75 Jahre Verfassungskonvent Herrenchiemsee am 10. August – Rede der Präsidentin vom Bayerischen Landtag Ilse Aigner im Wortlaut
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, lieber Frank-Walter Steinmeier,
es freut mich sehr, Dich und Deine Gattin auf Herrenchiemsee begrüßen zu dürfen.
Als Staatsoberhaupt würdigst Du diesen
„Ort der Demokratie“ heute mit Deiner Präsenz.
Vor 75 Jahren wurden hier die wichtigen Weichen gestellt
für den Aufbau und die Ordnung
der zweiten deutschen Demokratie.
Die Mitglieder des Verfassungskonvents haben ihren Beitrag geleistet, um unser Land auszurichten auf
Freiheit, Mitsprache und Wohlstand.
Und wir lassen heute gemeinsam
die Verfasstheit Deutschlands hochleben.
Das ist ein großartiges Signal!
Bayern hatte damals bekanntlich sehr
auf eine starke Stellung der Länder,
auf eine hohe Eigenständigkeit, gedrängt.
Die Zustimmung zum Grundgesetz erfolgte im Bayerischen Landtag am 20. Mai 1949 zwar nicht.
Es war aber ein symbolisches Contra.
„Nein zum Grundgesetz, Ja zu Deutschland“
hieß es damals.
Heute sagen wir aus tiefer Überzeugung
in der Anwesenheit des Bundespräsidenten:
„Ja zum Grundgesetz!
Ja zu Deutschland! Und:
Ja zu einem starken Bayern!“
Wunderbar, dass Du bei uns bist.
Es ist uns eine Ehre!
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Markus Söder,
ich danke Dir, dass wir gemeinsam an dieser Stelle
unseren Willen zu Freiheit und Demokratie bekunden.
Wir haben gemeinsam nach Herrenchiemsee eingeladen:
- Aus Anlass des Jubiläums und
- mit der neu gestalteten Ausstellung im Rücken, die
die Bayerische Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen sowie
unsere Landeszentrale für politische Bildungsarbeit
so eindrucksvoll konzipiert haben.
Wir wissen um die Errungenschaften,
die hier nach der Katastrophe des Nationalsozialismus
in Worte gefasst worden sind.
Auf dieser Insel –
die umgeben war von einem Land, das am Boden lag,
zerstört: materiell, wirtschaftlich, menschlich und moralisch.
Nach Weltkrieg und Holocaust.
Wo der Mensch mit Stiefeln getreten worden war.
Auf dieser Insel haben Politiker, Staatsrechtler, Beamte,
ja, Überlebende der Katastrophe
um den zentralen und unantastbaren Wert der Menschenwürde herum einen Gegenentwurf erarbeitet.
Und im Namen von Landtag und Staatsregierung
in Zeiten, in denen Demokratie von außen und von innen angefeindet wird, stellen wir fest:
Diese Verfassung unseres Landes – unser Grundgesetz,
das auf Freiheit und Individualität
genauso wie auf Zusammenhalt und Gemeinwohl zielt,
ist für uns – ganz klar – die beste Verfassung, die es gibt!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste,
ich freue mich sehr,
dass Sie alle unserer Einladung gefolgt sind.
Auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen im Präsidium begrüße ich
- die Mitglieder der Staatsregierung,
- Regierungsvertreter aus dem benachbarten Ausland,
- die Präsidentin und Präsidenten weiterer Landesparlamente,
- die vielen, vielen Abgeordneten aus
dem Europäischen Parlament,
dem Deutschen Bundestag und
dem Bayerischen Landtag, - die Bundesverfassungsrichterin und Bundesverfassungsrichter,
- die Vertreterinnen und Vertreter der Verfassungsgerichtshöfe der Länder wie auch
- den ehemaligen Ministerpräsidenten
- und meine Vorgänger im Amt.
Und ich darf herzlich willkommen heißen
- die Mitglieder der kommunalen Familie,
- die Repräsentantinnen und Repräsentanten
der Bundeswehr und
vieler weiterer staatlicher Institutionen, - die kirchlichen Würdenträger,
- die Mitglieder des Konsularischen Korps und
- viele, viele Gäste aus
Wissenschaft,
Wirtschaft,
aus Sozialverbänden,
aus den Blaulicht-Organisationen,
aus Sport und Kultur.
Ich begrüße herzlich die Vertreter des Hauses Wittelsbach.
Und, verbunden mit einem besonderen Dank:
Eine Gruppe Schülerinnen und Schüler,
die die neue Ausstellung mitgestaltet haben!
Danke Ihnen!
Die Liste unserer Gäste ist lang.
Und sie ist aussagekräftig.
Denn in dieser Breite steht unser Staat auf einem guten Fundament.
Sie, meine Damen und Herren, leisten Ihren Beitrag.
Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit –
das mag ein Spannungsfeld sein.
Aber damit Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit nicht auseinanderdriften, braucht es Menschen wie Sie.
Uns vereint das Band:
Wir wollen keinen anderen Staat.
