Kann man, darf man sich von der Tracht noch angezogen fühlen? Kann man, darf man sie anziehen? Wer sich der Trachtengeschichte ohne Vorurteile nähert, würde sagen: Tracht zu tragen ist legitim. In Regionen wie Siebenbürgen, wo bis zur Massenauswanderung der 1990er Jahre eine zahlenstarke deutsche Minderheit lebte, blieb die Tracht nach 1945 eine „der wichtigsten Komponenten der kulturellen Überlebensstrategie“ (Irmgard Sedler) in einem multinationalen Umfeld. In Schlesien und in den Sudetenländern hingegen gingen die Trachtenlandschaften nach Flucht und Vertreibung ein. In der Bundesrepublik hat sich die Trachtenkultur der Deutschen aus dem östlichen Europa nach 1945 gewandelt. Die Trachten erfüllen eine andere Funktion: Neben der regionalen Küche sind sie das wichtigste Instrument für den Transfer der „mitgebrachten“ Identität wie der traditionellen Werte einer Gruppe und ein sichtbares Zeichen ihrer Traditions- und Heimatverbundenheit. Das reich bebilderte Buch „Heimat im Gepäck“ – mit allein 120 großformatigen brillanten Aufnahmen von Trachtenträgerinnen und Trachtenträgern des Fotografen Walther Appelt – beschäftigt sich unter anderem kritisch mit Fragen von Identität und Heimatverlust, Integration und Ausgrenzung durch Kleidung und entmythisiert das ein oder andere Trachtenklischee.
Diese Feiertagstracht aus Jaad, Nordsiebenbürgen (Gegend um Bistritz) wurde zum Kirchgang in kälteren Monaten angezogen. Im Winter kam der Frauenpelz als Ergänzung dazu. Auch als Taufpatin oder bei Hochzeitsfesten trugen die verheirateten Frauen diese Tracht. Die Haube der Frauen ist mit Pailletten- und Perlenstickereien verziert. Weil diese Tracht besonders malerisch aussieht, wurde sie oft für Film- und Fotoaufnahmen gewählt. So ist Marika Rökk in „Tanz mit dem Kaiser“ ebenso wie Statisten in den „Sissi“-Filmen in Jaader Tracht zu sehen. Die fotografierte Tracht wurde während der Vertreibung 1945 mitgebracht.
Die Kleidung der Männer auf der Halbinsel Mönchgut im Südosten von Rügen ist genau genommen die gängige Arbeitskleidung der Fischer. Sie wurde auch außerhalb von Mönchgut z. B. auf Hiddensee oder Usedom getragen, verschwand dort aber schon um 1800 zugunsten modischer Kleidung. Charakteristisch sind die weiten, wadenlangen Leinenhosen. Sie haben Parallelen in den Seemannshosen des 18. Jahrhunderts, die den Seeleuten und Fischern Bewegungsfreiheit boten und die darunter getragene Kniehose vor Nässe schützten. Die gestrickte Pottmütze hat kürzlich eine Renaissance erfahren und ist mittlerweile auch außerhalb von Mönchgut sehr beliebt.
Die Weizacker Bäuerin fällt durch prächtige Farben auf. Die bunten Stickereien wurden nicht mehr selbst angefertigt, sondern bei Lohnstickerinnen in Auftrag gegeben. Der rote Rock ist in dichte Plisséefalten gelegt und wird über mehreren Unterröcken getragen. Rote, gestrickte Strümpfe werden mit bunten Wollstickereien versehen. Die hellblaue Seidenhaube mit langen Bändern ist am Haubenboden ebenfalls bestickt. Reicher Bänderschmuck ist ebenso ein Charakteristikum der Pyritzer Bäuerin wie der Spitzenkragen und der Muff aus Bärenfell. Auch diese Tracht wurde im 19. Jahrhundert nur mehr von wenigen Frauen getragen und wurde in der Folge wiederbelebt.
Informationsübersicht:
- Titel: Heimat im Gepäck – Vertriebene und ihre Trachten
- Herausgeber: Bezirk Mittelfranken durch Katrin Weber
- Ausstattung: Hardcover, 336 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen
- ISBN: 978-3-86222-426-5
- Preis: 39,90 Euro
Text und Bildmaterial: Volk-Verlag