Die Bayerische Geschichte vor Ort hat die Tourist-Information Aschau lebendig gemacht, indem sie mit sogenannten „Prinzessinen-Führungen“ daran erinnert, dass vor 100 Jahren das Ende der Wittelsbacher-Herrschaft im Chiemgau einen ganz besondere Verlauf nahm. Über 30 geschichts-interessierte Wanderer machten sich zusammen mit dem BR-Journalisten Christoph Thoma und mit der Historikerin Martina Stoib auf den Spuren der Familie von König Ludwig III. als diese wegen der Revolution in München fliehen mussten. Teil des Fluchtweges ab Schloss Wildenwart war der Aschauer Gemeindeteil Hintergschwendt. Von dort machte sich die Wandergruppe unter anderem mit Herbert Reiter, dem Leiter der Tourist-Information Aschau auf den etwa eineinhalbstündigen Weg, der dann mit einer Einkehr in den Gschwendter Stuben endete. Dort gab es noch reichlich Gelegenheit, das Gesehene und Gehörte und damit ein Stück Heimatgeschichte zu erörtern. Der nächste Termin ist Mittwoch, 17. Oktober.
Nachfolgend der Bericht von Martina Stoib:
Genau 100 Jahre ist es jetzt her, dass Bayern ein Freistaat wurde und König Ludwig III. mit seiner Familie aus dem revolutionären München zu uns in den Chiemgau fliehen musste. Dies nahmen der BR Journalist Christoph Thoma und Historikerin Martina Stoib zum Anlass, die Auswirkungen der großen bayerischen Geschichte auf den kleinen Weiler Hintergschwendt genauer zu erforschen.
Am 7. November 1918 brodelt München. Die Bevölkerung ist kriegsmüde, will endlich ein Ende von Hunger und Tod und vor allem Frieden. Die Schuld an der anhaltenden Misere wird neben den Preußen auch dem bayerischen König Ludwig III. gegeben. Nach einer Friedensdemonstration mit 60 000 Demonstranten auf der Theresienwiese eskaliert die Lage. Arbeiterführer Kurt Eisner nutzt die aufgeheizte Stimmung und ruft noch in der Nacht den Freistaat Bayern aus. Damit endet nach 738 Jahren die Herrschaft der Wittelsbacher über Bayern. Die Bayern hatten als erste im Deutschen Reich die Adelsherrschaft völlig unblutig abgeschafft.
Die Revolution trifft die Königsfamilie vollkommen unvorbereitet. Die Regierung hatte die Lage völlig unterschätzt und rät dem König erst am Abend zur Flucht, während draußen vor der Residenz schon die Revolution tobt. Niemand in München ist mehr bereit das bayerische Königshaus zu verteidigen. König Ludwig III. und seine kranke Frau Marie Therese entschließen sich mit ihren unverheirateten Töchtern Helmtrud, Hildegard, Gundelinde und Wiltrud und dem Erbprinzen Albrecht nach Schloss Wildenwart zu fliehen, das im Eigenbesitz der Familie ist.
Nichts ist vorbereitet. Nicht einmal die Autos sind fahrbereit und auch keine Fahrer vorhanden. Stunden später fahren dann endlich drei Autos mit verhüllten Wappen ohne Licht durchs nächtliche München. Pannen trennen die Familie. Keiner weiß, ob die anderen noch leben. Die drei Prinzessinnen Hildegard, Gundelinde und Wiltrud und der Erbprinz Albrecht müssen nach 2 ½ Stunden Fußmarsch Obdach in Schloss Maxlrain suchen. Erst am nächsten Mittag treffen auch sie in Wildenwart ein.
Doch auch hier hat die Odyssee noch kein Ende, auch hier fühlt sich die Königsfamilie nicht sicher. Und so trennen sich die drei Prinzessinnen Hildegard, Gundelinde und Wiltrud von der Familie und verabschieden sich unter Tränen vielleicht sogar zum letzten Mal von der schwerkranken Mutter. Sie lassen alles Gewohnte hinter sich und suchen Schutz bei den Bauern. Zu Fuß und in geliehener bäuerlicher Kleidung machen sie sich in der Abenddämmerung des 8. November auf ins abgeschiedene Hintergschwendt unterhalb der Kampenwand. Dort klopfen sie nach zwei Tagen Flucht völlig erschöpft schutzsuchend an die Türen der Gehöfte.
Sie finden für 11 Tage Unterschlupf im Wirtsanwesen und können sich dort vor den ersten Revolutionswirren verstecken. Die Erinnerung an diese „hohen Gäste“ lebt in den Geschichten der Gschwendtner Bauern bis heute fort.
Erst als der König am 13. November in der „Anifer Erklärung“ die Soldaten und Beamten vom Treueid entbindet und Ministerpräsident Kurt Eisner dies als Thronverzicht verkündet, kann der König als normaler Bürger nach Bayern zurückkehren. Am Nachmittag des 19. Novembers ist die Familie bestimmt nicht glücklich, aber doch einigermaßen wohlbehalten und sicher wieder auf Schloss Wildenwart vereint.
Dieses dramatische, aber meist unbekannte Stück Aschauer Heimatgeschichte können Sie jetzt sogar an den Originalschauplätzen nachempfinden. An nochmals zwei Terminen bieten Christoph Thoma und Martina Stoib einen leichten Abendrundgang durch Vorder- und Hintergschwendt an. Mit eindringlichen Zitaten aus dem persönlichen Tagebuch der literarisch begabten Prinzessin Wiltrud und den Erinnerungen der Gschwendtner Bauern werden die letzten Stationen der Flucht der drei Prinzessinnen nach 100 Jahren wieder lebendig. Der Spaziergang endet mit der gemeinsamen Einkehr in die Gschwendtner Stub´n.
Die nächsten Termine: Mittwoch, 17. Oktober um 17 Uhr und Freitag, 9. November um 17 Uhr
Treffpunkt: Parkplatz Gschwendtner Stuben, Hintergschwendt 8, 83229 Aschau im Chiemgau
Dauer: ca. 1,5 Stunden
Kosten: 8.- Euro p.P.
Anmeldung: keine
Text Martina Stoib – Fotos Herbert Reiter