion von einem anderen Leben geben: Wenn der Kleine endlich schläft, verlässt sie die Wohnung, streift durch die Straßen, schaut in Fenster, beobachtet Menschen. Erst nur ganz kurz, dann immer länger – es kann ja eigentlich nichts passieren, wenn der Junge im Bett liegt und schläft.

In ihrem neuesten Roman thematisiert die französische Autorin ein gesellschaftliches Tabu. Perfekt beschreibt sie, wie schwierig und ausweglos die Lage einer alleinerziehenden Mutter sein kann, und stellt die Frage, ob deren Sehnsucht nach Freiheit verständlich oder egoistisch ist. Schonungslos schildert sie, dass Kinder und deren Erziehung nicht immer nur eitler Sonnenschein sind, sondern dass eine Mutterschaft auch viele Probleme mit sich bringt, vor allem. wenn die Väter sich ihrer Verantwortung entziehen. Der gut konstruierte, originelle und leicht lesbare Roman ist für entsprechend interessierte Leser und Leserinnen eine lohnende Lektüre.

Buchprofile-Rezension von Günther Freund

Redaktion

Günther Freund

1944 in Bad Reichenhall geboren, Abitur in Bad Reichenhall, nach dem Studium der Geodäsie in München 3 Jahre Referendarzeit in der Vermessungs- und Flurbereinigungsverwaltung mit Staatsexamen, 12 Jahre Amtsleiterstellverteter am Vermessungsamt Freyung, 3 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Zwiesel und 23 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Freyung (nach Verwaltungsreform mit Vermessungsamt Zwiesel als Aussenstelle). Seit 2009 im Ruhestand, seitdem in Prien am Chiemsee wohnhaft.

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