Zum zweiten Mal nach 2013 wurde den beiden Vereinen aus der Gemeinde Reichertsheim die Ehre zuteil, zum Weinlesefest in die Stadt Barr im Elsaß eingeladen zu sein. Die 7.000-Einwohner-Stadt, 30 Kilometer südwestlich von Straßburg, wirbt nicht ganz unbescheiden mit dem Slogan „Weinhauptstadt“ zu sein. Sie tut auch etwas dafür. Zum 66. Mal hat sie am ersten Oktoberwochenende das größte und älteste Weinlesefest im Elsaß ausgerichtet. Es hat Bedeutung weit über die Stadt und ihr Umland hinaus und zieht Besucher aus nah und fern an. Stadtverwaltung und Vereine sind enorm gefordert um alljährlich ein Programm aufzustellen das den Erwartungen entspricht.
Traditionsgemäß begann das Fest am Freitagabend mit der Wahl der örtlichen Weinkönigin. Auf volle Touren kam es aber dann ab Samstagmittag mit der Inthronisation der Weinkönigin, dem Aufdrehen des Mostbrunnens und der musikalischen Animation auf den Plätzen der Stadt. Da traten dann auch die Ramsauer Musikanten mit der Reichertsheimer Trachtentanzgruppe in Aktion. Erster Höhepunkt war das Galakonzert am Samstagabend am Rathausplatz. Dort spielten sie neben Musikgruppen aus Tirol, Belgien, dem benachbarten Baden-Württemberg und natürlich auch aus dem Elsaß. Die Reichertsheimer hatten eine halbe Stunde Zeit. Das reichte für 4 Musikstücke und 3 Tänze. Zweiter Höhepunkt war der Blumenkorso am Sonntag. Dort bildeten acht mit vielen Blumen geschmückte Wagen das Kernstück des Zuges; das Motto des Wagenschmucks in diesem Jahr waren europäische Hauptstädte wie London, Dublin, Athen und Rom; Berlin und Paris durften natürlich auch nicht fehlen. Dazwischen marschierten die Musikgruppen und belebten den Zug akustisch und optisch. Auch hier konnten sich die beiden Gruppen aus dem Landkreis Mühldorf wieder in Szene setzen und ihr Können vor großem Publikum unter Beweis stellen. Ein besonderes Plus der Reichertsheimer, das sie von den anderen Gruppen abgehoben hat, ist der gemeinsame Auftritt von Musikanten, Tänzern, Plattlern und Goaßlschnalzern. Die mit eindrucksvollen 6 Paaren auftretende Tanzgruppe, begleitet von einer 40 Personen starken Blasmusik hat schon etwas hergemacht, und das Publikum hat dementsprechend mit Beifall auch nicht gegeizt.
Für Trachtenverein und Musikkapelle sind solche Auftritte wichtig. Sie geben bei den Proben Gelegenheit, auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten. Auch motivieren sie die Mitglieder, ihr bestes zu geben. Das bedeutet ein gerütteltes Maß an Arbeit für die Vereinsmitglieder aber auch für die Funktionsträger im Vorstand. Insofern sind Veranstaltungen dieser Art, bei aller Ehre die sie bedeuten, nicht mehrmals im Jahr zu bewältigen. Aber nach der Berlinfahrt zur Grünen Woche im Januar des vorigen Jahres war diese Einladung schon zu machen. Auf jeden Fall war der Reisebus mit 60 Personen voll besetzt.
Die Teilnehmer konnten in den drei Tagen nicht nur ihr musikalisches oder tänzerisches Können zeigen. Die Begegnung mit musikalischen Kollegen sowie Brauchtums- und Folkloregruppen aus anderen Ländern und das Gespräch mit ihnen waren ebenfalls sehr wertvoll. Auch das Motto des Blumenkorsos mit den europäischen Städten war sehr attraktiv. Darüber hinaus war nichtmusikalisch einiges geboten: auf dem Hinweg am Freitag wurde die geschichtsträchtige Stadt, aber auch europäische Metropole Straßburg, Sitz des Europaparlaments, erkundet. Und am Samstagvormittag war die Reisegruppe, pünktlich zur hundertsten Wiederkehr des Waffenstillstandstags im Ersten Weltkrieg, auf dem Lingekopf in den Vogesen, einem der Hauptschauplätze des Konflikts im Elsaß. Dort konnten besonders gut Eindrücke gesammelt werden, da das seinerzeitige Schützengrabensystem auf einer Länge von 300 m nach wie vor im Originalzustand unterhalten wird. Das dortige erst vor kurzem erweiterte und modernisierte Museum veranschaulichte das Soldatenleben im Stellungskrieg. Viele Soldaten der bayerischen Armee waren dort in den Vogesen im Einsatz, darunter auch der Militärgeistliche Pater Rupert Mayer. Sogar persönliche Bezüge ergeben sich: Jakob Grundner, ein Großonkel des heutigen Trachtenvereinsvorsitzenden Gust Grundner, liegt auf dem deutschen Soldatenfriedhof Bärenstall in der Nähe des Lingekopfs, an dem er am 20. Juli 1915 gefallen war. Geführt hat der Vorsitzende des Vereins vom Lingekopf, General a.D. Dominique Muller. Die Gespräche mit ihm und anderen Vereinsmitgliedern waren ein Beitrag zum Zusammenwachsen Europas von unten. Erheblich mehr noch als auf dem Lingekopf konnten die Reiseteilnehmer während des Fests ins Gespräch mit der örtlichen Bevölkerung und auswärtigen Besuchern kommen. Musik und Tanz und Brauchtum haben hier Brücken gebaut und die Kommunikation für beide Seiten erleichtert.
Das LEADER-Management Mühldorfer Netz hat diese Bedeutung gewürdigt und leistet mit einem Zuschuss zu den nicht gerade geringen Kosten der Kulturfahrt aus dem Projekt „Unterstützung Bürgerengagement“ wertvolle Hilfe.
Text: Augustinus Grundner – Fotos: Michael Stumpf / Guillaumette Lauer, Barr