Kultur

Zum 100. Todestag der bayerischen Schriftstellerin Lena Christ

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Lena Christ –keine Überflüssige – mit diesem Buch-Titel würdigt der Verein Bairische Sprache und Mundart das Leben und die Werke der bayerischen Schriftstellerin anlässlich ihres 100. Geburtstages.

Am 30. Juni 2020 ist es genau einhundert Jahre her, dass die Dichterin Lena Christ auf dem Münchner Waldfriedhof ihrem tragischem Leben selbst ein Ende bereitet hat. Der Verein Bairische Sprache und Mundarten Chiemgau Inn hat dies zum Anlass genommen, in einem Beitrag an sie zu erinnern. Lena Christ war damals 39 Jahre alt, mittellos, hatte zwei Töchter, einen Bänkelsänger als Geliebten, war schwer krank und gerade dabei erwischt worden, wie sie billige Ölschinken vom Trödler mit den Signaturen berühmter Maler versah und teuer zu verkaufen suchte; sie hat wohl keinen Ausweg mehr gesehen.

In den „Erinnerungen einer Überflüssigen“ erzählt die 1881 in Glonn bei Ebersberg unehelich geborene Lena Christ ihr von tragischen Ereignissen, Irrtümern und Scheitern überschattetes Leben in München. Ihre Eltern Magdalena Bichler und Karl Christ hatten nicht die Absicht zu heiraten. Der Vater ist angeblich  bei einem Schiffsunglück auf hoher See verschollen, die Mutter aber zog es in die Großstadt. Sie nahm in München eine Dienststellung an und konnte dort das Kind nicht brauchen. So wuchs die kleine Leni bei ihren mütterlichen Großeltern in Glonn auf. Diese Kinderzeit ist wohl die glücklichste im Leben der Lena Christ gewesen.

1888 heiratete ihre Mutter den Metzgergesellen Josef Isaak und holte das siebenjährige Mädchen, gegen den Willen der Großeltern, zu sich nach München. In der elterlichen Gaststätte musste sie Schwerstarbeit leisten. Das Verhältnis zur Mutter war von einer Hassliebe und schweren Misshandlungen geprägt. Sie wurde ausgebeutet und litt sehr unter der Kälte der Mutter und den körperlichen Züchtigungen. Aufgrund schwerster Misshandlungen durch die Mutter lebte Lena Christ ab 1892 wieder für ein Jahr bei ihren Großeltern in Glonn. Mitte 1893 erfolgte eine erneute Rückkehr nach München, der wieder Misshandlungen durch die Mutter folgten.

Einige weitere Stationen in ihrem Leben: 1898 versuchte sie sich – denkbar ungeeignet – als Novizin im Kloster Ursberg in Schwaben, kehrte aber bald wieder nach München zurück. Dort heiratete sie 1901 den Buchhalter Anton Leix, von dem sie sich 1909 wieder trennte; aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor. Nun arbeitete sie als Diktatschreiberin bei Peter Jerusalem, später Peter Bendix. Auf dessen Anregung begann sie mit ihrem ersten Roman „Erinnerungen einer Überflüssigen“. 1912 heiratete sie Peter Bendix und schrieb in der Folge ihre weiteren Romane. 1917 übersiedelte sie nach Landshut, wohin ihr Mann als Soldat kommandiert worden ist. 1917/1918 begann sich die Bindung zu Peter Bendix, der an der Front war, zu lösen, die Autorin folgte einem jüngeren Mann, den sie in Landshut kennengelernt hatte, nach München

Es ging gesundheitlich und finanziell bergab mit ihr. Sie wusste sich nicht mehr zu helfen und versuchte, durch die Fälschungen zu Geld zu kommen. Nachdem das aufgekommen war, drohte ihr ein Gerichtsverfahren. Ohne jede Hoffnung auf Hilfe ordnete sie ihren Abschied, fuhr am Morgen des 30. Juni 1920 mit der Straßenbahn zum Harras, ging dann zu Fuß weiter, versöhnte sich gläubig-kindlich mit ihrem Herrgott und nahm im Waldfriedhof an einem ihr vertrauten Grabhügel das tödliche Gift.

Was Lena Christ an Schriftlichem hinterlassen hat, ist in Anbetracht ihrer Herkunft, Erziehung und Existenz hoher Bewunderung wert. Wenn ihr Werk infolge der wenigen Arbeitsjahre nur schmal ist, so zeugen doch seine drei Hauptstücke von einem ureigenen epischen Talent und einer stilistischen Sicherheit, wie sie in solchem Zusammenklang im neueren deutschen Schrifttum nur selten anzutreffen sind. Man muss unter den weiblichen Autoren schon an die Droste, die Ebner-Eschenbach oder die Huch denken, um Vergleich und Maßstab zu gewinnen. Heute ist Lena Christ als bedeutende deutsche Autorin anerkannt. Mit „Erinnerungen einer Überflüssigen“, „Die Rumplhanni“ und „Matthias Bichler“ schuf sie drei bleibende Werke. Beeindruckend ist unter anderem die Verarbeitung ihrer eigenen Beobachtungen und Erlebnisse in ihren Büchern, die einen tiefen Einblick in das ärmliche Leben der Arbeiterklasse, der Dienstboten und der Landbevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts geben.

Lena Christ ist keine Dialektdichterin; ihre Figuren, Kleinbauern und Kleinbürger sprechen die ihnen geläufige – sehr differenzierte – Mundart, aber sie selbst stellt sie in einem einfachen schönen, ganz leise süddeutsch gefärbten Schriftdeutsch dar. Ihrer Gegenwart hatte Lena Christ ein unvergängliches Denkmal gesetzt: in den klassischen Berichten über den bäuerlichen Tagesablauf zu ihrer Zeit, über  das Klosterleben und die Wallfahrten, die Münchner Hochzeitsbräuche und den Wirtshausbetrieb zu allen Jahreszeiten samt ihren nicht etwa erforschten oder gesammelten, sondern leibhaftig durchexerzierten Fachausdrücken. Mit Recht wird gesagt: Wer das altbayerische Wesen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kennenlernen will, als es noch seinen rechten Gang hatte, der müsse bei Lena Christ lernen.

Wer mehr über Lena Christ erfahren möchte, dem sei das Buch von Marita Panzer
empfohlen:
Lena Christ. Keine Überflüssige.
Pustet-Verlag, 2011, 134 Seiten, 12,90 Euro.

Rudi Mörtl, Traunstein
Verein Bairische Sprache und Mundarten Chiemgau-Inn

www.sprache.bayern

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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