Hubert Aiwanger ist stellvertretender Ministerpräsident und Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Die Coronapandemie, der Klimawandel und der russische Überfall auf die Ukraine stellen nicht nur den Wirtschaftsminister, sondern die ganze Staatsregierung vor gewaltige Herausforderungen. Dahinter sind andere Themen derzeit etwas aus dem Blick geraten. Bayernbund-Landesvorsitzender Sebastian Friesinger und WBR-Redakteur Fritz Lutzenberger hatten die Gelegenheit, mit dem langjährigen Bayernbund-Mitglied Hubert Aiwanger eine Reihe von Themen zu besprechen.
Frage: Herr Staatsminister, Klimawandel und Energiewende, Corona und Lieferkettenprobleme stellen die bayerische Wirtschaft vor gewaltige Herausforderungen. Worin sehen Sie aktuell die Stärken der bayerischen Wirtschaft?
Staatsminister Aiwanger: All die genannten Problemlagen und Entwicklungen können langfristig nur mit neuen Lösungsansätzen und technischen Innovationen bewältigt werden. Bayern als Hochtechnologiestandort bietet dafür die besten Voraussetzungen. Nur mit neuen Technologien und Prozessen gelingt es etwa, höheren Klimaschutz und Erhalt unseres Wohlstandsniveaus unter einen Hut zu bringen. Bayerns hochinnovative Unternehmen entwickeln bereits weltweit gefragte Lösungen für die großen Zukunftsthemen. Der Freistaat investiert rund 3,5 Milliarden Euro in die entscheidenden Zukunftsfelder. Die Hightech Agenda sorgt für die notwendigen Innovationsimpulse.
Frage: Welche Auswirkungen hat der russische Überfall auf die Ukraine auf die bayerische Wirtschaft? Es geht dabei um viele Themen wie zum Beispiel Investitionen bayerischer Unternehmen in Russland, den Export von bayerischen Unternehmen in die Russische Föderation, aber auch ein Einfuhrverbot für Kohle, Öl und Gas in die EU. Die Spitzenverbände der bayerischen Wirtschaft rechnen mit massiven Konsequenzen für die Unternehmen und Verbraucher.
Staatsminister Aiwanger: Der Krieg in der Ukraine wirkt in vielerlei Hinsicht und allen Ebenen auf die bayerische Wirtschaft ein. Gestörte Lieferketten beeinträchtigen noch immer Teile der Industrieproduktion im Freistaat. Dominant sind die stark gestiegenen Energiepreise, die neben den privaten Haushalten auch die bayerische Wirtschaft auf breiter Front belasten. Die beschlossenen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung zielen in die richtige Richtung, sie werden aber nicht ausreichen. Daher werde ich mich weiterhin für umfangreiche steuerliche Entlastungen einsetzen.
Frage: Der Bayerische Ministerrat hat im Jahr 2021 den Entwurf für eine Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms (LEP) in den Themenfeldern „Für gleichwertige Lebensverhältnisse und starke Kommunen“, „Für nachhaltige Anpassung an den Klimawandel und gesunde Umwelt“ sowie „Für nachhaltige Mobilität“ beschlossen und das Wirtschaftsministerium beauftragt, ein Beteiligungsverfahren einschließlich Beteiligung der Öffentlichkeit durchzuführen.
Was können Sie unseren Leserinnen und Lesern zu den wichtigsten Punkten der Fortschreibung sagen und wie ist der augenblickliche Stand der Dinge? Müssen durch den Krieg in der Ukraine möglicherweise Teile neu geschrieben werden?
