Gesundheit & Corona

Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler zur aktuellen Corona-Krise

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Die Menschen, die Gesellschaft und die Wirtschaft stehen aufgrund der seit März vorigen Jahres wütenden Corona-Pandemie vor großen Herausforderungen. Zahlreiche Veränderungen betreffen nicht nur die einzelnen Personen, sondern in besonderer Weise auch Firmen und Vereine. Über die Fragen und Sorgen, mit denen sich viele Leute beschäftigen, konnten wir mit Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler (geb. 1948 in Augsburg) sprechen, er war ab 1995 Präsident der Bayerischen Landeszentralbank und von 2006 bis 2011 war er Vizepräsident der Deutschen Bundesbank und Vertreter des Präsidenten im Rat der Europäischen Zentralbank. Auch nach seiner Pensionierung ist Prof. Zeitler noch ein gefragter Finanz-Fachmann für Wirtschaft und Politik, eng verbunden ist er auch dem Bayerischen Trachtenverband. Dieser konnte sich mit ihm treffen und folgendes Interview führen und diese Fragen stellen.

Frage: Die gigantischen Summen, die zur Bewältigung der Corona-Krise zu vernehmen sind, wie kann man sich das einfach vorstellen?

Antwort: Schon auf der nationalen Ebene dürften es ca. 600 Milliarden zusätzliche Ausgaben, dazu noch etwa 900 Milliarden € für Kredite und Bürgschaften sein. Wir dürfen aber auch nicht die europäischen Verbindlichkeiten von insgesamt ca. 1.300 Milliarden € für den Wiederaufbaufonds, das Kurzarbeitergeld-Programm u.a. übersehen, die zu einem großen Teil von Deutschland verbürgt werden. Diese Summen kommen wohlgemerkt zu den regulären Haushalten in Deutschland und Europa hinzu.

Frage: Sind derartige Größenordnungen überhaupt zu verantworten?

Antwort: Zunächst ist eine Verschuldung des Staates in derartigen historischen Krisensituationen schon notwendig; alle, die in der Vergangenheit gegen die „Schuldenbremse“ und die „schwarze Null“ gewettert haben, müssen sich jetzt eigentlich entschuldigen; sonst hätten wir nämlich nicht den Spielraum,  zurückgehende Steuereinnahmen und zusätzliche Sozialleistungen wie Kurzarbeitergeld zu finanzieren.  Aber: auch wenn dem Staat gegenwärtig für seine Anleihen am Kapitalmarkt keine Zinskosten entstehen, darf man die Verschuldung nicht ungebremst wachsen lassen. Nur vom möglichst großen „Wumms“ zu sprechen, ist zu wenig; klassische Konjunkturprogramme machen ja während einer Pandemie schon deshalb keinen Sinn, weil  der Bürger das Geld  wegen Kontaktbeschränkungen und geschlossenen Läden gar nicht ausgeben kann. Zur Verantwortung gehört in erster Linie die Transparenz der Verschuldung in ihren unterschiedlichen Formen von sofortigen Ausgaben, Krediten und Bürgschaften. Insbesondere die europäischen Verbindlichkeiten dürfen nicht in einem finanzpolitischen „Niemandsland“ zwischen dem Verschuldungsverbot der EU und den nationalen Haushalten verschwinden, sondern müssen den letztlich garantierenden nationalen Haushalten zugerechnet und im  europäischen Stabilitätspakt offen ausgewiesen werden. Es gilt der Satz: Nur erkannte Gefahr ist gebannte Gefahr!

Frage: Lässt sich ein derartiger Schuldenberg jemals noch tilgen? Welchen Rat kann man der Politik aktuell geben?

Antwort: Aus derartigen Schulden kann man letztlich nur „herauswachsen“, d.h. das gesamtwirtschaftliche Wachstum muss deutlich über der Entwicklung der Schulden liegen, sodass der Anteil der Verschuldung im Lauf der Jahre wieder sinkt und der Kapitalmarkt das Vertrauen in die Schuldentragfähigkeit des Staates bzw. der europäischen Staaten nicht verliert. Für die Politik heißt das: Sie muss eine klare Wachstumsperspektive schaffen; nicht nur durch  Digitalisierung – das tun unsere Wettbewerber auch –, sondern auch durch eine wachstums- und leistungsfreundliche Steuer- und Abgabenpolitik; statt ständig über zusätzliche Lasten für die „starken Schultern“ zu reden – was in der Praxis stets eine Belastung des selbständigen und nicht selbständigen Mittelstands war, sollte man dafür sorgen, dass möglichst viele „starke Schultern“ in Deutschland bleiben und nach Deutschland und Bayern kommen, um hier Steuern zu zahlen! Auch beim Klimaschutz sollte man den Mut zu einem marktwirtschaftlichen Weg aufbringen, also einem internationalen Emissionshandelsystem, anstatt eine europäische Wirtschaftslenkungs-Bürokratie aufzubauen, bei der jede Branche und letztlich jedes Projekt von einer Behörde auf ihre Klimarelevanz hin untersucht wird, wie es derzeit unter dem wohlklingenden Begriff  einer „Taxonomie“ geplant wird.

