„Wassergerechtigkeit in Stadt und Land – Garant für gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen“ – Das war die zentrale Botschaft von Ehrenpräsident Prof. Holger Magel bei der Eröffnung des traditionellen Sommerkolloquiums der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum und der Hanns Seidel Stiftung „Wassergerechtigkeit in Stadt und Land!“, die am Montag, 10. Juli 2023, im Konferenzzentrum der HSS stattgefunden hat.
Nur ein gerechter Zugang zu Wasser (die sog. Wassergerechtigkeit) ist Garant für gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen. Mit dabei waren u.a. der Chef der Bayerischen Wasserwirtschaftsverwaltung MinDirig. Prof. Martin Grambow, die „Wasserpäpstin“ des Bayerischen Gemeindetags Dr. Juliane Thimet, der Präsident des Bayerischen Bauernverbands Günther Felßner, der Sozialethiker Prof. Martin Schneider von der Kath.Universität Eichstätt – Ingolstadt, die TUM Ordinarien Prof. Stephan Pauleit, städtischer Klima- und Resilienzspezialist und Prof. Jörg E. Drewes, Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltfragen (WBGU) sowie der Geschäftsführer des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) Gunnar Braun und viele mehr.
Deutlicher konnten die zum Konferenztag herrschenden tropischen Temperaturen im versiegelten und dadurch zusätzlich aufgeheizten München die Dringlichkeit des Themas nicht zeigen: Nicht nur die Temperaturen, Dürren und Unwetter aller Art nehmen zu, sondern auch die Verteilungskämpfe, so auch mehr und mehr um das „blaue Gold“ Wasser. MP Markus Söder sprach beim kürzlich dazu einberufenen Runden Tisch am 21. Juni sogar vom notwendigen Frieden um Wasser und erforderlichen neuen Ideen- gerade angesichts zunehmender Konfrontationen zwischen stark wasserverbrauchenden Städten und dem ländlichen Raum. Reine Gebete und fromme Appelle helfen da wohl wenig, es müssen neben der Vielzahl neuer Strategien und weitgreifender technischer Massnahmen zuallererst neues Bewusstsein und eine neue Wertehaltung her, meint Prof. Magel.
Darin wird er dezidiert von Alois Glück, dem Ehrenmitglied der Akademie und langjährigen stellv. Vorsitzenden der HSS, unterstützt. Die Problematik des Klimawandels mit allen einhergehenden Krisen und Verteilungskämpfen, so Glück, wurde jahrelang zu wenig ernst genommen. Nun ist es überfällig, all das endlich zu diskutieren und zwar auf angemessenem und nicht von bloßen Schlagwörtern bestimmtem Niveau. Gerade die gemeinsamen Sommerkolloquien von ALR und HSS seien für ihn immer der Platz qualitätvoller und von Werten bestimmter Argumentation und geistiger Auseinandersetzung gewesen.
Nachfolgend die Einführung von Prof. Magel zum Sommerkolloquium:
Vor gut einem Monat, am 1. Juni 2023, trat das neue Landesentwicklungsprogramm Bayern (LEP) in Kraft. Hierzu wurde am 10. Juni in den Samerberger Nachrichten berichtet. Kurz zuvor gab es noch eine mächtige Aufregung, weil die Regierungsparteien vom Teufel, sprich gewissen Lobbygruppen, geritten drauf und dran waren, den Trinkwasserschutz abzuschwächen. Als MP Markus Söder merkte, wie hochgefährlich das vor der Landtagswahl werden könnte, trat er wie schon beim Riedberger Horn den sofortigen Rückzug an. Darüber möchte ich jetzt nicht näher reden, sondern vielmehr auf etwas positives und neuartiges verweisen: Das fortgeschriebene LEP führt erstmals zur Begründung des Verfassungsgebots gleichwertiger Lebens – und Arbeitsbedingungen in Stadt und Land den bereits 2015 von der Enquetekommission „Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern“ (EK) entwickelten Begriff Räumliche Gerechtigkeit als ethisch – moralische Basis ein. Das ist ein großer Erfolg für die Enquetekommission. Seltsamerweise ist diese wichtige Einführung öffentlich – politisch sowie leider auch von Journalisten nicht recht gewürdigt worden.
Vielleicht wird aber diese Räumliche Gerechtigkeit mit ihren 4 Gerechtigkeitsdimensionen künftig umso intensiver diskutiert werden, je mehr auch die vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mitentwickelte Erdsystem-Gerechtigkeit (earth system justice) in den Vordergrund rückt. Diese kennt drei Gerechtigkeiten: die Gerechtigkeit unter den Nationen, Gemeinschaften und Einzelpersonen (Intragenerationelle Gerechtigkeit), die Gerechtigkeit für künftige Generationen (Intergenerationelle Gerechtigkeit) und die Gerechtigkeit für andere Lebewesen und die Stabilität des Erdsystems (Interspezies-Gerechtigkeit und Stabilität des Erdsystems). Es gibt also durchaus faszinierende Ähnlichkeiten zwischen dem 2023 geborenen Modell Earth System Justice und dem EK Modell der Räumlichen Gerechtigkeit.