Wir wollen diesen Staat
mit unseren demokratischen Werten füllen.
Und das gelingt uns auch!
Meine Damen und Herren,
Herrenchiemsee ist angesichts der historischen Leistungen für die Konstituierung Deutschlands
eine große und würdige Kulisse.
Wir sind hier und vergewissern uns unserer Wurzeln,
mit denen es unser Land zu mancher Blüte gebracht hat.
Ja, darauf können wir mit Stolz schauen.
Denn über die Jahrzehnte haben wir es gut gemacht!
Aber der Blick in die Zukunft kann uns nicht nur zuversichtlich stimmen.
Die Autokraten haben der Demokratie und
der westlichen Lebensart den Kampf angesagt.
Die Ukraine leidet und kämpft tapfer
gegen Putins brutalen Revisionismus.
Zu allererst sie, aber auch wir haben schmerzhaft erfahren:
Wir können uns nicht sicher sein.
Nur 45 Prozent der Weltbevölkerung leben in einer Demokratie.
37 Prozent dagegen unter einem autoritären Regime.
Die Welt ist nicht so eindeutig entschieden,
wie viele geglaubt haben.
Wir können uns nicht sicher sein.
Und dann haben wir das Ringen im eigenen Land.
Mit Kräften, deren Arme bis in die Parlamente reichen.
Es sind die kleinen, aber sehr gezielten Sticheleien,
der Spott und die Schmähungen.
In der politischen Sache kann und darf es hoch hergehen.
Aber die Penetranz der Anwürfe richtet sich auch gegen die demokratische Kultur und die demokratischen Institutionen.
Und das in Zeiten zunehmender Verunsicherung.
In einer ernsten Lage, in der alle aufgerufen sind,
das Land zusammenzuhalten,
ist das Schüren von Wut brandgefährlich.
Zumal sich diese Wut oft gegen Minderheiten wendet.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat festgestellt, dass die Menschenwürde ganzer Personenkreise vermehrt durch Vertreter einer Partei verletzt wird.
Etwa, indem Verschwörungstheorien bedient werden.
Mit Hass und mit Hetze.
Ich teile die Einordnung:
Das sind verfassungsfeindliche Bestrebungen!
Wir können uns nicht sicher sein –
wie heute auch renommierte Verfassungsrechtler sagen.
Jüngst hat es die Münsteraner Jura-Professorin
Nora Markard dargelegt:
Die Spielregeln in einer Demokratie zu verändern –
das geht relativ leicht – wie man auch im Ausland sieht.
Man fängt an mit der Justiz und nimmt einen Vetospieler aus dem Spiel.
- Etwa indem man die Autorität des Verfassungsgerichts untergräbt – neue Richter ernennt.
- Altersgrenzen verändert.
- Vielleicht einen neuen Senat schafft.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes
haben auf die Einrichtung der Gerichte
durch demokratische Gesetze vertraut.
Aber: Der demokratische Konsens, der bisher Fairness und Pluralismus garantiert, kann ausgehebelt werden.
Ob nun im Bund oder in den Ländern.
Meine Damen und Herren,
warum ist es mir mit der Warnung vor radikalen Bestrebungen so ernst?
Weil wir – wie kein anderes Land – diese Erfahrung gemacht haben – haben müssen:
- Wie eine Demokratie mit zu wenigen
Demokratinnen und Demokraten gescheitert ist.
Nicht wehrhaft genug war. - Und wie der Nationalsozialismus dann die Welt in Brand gesteckt hat.
„Wehret den Anfängen“ – das müssen wir ernst nehmen!
Ich glaube fest an unsere Demokratie.
Weil sie von Gewaltenteilung, von Vielfalt und von Zusammenhalt lebt.
Und weil diese Demokratie gelebt wird von einer breiten Mehrheit.
- Die nicht aufgewiegelt werden,
sondern lieber verstehen will. - Die bloße Stimmungsmache nicht gut findet,
sondern auch schwierige Probleme gelöst sehen will. - Und die in Spaltung keinen Mehrwert erkennen kann, sondern auf Gewinnen durch Zusammenhalt setzt.
Hier an der Wiege der zweiten deutschen Demokratie sage ich: Eine dritte deutsche Demokratie braucht es nicht!
Wir haben dem Zerstörerischen viel entgegenzusetzen.
Wesentliches, Wertvolles, Wirksames.
Die höchste Hürde, die vor den Missbrauch demokratischer Freiheit gesetzt werden kann,
haben die Bürgerinnen und Bürger selbst in der Hand.
Wir können sehr viel dafür tun, um die Demokratie zu verteidigen.
Wir in Deutschland haben die Wahl –
und wir in Bayern sogar schon am 8. Oktober.
Mit diesem Appell will ich schließen:
In der Demokratie muss man etwas tun – zu seiner eigenen Sicherheit!
Vielen Dank.
Rede der Landtagspräsidentin Ilse Aigner – Foto: Hötzelsperger Ilse Aigner bei der neuen Verfassungs-Ausstellung auf Herrenchiemsee (Bilder entstanden bei einer Vorbesichtigung)