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Überseer Gedenkstunde für Simon Berger

Veröffentlicht von Toni Hötzelsperger

Eine tief berührende Veranstaltung war die Gedenkstunde für Simon Berger (1.12. 1916 bis etwa Anfang Dezember 1940), der aus der Familie Berger im „Unterland“ in Übersee, Baumgarten, stammte. Er wurde in der Zeit des Nationalsozialismus so wie rund 300 000 andere kranke und behinderte Menschen wegen ihrer Diagnose ermordet. Organisiert war das Gedenken in und vor der Fischerkapelle in Baumgarten von der Aktionsgemeinschaft (AG) „Übersee ist bunt“, die sich den zunehmend rechtsradikalen Tendenzen im Land entgegenstellen möchte. Bei einer ersten Veranstaltung der AG wurde des Überseer Schrankenwärters Engelbert Steiner (1904 bis 1943) gedacht wurde, der als Mitglied der kommunistischen Partei im Dritten Reich verfolgt, mehrfach inhaftiert und schließlich hingerichtet wurde.

Die sehr gut besuchte Gedenkveranstaltung für Simon Berger eröffnete Volker Eidner von der AG, der besonders die Eigentümer der Fischerkapelle, Familie Schwaiger, für die Erlaubnis dankte, eine Erinnerungstafel für Simon Berger in der Kapelle anbringen zu dürfen. Bürgermeister Herbert Strauch sagte, dass es auch für die Gemeinde Übersee wichtig sei, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, auch wenn das nicht immer einfach sei „nicht mit tollen Erinnerungen glänzen“ könne. Er dankte allen Organisatoren für ihren engagierten Einsatz. Gebete und ein ökumenisches Gedenken sprach Pfarrer Rudolf Scheller.

Ortsheimatpflegerin Annemarie Kneissl-Metz gab einen Rückblick auf Simon Bergers Leben, der bei seiner Familie im Zuhäusl beim Schneider in Baumgarten aufgewachsen war, wo sich bis heute alte Nachbarn erinnern, dass er immer wieder epileptische Anfälle hatte und behindert war. Wegen seines sich stetig verschlechternden Gesundheitszustandes wurde er 1937 in die Heil- und Pflegeanstalt nach Hall in Tirol gebracht. Vater Berger hatte Tiroler Bürgerrechte, so dass das Land Tirol für die Versorgung zuständig war. Simons Mutter wollte aber eine näher liegende Unterkunft, so dass der Sohn in eine ursprünglich katholische Pflegeeinrichtung nach Ecksberg bei Mühldorf kam, die aber 1938 von den Nazis übernommen wurde. Von dort

überbrachte man Simon 1939 in die psychiatrische Klinik Eglfing-Haar bei München. Dort sah ihn ein Bewohner von Seethal, Übersee noch einmal, der als Chauffeur in München arbeitete. Er habe erbarmungswürdig ausgesehen, ganz abgemagert und habe furchtbar gefroren, weil er nur ein Hemd trug, erzählte er. Bekannt ist, dass nicht arbeitsfähige Kranke oft systematisch bis an die Grenze des Verhungerns unterernährt waren.

                                                                                                                                               „T 4 Aktion“

Im Rahmen der so genannten T 4 Aktion – der Begriff stammt von einer Zentralstelle in Berlin mit der Adresse: „Tiergartenallee 4“. Hier befand sich die Zentralstelle, wo kranke Menschen systematisch erfasst, verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Denn 1939 hatten die Nazis begonnen, Menschen, die nach ihrer Meinung „unwertes Leben“ waren, ausschließlich unter dem Kostenaspekt zu betrachten und in Anstalten möglichst unbemerkt „auszusondern“.