Unseren die heutige Tagung bestimmenden Begriff Wassergerechtigkeit sucht man vergeblich im LEP. In der Studie „Earth system justice needed to identify and live within Earth system boundaries“ der Earth Commmission ( Gupta, J., Liverman, D., Prodani, K. et al ) ist immerhin von fair access, also gerechtem Zugang to water, die Rede.
Bezogen auf Bayern ist vielleicht eine eigene Herausstellung und Ausarbeitung nicht notwendig, weil Wassergerechtigkeit Teil der Räumlichen, der Territorialen, letztlich sogar der Erdsystem-Gerechtigkeit bei Sicherstellung gleichwertiger Lebens – und Arbeitsbedingungen oder – international gesprochen – bei jeder sustainable development im Sinne der SDG 2030 ist.
Warum ist das so? Auch bei der Wassergerechtigkeit, immer basierend auf global gültiger Menschenwürde und Menschenrechten, geht es um die 4 Gerechtigkeitsdimensionen Chancen-, Verteilungs-, Verfahrens- und Generationengerechtigkeit. Wie hiess die Schlagzeile am Freitag, 7.7. 2023 in BR 24: „Streit in Mindelheim: Wenn das Wasser nicht mehr für alle reicht. Wasserkraftbetreiber oder Fischzüchter – Wer hat Vorrang?“. Inzwischen vergeht kein Tag ohne solche Konfliktmeldungen, selbst im wasserreichen Südbayern. Es ist eben eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit und, wenn man deren Macht und Einfluß kennt, auch der Verfahrensgerechtigkeit, wenn mächtige Mineralfirmen unter dem Deckmantel Trinkwasser versuchen, immer mehr Grundwasser zu nutzen ; und wenn sie gar noch mehr in das Tiefengrundwasser vorstoßen wollen, ist es auch eine Frage der Generationengerechtigkeit.
Zur Chancen- und auch Enkelgerechtigkeit gehört für mich z.B. wenn man neue resiliente Anpassungsstrategien in den überhitzten Städten entwickelt oder spezielle wassersparende/- effiziente Landnutzungs- und Landbauformen im wasserarmen Nordfranken. Wir sind also gut beraten, wenn wir all unsere notwendigen Strategien und Massnahmen nach einem allgemeingültigen Wertemaßstab und -bewusstsein, dem Maßstab der Gerechtigkeit eben, ausrichten werden. Gerade auch die jüngst aufgekommene Diskussion um Einführung eines Wassercents auch in Bayern ist zutiefst eine Frage der (Wasser)Gerechtigkeit in all ihren 4 Dimensionen.
Bisher war alles so weit weg…
Ja, jetzt kommt`s knüppeldick und zwar alles auf einmal: Von Afrika, Asien, Amerika waren wir das ja lange schon gewohnt: Dürren, Waldbrände, verendende Tiere oder oft gleichzeitig heftige Überschwemmungen und Erosionen riesigen Ausmaßes, weil die ausgetrockneten Böden nichts mehr aufnehmen können oder weil natürliche Rückzugsräume verbaut und versiegelt wurden – aber es war ja Gott sei Dank so weit weg. Dürren in Spanien oder Süditalien machten da schon nervöser. Nun aber erleben wir auch bei uns immer häufigere Unwetter, Starkregen, Überflutungen, Hochwasser, Hitzerekorde, Dürren, Ernteausfälle, Umstellung auf neue Pflanzen z.B. wegen Gefährdung des traditionellen Weinanbaus, künstliche Bewässerung von Wald etc.
Klimawandel, Anthropozän und drohender Kontrollverlust auf allen Ebenen – das ist das alles überwölbende Thema auch heute
Wir können die Augen nicht mehr verschliessen: es geht nicht nur um neue Energien und Heizungen und die Rettung der Welt von Deutschland aus, sondern um den für Milliarden von Menschen noch viel existentielleren Zusammenhang, den wir lange nicht recht wahrhaben wollten: Land is life, Water is life – für Mensch, Tier, Landschaft, Umwelt, Wirtschaft und Klima. Beide – Land and Wasser – sind hochgefährdet. Zum von Klimawandel und Erderhitzung massiv beeinflußten Land and Water Management and Governance (siehe die FAO Studie „Land and Water Governance to achieve the SDGs in fragile systems“ ) kommt, wie auch die englische Bezeichnung meines ehemaligen TUM Lehrstuhls zeigt, Environmental Risk Management hinzu, das – so vor allem die Kritik von Univ.Prof. Exzellenter Emeritus und Ing.Kammer -Bau Präsident Norbert Gebbeken – im LEP viel zu kurz kommt. Da kann man ersatzweise noch so oft den Begriff Resilienz einführen – es ist einfach zu wenig.