Staatsminister Aiwanger: Mit der LEP-Fortschreibung übernimmt der Staat verstärkt Verantwortung. Er packt die großen Herausforderungen der Zeit vorausschauend und gesamträumlich an. Das LEP hat einen Planungshorizont von etwa 10 bis 15 Jahren. Damit auch Planungssicherheit für Kommunen und Investoren. Ziel ist es noch in dieser Legislaturperiode, die richtigen Weichen zu stellen und Änderungen zu den drängendsten Handlungsfeldern umzusetzen. So wollen wir beispielsweise beim Themenfeld Klimawandel / gesunde Umwelt unter anderem auf multifunktionale Flächennutzungen hinwirken (Beispiel Agri-Photovoltaik) und wertvolle unbebaute Flächen frei halten. Des Weiteren setzen wir uns verstärkt für dezentrale Energiewende mit regionalen Wertschöpfungsmöglichkeiten und Fokus auf allen erneuerbaren Energien ein. Hierzu zählt auch das Themenfeld 3 (Mobilität) bei dem wir eine Transformation hin zu einer umweltfreundlichen Mobilität erreichen wollen. Das umfasst den Ausbau des öffentlichen Verkehrs genauso wie eine verbesserte Rad-Infrastruktur (z. B. Trassen für den überörtlichen Radverkehr).
Dem Wirtschaftsministerium ist bei der LEP-Fortschreibung ein transparenter, offener Prozess wichtig. Beispielsweise konnten Kommunen, Verbände oder jeder Bürger Stellungnahmen zu den geplanten Änderungen im LEP-Entwurf abgeben. Insgesamt sind im Rahmen des Beteiligungsverfahrens rd. 700 Stellungnahmen eingegangen, die aktuell ausgewertet werden. Bevor diese Vorschläge an den Bayerischen Ministerrat zum Beschluss vorgelegt werden, werden sicherlich die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine in den LEP-Entwurf einfließen. Gerade Energieversorgung, Lebensmittelsicherheit und Wohnraumschaffung müssen in das laufende Verfahren noch stärker einbezogen werden.
Frage: Kritik kommt u.a. vom Bayerischen Gemeindetag, weil er in der Fortschreibung eine Benachteiligung des ländlichen Raumes und ein Befeuern der Entwicklung der Zentren befürchtet.
Staatsminister Aiwanger: Die LEP-Teilfortschreibung zielt in keiner Weise auf eine Benachteiligung des ländlichen Raumes und ein Befeuern der Entwicklung der Zentren ab. Im Gegenteil wurde nunmehr für alle Gemeinden im ländlichen Raum eine Weiterentwicklung der eigenständigen, gewachsenen Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur explizit in den LEP-Entwurf aufgenommen. Daneben werden umfangreiche weitere Akzente gesetzt, die die Weiterentwicklung des ländlichen Raums als attraktiven Lebens- und Arbeitsstandort insgesamt stärken sollen, z. B. digitale Versorgungslücken schließen, medizinische Versorgung vor Ort sichern, Grundschulen vor Ort erhalten, regionale Versorgungs- und Wertschöpfungsmöglichkeiten ausbauen sowie Voraussetzungen für qualifizierte Arbeitsplätze schaffen.
In Summe wird damit ein starkes Paket geschnürt, das im Lichte der Gleichwertigkeit weitere Entwicklungsmöglichkeiten für den ländlichen Raum und gerade auch die kleineren Landgemeinden eröffnet.
Frage: Professor Manfred Miosga, Präsident Bayerischen Akademie ländlicher Raum reklamiert einen anderen Umgang mit Fläche und eine andere ländliche Baukultur. Wo sehen Sie Ansätze, den Flächenverbrauch zu reduzieren?
Staatsminister Aiwanger: Es gibt viele Ansätze, die Reduzierung der Flächenneuinanspruchnahme zu erreichen. Ein Schwerpunkt sollte auf einer qualitätsvollen Innenentwicklung liegen, diese schont zum einen die kommunalen Haushalte durch geringere Folgekosten, zum anderen werden unversiegelte Flächen an den Ortsrändern geschützt und die Attraktivität von Ortskernen erhalten. Hier gilt es leerstehender oder unbenutzter Bausubstanz neues Leben einzuhauchen, Brachflächen zu reaktivieren und Baulandreserven zu mobilisieren. So erarbeitet das Wirtschaftsministerium aktuell einen Planungsleitfaden zum „Flächeneffizienten Gewerbebau“, der kreative Lösungen zu Aufstockungen, zur Umwandlung von Parkflächen und zur nachhaltigen Gestaltung neuer Gewerbegebiete aufzeigt.