Im Rahmen dieser T 4 Aktion wurde Simon Berger mit weiteren 140 Kranken Ende November 1940 von Haar nach Schloss Hartheim bei Linz deportiert – einer Tötungseinrichtung für psychisch und physisch Kranke. Schnell nach ihrem Eintreffen wurden sie durch Gas getötet. Ob Simon Berger seinen 24. Geburtstag am 1. Dezember noch erlebte, ist ungewiss. Am 3. Dezember notierte der Überseer Ortspfarrer Johann Becher im Sterberegister der Pfarrei „In Hartheim bei Linz infolge epileptsichen Anfalls gestorben (Angabe der Anstalt).“ Die Leiche wurde in Hartheim verbrannt ohne Wissen und Willen der Eltern. Schwachsinnig und Epilektiker“. – aus dem Pfarrachiv der Gemeinde Übersee. In einem Brief fragte die Anstalt an, ob die Eltern die Urne gegen Erstattung der Kosten haben wollten, was diese ablehnten. In einem Brief erzählte Mutter Karoline Berger einer Freundin: „Jetzt is er angeblich gstorbn. Aber des glaabst ja selber net, dass des mit rechten Dingen zuaganga is. Den werns schon vergast ham. Und jetzt wollns ma sei Aschn schicka, wo i doch gar ned woas, ob de ned von an andern is.“ Wie aus dem Gemeindearchiv hervorgeht, wurde Simon Bergers  Asche im Februar 1941 in einem Massengrab im Städtischen Friedhof in Salzburg beigesetzt.

                                                                                                                     Aufarbeitung erst ab den 1980er Jahren

Annemarie Kneissl-Metz hatte als kompetente Referentin auch Eva Belohradsky  von der Münchner Gedenkinitiative für die NS „Euthanasie“ (glückliches Sterben) Opfer eingeladen. Diese Initiative hatte sich nach der großen Publizierung der Gräueltaten und Morde an Kranken in den 2010er Jahren gegründet. Sie berichtete aus der Forschung, dass jeder achte Deutsche in seinem erweiterten Familienkreis ein Opfer der Euthanasie zu beklagen hat. Früher wurde in den Familien aber meist gar nicht darüber gesprochen, aus Unkenntnis, einem Gefühl der Ohnmacht, Trauer, Scham oder schlechtem Gewissen.

Professor Michael von Cranach, lange Zeit ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses in Kaufbeuren, nahm sich besonders des Themas „T 4 Aktion“ an und machte es einer breiten Öffentlichkeit durch Ausstellungen und Publikationen bekannt. Zu den Tätern gehörten viele seiner ärztlichen Kollegen aus der damaligen Zeit, weshalb er so manchem als „Nestbeschmutzer“ galt. Frau Belohradsky verlas ein Grußwort von Dr. Michael von Cranach, das die Aufarbeitung des Themas im Laufe der Jahrzehnte beleuchtete. Zwischen 1939 und 1945 seien im damaligen Reichsgebiet rund 230 000 kranke Menschen ermordet worden. In den Nürnberger Ärzteprozessen 1947 seien zwar zwei Hauptverantwortliche zum Tode verurteilt worden, aber mit der Übergabe der Justiz an die neue Bundesrepublik seien nur noch wenige Prozesse gegen die Täter geführt worden, die Verbrechen verleugnet, die Opfer vergessen. Erst in den 1980er Jahren habe eine neue Generation von Psychiatern die Geschehnisse ans Tageslicht geholt und die Psychiatrie reformiert. In Schloss Hartheim seien insgesamt 30 000 Menschen wie Simon Berger ermordet worden. 2019 habe es dort die „Hartheim-Deklaration“ gegeben und eine Tafel mit der Inschrift „ Wir denken an Euch“ sei enthüllt worden.

Die schöne musikalische Untermalung des Gedenkens spielte der Großneffe Simon Bergers auf der Ziach, der wie er Simon Berger heißt und dessen Vater und andere Verwandte an der Veranstaltung teilnahmen.

Bericht und Fotos: Christiane Giesen

Die Hauptakteure der Gedenkveranstaltung in der Fischerkapelle für das Euthanasie Opfer Simon Berger waren Ortsheimatpflegerin Annemarie Kneissl-Metz und Eva Belohradsky aus München von der Gedenkinitiative für die NS „Euthanasie“ Opfer.

Annemarie Kneissl-Metz und Volker Eidner von der AG „Übersee ist bunt“.

Auch Übersees Bürgermeister Herbert Strauch sprach ein Grußwort.      

 


Redaktion

Toni Hötzelsperger

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