Wirtschaft

Spinnereigelände Kolbermoor: Vom Schmuddelkind zum Schmuckstück

Drehen wir die Zeit um ein paar Jahre zurück. Genauer gesagt um 160 Jahre. Damals, im Jahr 1861, gab es den ersten Spatenstich zum Bau der Baumwollspinnerei. Nachdem vier Jahre zuvor die Bahnlinie zwischen München und Rosenheim eröffnet worden war, danach der Bahnhaltepunkt Kolbermoor eingerichtet wurde und eine Begradigung der Mangfall sowie ein Kanalbau stattfand, konnte dem Aufstieg der einst unattraktiven Stadt zu einem bedeutenden Industriestandort nichts mehr im Wege stehen.

Am 2. Januar 1863 ging es dann los in dem sechsstöckigen Gebäude. Ab da wurde Garn hergestellt. Am Anfang noch auf „nur“ 11.000 Spindeln, zwölf Monate später waren es schon 41.000. Dafür brauchte es natürlich viele Arbeitskräfte. Die kamen jedoch nicht alle aus der Region. Zuerst wurden sie aus dem weiter entfernten Umland angeworben, danach kamen sie auch aus dem Ausland. Kolbermoor erlebte einen wahren Boom. Innerhalb weniger Jahrzehnte hatte sich die Einwohnerzahl durch die Spinnerei verzehnfacht. Was von den Ur-Kolbermoorern und den Einheimischen der Region nicht unbedingt mit Jubel bedacht wurde. Denn die Stadt an der Mangfall hatte ihr Image weg: das eines Arbeiternests, um das man besser einen Bogen machte. Das Schmuddelkind der Region, der Hort der „Zuagroasten“. Trotz allem Fortschritt und Wohlstand, den der Betrieb damals zur Jahrhundertwende der Stadt brachte – nach Kolbermoor ging man seinerzeit nicht immer freiwillig…

Das hat sich heute längst ins Gegenteil verkehrt. Denn mittlerweile ist es schick, dem Spinnereigelände einen Besuch abzustatten und dort auch zu arbeiten oder zu wohnen. Kein Wunder, ist das Areal doch seit seiner aufwändigen Sanierung vor gut 10 Jahren zu einem Magnet für Leute geworden, die etwas auf sich halten. Vorzeige-Unternehmen, Top-Gastronomie, Künstlerszene, begehrter Wohnraum, viele Einkaufsmöglichkeiten und schicke Büroräume sorgen für eine Infrastruktur, die im Mangfalltal ihresgleichen sucht. Auch das Kesselhaus ist als Location für Veranstaltungen aller Art eine der ersten Adressen in der Region.

Selbst wer sich wenig oder nicht für kulinarische Höhenflüge wie die italienischen Gaumenfreuden von Giuseppe oder das Gebäck von den Kuchenträumen interessiert, kommt hier auf seine Kosten, weil das Gelände so vielseitig ist. Vor allem Liebhaber von architektonischen Lichtblicken sind hier goldrichtig. Was mehrere Architekten aus den einst bröckelnden und verfallenden Gebäuden der Spinnerei gezaubert haben, sorgt immer noch für Bewunderung im ganzen Land. Und für Ehrungen in Fachkreisen. Ob die Loftreihenhäuser am Kanal, das „Wohnen am Rosengarten”, oder die Y-Häuser im Spinnereipark – viele Bauwerke auf dem Spinnereigelände sind inzwischen preisgekrönt. Besonders gelungen: Der harmonische Mix aus Früher und Heute auf dem gesamten Gelände. Vom großen „Neubau“, der 1899 nach einem Großbrand in Betrieb genommen wurde und auch heute noch das Areal dominiert, über das liebevoll renovierte Pförtnerhaus, den Rosengarten, das auffällige Seilnetz, das Turbinen- und Kesselhaus, mit dem alles überragenden Kamin bis hin zum einstigen Batteurgebäude, liegen neue Gebäude und neuinterpretierte Altbauten einträchtig nebeneinander am Mangfallkanal. Und das Gelände wächst weiter. Das neueste Prunkstück: Der Spinnereihof vorne am Kreisel. Das Ensemble aus modernen Wohnungen, Büros und Gastronomie unter einem Dach bringt ein weiteres Stück Leben in ein urbanes Areal, das in der Region seinesgleichen sucht.

Den heutigen Kolbermoorern muss man dies nicht erzählen. Die wissen das längst und haben ihren Frieden mit dem einstigen Industriegebiet geschlossen. Nur den Auswärtigen, die immer noch versuchen, die Stadt großräumig zu umfahren, sei gesagt: Ihr verpasst etwas. Ein echtes Schmuckstück im Mangfalltal. Kommt vorbei, seht und staunt.

Text: af – Fotos: re

Beitrag entstand in Kooperation mit dem Wendelstein Anzeiger – www.wendelstein-anzeiger.de

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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