Frage: Der parallele Ausstieg aus der Atomenergie und fossilen Energieträgern im Rahmen der Energiewende löst bei vielen Menschen große Sorgen aus, ob Strom und Heizung in der Zukunft überhaupt noch ständig verfügbar und vor allem auch noch bezahlbar sind. Die Nutzung der erneuerbaren Energien und die Energienetze müssen schnell ausgebaut werden. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das gewohnte Landschaftsbild. Wie stellen Sie sich den Ausbau der Windkraft vor (Stichwort: Aufweichung 10H-Regelung) vor?
Staatsminister Aiwanger: Vor dem Hintergrund des Angriffs Russlands auf die Ukraine hat sich eine völlig neue Situation auch im Hinblick auf die Versorgungssicherheit und künftige Energieversorgung Bayerns ergeben. Auf dem Weg hin zu einem klimaneutralen Bayern 2040 gilt es, so viel Strom wie möglich in Bayern zu erzeugen und damit eine größere Unabhängigkeit von Energieimporten zu erhalten. Die bayerische Staatsregierung hat beschlossen die bestehende 10 H-Regelung zu reformieren. Dabei wird ein Zuwachs von mindestens 800 Windkraftanlagen in den nächsten Jahren sowie eine Aktivierung eines Flächenpotentials für Windkraftanlagen in der Größenordnung von bis zu 2 % der Landesfläche angestrebt. Damit könnte eine zusätzliche installierte Leistung von mindestens vier GW generiert werden. Das ist mehr als zweieinhalbmal so viel wie heute.
Frage: Wie geht es bei den großen Stromtrassen voran?
Staatsminister Aiwanger: Die Übertragungsnetzausbauvorhaben nach Bundesbedarfsplangesetz machen Fortschritte. Bei den Höchstspannungs-Gleichstrom-Erdkabeln SuedOstLink und SuedLink, die durch die Bundesnetzagentur genehmigt werden, schreitet das Planfeststellungsverfahren voran. Die Inbetriebnahme soll 2027 bzw. 2028 erfolgen. Auch die Vorhaben, die durch die bayerischen Regierungen genehmigt werden, machen Fortschritte: So wird beispielsweise bei einem Abschnitt des Ostbayernrings in Oberfranken aktuell gebaut.
Frage: In Bayern spielt bei den erneuerbaren Energien die Wasserkraft traditionell eine große Rolle. In dieser Ausgabe der „Weiß-Blauen Rundschau“ erscheint ein korrespondierender Artikel unter der Überschrift: „Die Wasserkraft ist ökologisch bedenklich, aber dennoch unverzichtbar“ über die Situation am Lech. Jetzt plant der Bund anscheinend einen Förderstopp für kleinere Wasserkraftwerke. Wie stehen Sie dazu?
Staatsminister Aiwanger: Die Stromerzeugung aus Wasserkraft betrug 2020 rund 11,1 TWh. Damit hat die Wasserkraft einen Anteil an der bayerischen Bruttostromerzeugung von 14,7 % und einen Anteil an der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien von 28,1 %. Die Zahlen veranschaulichen, das wir in Bayern auf die Wasserkraft nicht verzichten können.
Der Entwurf des Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor („Osterpaket“), den das Bundeskabinett Anfang April beschlossen hat, enthält für die Wasserkraft Bestimmungen, die insbesondere im Wasserkraftland Bayern, aber auch in anderen Bundesländern auf massives Unverständnis stoßen. Die damit verbundene Diskriminierung der Wasserkraft ist völlig unsachgerecht und würde kleine Wasserkraftanlagen besonders hart treffen.
Wir fordern die Gleichstellung der Wasserkraft bei der Festlegung des überragenden öffentlichen Interesses mit den anderen erneuerbaren Energien, den pauschalen Ausschluss von Wasserkraftanlagen bis 500 Kilowatt und die Aufhebung der Verknüpfung von Förderrecht (EEG) und Wasserrecht. Daher werde ich mich mit aller Kraft auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die geplanten Regelungen so nicht umgesetzt werden, um die kleinen Wasserkraftanlagen zu erhalten. In einem Schreiben an Herrn Bundesminister Dr. Robert Habeck habe ich bereits auf die besondere Situation der Wasserkraft in Bayern und die Auswirkungen der geplanten Regelungen hingewiesen.
Interview: Fritz Lutzenberger – Fotos: StMWi/E. Neureuther