Es scheint, dass wir jetzt erst das Thema in der Gesellschaft wirklich ernst nehmen, weil wir es nun am eigenen Leib verspüren. Was der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltfragen ( WBGU) vor 12 Jahren in seinem großen Gutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ schon gesagt und prophezeit hat, wird erst jetzt gelesen – und wenn, dann leider nicht richtig. Denn der WBGU hat von einem notwendigen Gesellschaftsvertrag mit den Menschen und Betroffenen gesprochen und nicht von Diktaten und Verboten. Er forderte neuartige Diskurse zwischen Regierungen und Bürgern und ein tiefes gemeinsames Verständnis über den notwendigen Wandel. Haben wir davon in den letzten Monaten irgendetwas gemerkt oder erlebt?
Als Staat, Bürgern und der Gesellschaft verpflichtete Akademie wollen wir geduldig und mit langem Atem an diesem partizipativen Weg und an neuen Diskursen mitarbeiten und die notwendigen Augenöffner sein, damit wir alle besser verstehen und dann erst aktiv werden können.
Am Ende der weitgespannten Vorträge und Diskussionen fasste Holger Magel folgendes Fazit zum Sommerkolloquium 2023:
- Nach Auffassung von Prof. Grambow haben wir Menschen uns im Zeitalter des Anthropozän in die heutige Situation hineinmanövriert. Wir müssen nun in einer Großen Transformation versuchen, hier wieder herauszukommen.Ein „starker“ Staat (A.Reckwitz) muss mehr Verantwortung für die Ressource Wasser als Gemeingut übernehmen und Resilienzstrategien entwickeln; die Bürger müssen durch konsequente Erziehung, Aus- und Fortbildung sowie Wertevermittlung dazu befähigt werden, sich um ihre Lebens- und Arbeitsgrundlage Wasser aktiv zu kümmern und bezüglich seiner Nutzung intelligenter und sorgsamer zu verhalten. Neue Beteiligungs- und ganzheitlich-interdisziplinäre Planungsformate sind dringend erforderlich.
- Die Diskussion über Räumliche und Wassergerechtigkeit muss in einem größeren Zusammenhang der planetaren Erdsystem – Gerechtigkeit geführt werden. Dazu muss der auf Nutzen für die Menschen ausgerichtete anthropozentrische Standpunkt erweitert werden hin zu einer ethisch ausgerichteten biozentrischen Sicht, bei der der Mensch nur Teil der Schöpfung ist. In diesem Sinne argumentiert ja schon die berühmte päpstliche Enzyklika „Laudate Si“.
- Unangetastet bei allen Ansprüchen an Wasser muss nach Auffassung von Dr. Juliane Thimet der absolute Vorrang öffentlicher Trinkwasserversorgung vor jedweder anderen Nutzung bleiben. Die Gemeinden sollten auch Verantwortung für das immer wichtiger werdende Brauchwassermanagement übernehmen.
- Die Idee der wasserzurückhaltenden bzw speichernden „Schwammstadt“ oder des Schwammdorfes ist keine Utopie mehr: wir können landesweit jeden Tag daran arbeiten und zur Verbesserung des Wohnklimas beitragen.
- Die Einführung und Verwendung des sog. Wassercents müssen unbedingt die Kriterien der Gerechtigkeit erfüllen, wobei im Kolloquium offen blieb, ob es hier überhaupt eine Gerechtigkeit für alle geben kann oder ob man sich mit einer unvermeidlichen Ungerechtigkeit („essential injustice“) abfinden muß.
Bericht und Bilder: Prof. Holger Magel
Die Frage der Wasser-Gerechtigkeit ist nicht neu, aber wie dargestellt, in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt worden. Ein Grund dafür liegt wohl in dem Umstand, dass Wasser ähnlich wie Luft als Allgemeingut gesehen wird und individuell als Gerechtigkeitsfrage erst empfunden wird, wenn der Wassernotstand in Form von Überfluss (Hochwasser) oder Mangel (Wassernot) auftritt. Deshalb wird bei der Wassergerechtigkeit politisches Handeln noch schwieriger werden, als dies bei der Boden- Gerechtigkeit geschieht. Bei der Boden-Gerechtigkeit treten die individuellen Nachteile deutlicher in Erscheinung und werden von der Politik deshalb auch öffentlichkeitswirksam beklagt, vereinzelt auch gegen gesteuert, doch wegen der Schwierigkeiten bei der Umsetzung nicht tatkräftig beseitigt. Für die Wasser-Gerechtigkeit ist deshalb ein langer Atem und Überzeugungskraft noch mehr gefordert.