Seit Kriegsende war es verschollen: das erste Protokollbuch des Trachtenvereins „Die lustigen Wildenwarter“ von 1903 war jahrzehntelang nicht mehr auffindbar. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts machte sich der damalige Vorsitzende Andreas Freund daran, eine erste Gesamtchronik für den Verein zu erstellen. Dazu sammelte er die noch vorhandenen Bilder aus der Gründerzeit, versuchte die Namen der Abgebildeten zu ermitteln, interviewte die letzten noch lebenden Mitglieder aus den frühen Vereinsjahren und stellte damit ein Fotoalbum zusammen.
Auch die vorliegenden Protokollbücher und Rechnungsbücher wurden ausgewertet, sie gaben Auskunft über die Besetzungen der Vereinsvorstandschaften für die frühen Jahre. Allerdings war das erste Protokollbuch für die Zeit von 1903 bis 1936 nicht mehr auffindbar. Alle Suche bei den früheren verantwortlichen Vorstandsmitgliedern, blieben erfolglos das Buch war und blieb spurlos verschwunden. Man erklärte sich damals den Verbleib so: beim Einmarsch der Amerikaner 1945 verbrannte der damalige Vereinsvorsitzende viele Unterlagen aus den 40-er Jahren, offensichtlich war auch das erste Protokollbuch des Trachtenvereins im Feuer geendet. Da keinerlei Spuren mehr zu finden waren, fand man sich im Verein mit dem Verlust des Buches ab. Fast 80 Jahre später ordnete die Nichte des früheren Vereinsschriftführers Oskar Huth (von 1954 bis 1971) den Nachlass ihres Onkels und fand unter vielem anderen Papier und zahllosen Akten auch das verschollene Protokollbuch mitsamt zwei Rechnungskladden aus der Frühzeit. Offensichtlich wurden diese Unterlagen 1971 bei der Übergabe an die neue Schriftführerin Christa Voggenauer übersehen und gerieten in Vergessenheit, Sie übergab den Fund an ihren Nachbarn, den ehemaligen Vorsitzenden der „Lustigen Wildenwarter“ Peter Voggenauer. Dieser erkannte sofort, welchen Schatz er in der Hand hielt und gab das Protokollbuch an seinen Nachfolger im Amt Helmut Freund weiter. Bei der Jahreshauptversammlung des Vereins stellte Freund der Versammlung den unerwarteten Fund vor.
Das Buch ist weitgehend in deutscher Schrift verfasst, die Handschriften der verschiedenen Schriftführer und die eigenwillige Rechtschreibung machen eine „Übersetzung“ der Jahresberichte über den Computer in lateinische Buchstaben notwendig. Der frühere Schriftführer Heinrich Rehberg hat sich angeboten, das Protokollbuch in den nächsten Wochen und Monaten zu sichten und für alle lesbar zu machen.
Die Protokolle der Anfangszeiten sind nur kurz; in der Regel umfassen sie eine Seite für ein Jahr. Die Formulierungen sind stets wiederkehrend und unterscheiden sich nicht voneinander. Eine erste flüchtige Auswertung ergab bereits, dass einige Passagen in der Frühgeschichte des Vereins neu geschrieben werden müssen. Die Stellenbesetzungen der frühen Jahre stimmen nicht mit den bisherigen Überlieferungen überein, so gab der Gründungsvorstand von 1903 Josef Schweiger sein Amt bereits im nächsten Jahr wieder ab und übernahm für einige Jahre das Amt des Schriftführers, Vorstand wurde 1904 Joseph Loferer; dieser wurde bisher überhaupt nicht in der Liste der Vorstände geführt. Die ersten Aufbaujahre sind geprägt von dem Wunsch nach einer Vereinsfahne: Prinzregent Luitpold stiftete für die Beschaffung 50 Mark, die Wildenwarter Schlossherrin Herzogin Adelgunde 30 Mark und Freiherr von Cramer-Klett 50 Mark, die Vereinsmitglieder steuerten 149 Mark bei, insgesamt stand für die Fahnenweihe ein Betrag von 650 Mark zur Verfügung. 460 Mark wurden für den Kauf der Fahne, angefertigt bei der Firma Rupprecht in München, aufgewendet, insgesamt 635,10 Mark fielen für den Verein an Ausgaben für die Fahnenweihe an. Davon erhielten der Pfarrer 4,50 Mark, der Mesner und die Ministranten 3 Mark und der Taferlbua eine Mark. Zwölf Mark wurden für Inserate in der Chiemgauzeitung ausgegeben. 23 Trachtenvereine zwischen Prien, Atzing, Salzburg, Bad Tölz und Bruckmühl nahmen an dem großen Fest teil, Patenverein war der Gebirgstracht-Erhaltungsverein Bergen. 1907 wurde erstmals die Trachtenzeitung im Abonnement bezogen. Während der Kriegsjahre 1914 bis 1918 schweigt das Buch, da keine Veranstaltungen der Trachtenvereine in der Region stattfinden. Bei Kriegsende führt eine Liste sieben Vereinsmitglieder auf, die im Verlauf des Krieges gefallen sind. Interessant ist der Kassenabschluss des Jahres 1923: Einnahmen von 231399807 Mark stehen Ausgaben von 21558080 Mark gegenüber, so dass die Kasse zum Abschluss über 209842709 Mark verfügt. Dieser Kassenbericht ist einer der wenigen Hinweise auf das Weltgeschehen in den Gründerjahren, Hinweise auf politische oder wirtschaftliche Ereignisse fehlen sonst völlig. Die Berichte beziehen sich fast ausschließlich auf die Durchführung von eigenen Veranstaltungen, auf den Besuch anderer Vereine in der Region, auf Vereinsausflüge nach Prutdorf, St. Salvator oder Frasdorf, sowie auf die Teilnahme bei Fahnenweihen, Hochzeiten und Trauerfeiern. So nahmen 1925 17 Dirndl und 31 Buam aus Wildenwart am 30-jährigen Gründungsfest des Brudervereins Prien teil. Am 25. Gründungsfest der „Lustigen Wildenwarter“ nahmen 235 Buam und Dirndl aus 21 Vereinen teil, die meisten Teilnehmer kamen vom Trachtenverein Frasdorf (28) und vom Patenverein Söllhuben (23), Reichenhall und Siegsdorf waren mit jeweils drei Mann vertreten. Es ist zu erwarten, dass bei der genauen Auswertung des Protokollbuches noch einige Tatsachen aus der Frühzeit der „Lustigen Wildenwarter“ ans Licht kommen werden, die bisher nur ungenügend dokumentiert waren oder in veränderter Form weitergegeben wurden.
Bericht und Fotos: Heinrich Rehberg
Der Vorsitzende des GTEV „Die Lustigen Wildenwarter“ Helmut Freund und sein Vorgänger Peter Voggenauer begutachten das erste Protokollbuch des Vereins, das jahrzehntelang verschollen war.
Die Einbandseite des ersten Protokollbuches der „Lustigen Wildenwarter“
Das Protokoll von 1909