Kultur

Rohrdorf und die Bavaria-Statue in München

Was hat die Bavaria, die über die Münchner Theresienwiese wacht, mit der Gemeinde Rohrdorf zu tun? Viel, denn die Standfestigkeit, die sie seit 172 Jahren beweist, verdankt sie nicht zuletzt ihrem Sockel aus Rohrdorfer „Granitmarmor“. So weit, so interessant. Das eigentlich spannende an der Geschichte ist aber die Frage, wie dieser Stein zunächst entdeckt wurde und wie er dann in den Gesichtskreis von König Ludwig I. und seinem Hofarchitekten Leo von Klenze kam. Denn so gut die Verwendung dieses Steins in vielen Münchner Bauten dokumentiert ist – er war einige Jahrzehnte lang geradezu ein Modestein – die Anfänge liegen hier bislang tatsächlich „im Dunkel der Geschichte“ verborgen.

Entdeckt wurde er, das scheint sicher, um 1800 herum vom Rohrdorfer Steinmetz Ignaz Gris. Schon wie er ihn gefunden hat, ist aber fraglich: Der Stein steht nirgends an der Oberfläche an, ist vielmehr von Schichten aus mergeligem Material überdeckt. Man muss also in die Tiefe gehen, um auf ihn zu stoßen. Das sei beim Bau der Soleleitung von Traunstein nach Rohrdorf passiert, so heißt es, doch die verwirklichte Soleleitung scheint Rohrdorfer Gemeindegebiet gar nicht berührt zu haben. Gab es Voruntersuchungen, bei denen der Stein entdeckt wurde? War es beim Anlegen einer schlichten Wasserleitung für einen der Höfe in der Nähe der Steinbrüche? Man weiß es nicht.

Leichter auf eine plausible Erklärung kommt man bei der Frage, wie der König und sein Architekt von diesem Stein erfahren haben könnten. Ignaz Gris war Steinmetz – dass er Grabmäler erstellt hat, ist wahrscheinlich und Grabmäler aus diesem Stein gibt es in München auf dem alten Nordfriedhof und dem südlichen Friedhof einige. Durchaus vorstellbar, dass das der mögliche Kontaktpunkt war, denn der Rohrdorfer Granitmarmor ist in der Tat nicht irgendein Stein. Wird er poliert, strahlt er eine Schönheit aus, die berechtigt die Assoziation mit Marmor nahelegt. Man kann sich davon auch selbst in der Rohrdorfer Kirche überzeugen, dort steht nämlich ein Taufbecken aus diesem Stein. Noch eine Eigenschaft hat er, die ihn dann auf den ersten Blick zu einem idealen Baustoff macht: Er ist belastungsfest, daher auch die Beifügung „Granit“ in seinem Namen. Mineralogisch gesehen ist beides, „Marmor“ wie „Granit“, aber Hochstapelei, der Stein besteht schlicht aus Kalk, was ihn, wie alle Kalksteine, sehr verwitterungsanfällig sein lässt. Doch das ist eine Eigenschaft, die erst im Laufe von Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten langsam bemerkbar wird. In den Jahren nach seiner Entdeckung und bei den ersten Verwendungen in den Münchener Großbauten dieser Zeit – zum Beispiel in der Residenz – war an seiner Festigkeit und auch Haltbarkeit nicht zu zweifeln.

Über hundert Arbeiter, verteilt auf wohl drei Steinbrüche, müssen um 1830, 1840 in Rohrdorf mit dem Abbau des Steins beschäftigt gewesen sein, das geht aus zeitgenössischen Presseberichten hervor. Darüber hinaus gibt es aber von diesem Erwerbszweig, der für eine kleine bäuerliche Gemeinde wie Rohrdorf doch ohne Frage von großer Bedeutung gewesen sein muss, sonderbarerweise keinerlei Spuren mehr: Keine Aufzeichnungen, keine Bilder, nichts. Nur über den Niedergang des Gewerbes gibt es noch eine Spur: Auf dem Gelände der Rosenheimer Kunstmühle stand ab 1835 eine Steinsäge, in der der Rohrdorfer Granitmarmor bearbeitet wurde. 1854 aber wurde die Steinsäge verkauft und auf dem Gelände die Kunstmühle errichtet – der Bedarf zumindest an großformatigen Steinen in höherer Stückzahl war offenbar nicht mehr gegeben.

Heute künden nur noch die ehemaligen Steinbrüche, verwachsen und zugewuchert von diesem Gewerbezweig. Einer von ihnen erwachte vor einigen Jahren noch einmal ganz kurz aus seinem Dornröschenschlaf: In München fasste man 2010 den Entschluss, die gelbe Treppe in der Residenz wiederherzustellen, deren Stufen aus Rohrdorfer Granitmarmor bestehen. Sie war nach den Zerstörungen eines Bombenangriffs im Jahr 1944 für die Öffentlichkeit unzugänglich geblieben und sozusagen als Ersatzteillager verwendet worden: Wann immer bei den anderen Treppen der Residenz etwas auszutauschen war, wurde es aus der Gelben Treppe entnommen. Für die Auffüllung dieser Lücken fanden sich in dem Steinbruch noch einige Blöcke, die genügend Größe und Materialstärke aufgewiesen haben. Die Gelbe Treppe ist seit Juni letzten Jahres wieder zugänglich und wegen ihrer Schönheit allein schon einen Ausflug in die Residenz wert. Sie ist aber noch mehr: ein sichtbarer Anreiz weiter nach Aufklärung für einen fast vergessenen Teil der Rohrdorfer Geschichte zu suchen.

Beitrag entstand in Kooperation mit dem Wendelstein Anzeiger – www.wendelstein-anzeiger.de


Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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