Kultur

Schusters Leisten – Sonderausstellung am Nußdorfer Mühlenweg

„Mit herzlichem Dank für die Anfertigung der sehr schönen Schuhe …“ schrieb 1959 Georg Wolff aus Frankfurt am Main auf den kleinen Quittungsstreifen seiner Geldanweisung. Er war in Nußdorf in der Sommerfrische und hatte sich von Sepp Schweinsteiger (1922-2004) mit Maßnahme von Schusterleisten neue Schuhe fertigen lassen. Auch Familie Troche aus Hannover nutzte die Ferien auf diese Art. Frau Troche hatte Schuhgröße 34. Für diese Größe war die Damenkonfektion der Fabriken nicht ausgelegt. Familie Troche wohnte sogar beim Schuster, denn nebenbei vermieteten er und seine Frau auch Ferienzimmer in ihrem 1953 erbauten Wohnhaus am Entbach mit wundervollem Ausblick auf das Inntal und das Mangfallgebirge mit Wendelstein.

Gleich nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich der 23-jährige Schustergeselle selbständig gemacht. Er mietete die Werkstatt von Peter Stadler, der sich noch in Kriegsgefangenschaft befand, und ließ am Haus seines Großvaters Johann Bücherl (Am Ring 5) einen Anbau aus Nagelfluh für seine eigene Werkstatt errichten. „… da die z. Zt. angemietete Werkstätte bei Rückkehr des Inhabers aus der Gefangenschaft geräumt werden muß, wodurch die Weiterführung des Schuhmacherbetriebs in Frage gestellt würde.“ (Gemeindearchiv Nußdorf)

Das Inventar hatte Schweinsteiger vorwiegend gebraucht von Kollegen aus der Region übernommen, wie die Pfaff Linksarm-Nähmaschine (1937) von seinem Lehrherrn Georg Weiß in Brannenburg oder die Lederwalze vom Schuhmacher Föstl aus Großholzhausen. Zwei Maschinen hatte er neu gekauft: die große Ausputzmaschine und die ebenso voluminöse Luftdruckklebepresse. Alles andere benötigte Werkzeug und Material bezog Schweinsteiger aus der 1919 gegründeten Schuhmacher-Einkaufsgenossenschaft in der Stollstraße in Rosenheim. 1947 legte er die Meisterprüfung ab und beschäftigte einen Mitarbeiter, Georg Dettendorfer aus Breiten. Die relativ niedere Werkbank der beiden stand mittig und die Schubläden gingen nach beiden Seiten auf.

In der Nachkriegszeit gab es viele Einquartierungen von Heimatvertriebenen in Nußdorf. Auch sie benötigten Schuhe. „… Seine meisterlich gefertigten „Goiserer“ – meine ersten Treter nach entbehrungsreichem Krieg – haben uns beim „Maßnehmen“ nähergebracht und in mir das Gefühl verstärkt, mit seiner Hilfe allmählich wieder auf heimatlichem Boden wandeln zu können. – Ein Hochgefühl!“, hinterließ der Gebrauchsgrafiker Fritz Köhler in seinem Kondolenzschreiben 2004 den Nachfahren von Sepp Schweinsteiger.

Aus Brannenburg kannte Schweinsteiger einen Skirennläufer, der 1949 sogar Deutscher Meister in der Alpinen Kombination wurde: Albert Heimpel. Mit ihm zusammen entwickelte er einen doppelt geschnürten Skischuh. Leider überholte die Schuh- und Sportindustrie das Handwerk, so dass die Erfindung unbeachtet in Schweinsteigers Werkstatt blieb. Schließlich musste sich der traditionelle Schuhmacher spezialisieren, um weiterhin von seinem Handwerk leben zu können. Für viele ging es Richtung Schuhladen oder Orthopädie. Schweinsteiger sattelte um auf das Fremdenverkehrswesen und machte mit Hilfe des Grafikers Köhler als Verkehrsamtsleiter kräftig Werbung für den Urlaubsort Nußdorf.

Das Inventar der Schusterwerkstatt übernahm 2006 die Gemeinde Nußdorf, um durch eine Ausstellung dieses wichtige Handwerk in Erinnerung rufen zu können.

Die Sonderausstellung am Nußdorfer Mühlenweg ist bis Ende Oktober täglich von 8 bis 17 Uhr im Zuhaus der Dorfstraße 6 geöffnet. Über das Arbeiten mit Leder informieren an Sonderterminen ein Orthopädieschuhmacher sowie eine Reitsportsattlerin. Bei den Führungen am Nußdorfer Mühlenweg jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat mit Treffpunkt um 17 Uhr am Verkehrsamt, Brannenburger Str. 10, wird auch die Schusterei gezeigt.

„Schusters Leisten“ ist Teil eines Gemeinschaftsprojektes des Museumsnetzwerks Rosenheim: „ANALOG!“ ist der Titel des gemeinsamen Jahresprogramms mit Workshops, Vorträgen, Themenführungen, Volksmusik und Sonderausstellungen. Informationen dazu finden sich auf den Seiten www.museumsnetzwerk-rosenheim.de.

Begleitprogramm:

  • 15.07.2024 (Montag), 19 Uhr, Dorfstraße 6
    • Führung mit Orthopädieschuhmacher Benedikt Mies
  • 17.08.2024 (Samstag), 14-17 Uhr, Dorfstraße 6
    • „Arbeiten mit Leder“, Reitsportsattlerin Magdalena Weiß in der Ausstellung
  • 11.10.2024 (Freitag), 19 Uhr, Ringcafé Nußdorf
    • Erzählcafé zu „Schusters Leisten“

Text: Michaela Firmkäs, Ortsheimatpflege – Bildrechte: Christa Schweinsteiger / Rainer Gätcke / Gemeindearchiv Nußdorf am Inn

Beitrag entstand in Kooperation mit dem Wendelstein Anzeiger – www.wendelstein-anzeiger.de

Redaktion

Toni Hötzelsperger

Samerberger Nachrichten

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