Frage: Sind hier nicht die viel kritisierten Null-Zinsen der EZB auch eine Hilfe für mehr Wachstum?

Antwort: Niedrige Zinsen sind dann  ein Investitionsanreiz und Wachstumsanschub, wenn man von einem höheren und positiven Zinsniveau kommt und damit rechnen muss, dass die Zinsen  später  wieder steigen. Sind die Zinsen aber dauerhaft und auch in Wachstumsperioden niedrig oder sogar negativ – wie es im Euro- Raum seit 2014 der Fall ist – wird die „Wohltat“  bald zur Belastung: wie man in Japan besichtigen kann, führt die weitgehende Ausschaltung des Zinses als Kriterium für die Rentabilität von Investitionen zu einer dauerhaften Wachstumsschwäche; außerdem entsteht durch den im Euroraum auf bis zu 4 Billionen € angewachsenen Geldüberhang ein  gewaltiges Inflationspotenzial, das derzeit zwar nur ein „schlafender Riese“ ist, der aber bei einer Änderung der Markterwartungen nach Überwindung der Corona-Krise aufwachen könnte!

Frage: Ist Europa in der Corona-Krise ein Segen oder eine Sorge?

Antwort: der große Binnenmarkt ist auf jeden Fall ein eminenter Vorteil, um wieder schnell aus dem Tal der Krise herauszukommen. Auch gegenseitige Solidarität in der Krise, von praktischer Hilfe bei der medizinischen Versorgung bis zur finanziellen Hilfe sind ein Zeichen gemeinsamer europäischer Verantwortung. Eine Sorge ist aber, dass sich manche an den Satz Churchills erinnern „never waste a crisis“ und die Krise als Vorwand nutzen, bewährte Regeln und Kompetenzgrenzen der Europäischen Verträge ohne offenes und demokratisches Änderungsverfahren in einer Art „schleichendem Verfassungswandel“ aufzuweichen. So muss der neu geschaffene Wiederaufbau-Fonds („next generation“) auf die aktuelle Corona-Krise beschränkt bleiben und darf nicht als Modell für die Bewältigung künftiger „normaler“ wirtschaftlicher Rückschläge oder sozialer Probleme dienen. Helmut Kohl und Theo Waigel haben gewusst, warum sie zusammen mit der Einführung einer europäischen Währung die finanzielle Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten betont  und vertragliche Vorkehrungen gegen Gemeinschaftshaftung und Transferunion eingeführt haben. Andernfalls ginge der Anreiz der Mitgliedstaaten, ihre Wettbewerbsfähigkeit auch durch politisch schwierige Reformen zu verbessern, verloren und es käme zu Verteilungskonflikten und politischen Spannungen zwischen den Staaten. Zur Wahrung der Kompetenzgrenzen ist auch geregelt, dass die EU sich nicht selbst verschulden kann, sondern am Wachstum der Mitgliedstaaten orientierte Beiträge erhält. Das gleiche gilt für das Verbot, über die Notenbank, also die „Druckerpresse“, Staatshaushalte zu finanzieren, um von vorneherein den Weg in das „süße Gift der Inflation“ zu vermeiden. Das Problem Europas ist nicht die fehlende Gemeinschaftshaftung und Transferunion oder eine auf Preisstabilität festgelegte und begrenzte Geldpolitik; das Problem ist vielmehr zu wenig gemeinschaftliche Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik, von der Bewältigung der Migrationsströme über die Cybersicherheit bis zur militärischen Sicherheit als europäischen Pfeiler innerhalb der NATO!

Frage: Was bedeuten die aktuellen Entwicklungen zum Beispiel für Mittelstand und Tourismus?

Antwort: die Corona-Krise hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst, der weit über alle Förderprogramme hinaus gegangen ist und nicht nur die Unternehmen, sondern auch den „normalen Bürger“ erfasst; man denke nur an die „digitale Aufrüstung“ durch Fernunterricht zu Hause (home schooling) und das Büro zu Hause (home office). Gerade mittelständische Unternehmen und mittelständischer Tourismus haben  jetzt mehr Möglichkeiten, ihre  Kunden mit individuellen und flexiblen Angeboten anzusprechen. Wie bei allen technischen Entwicklungen gibt es aber auch Risiken, denen man rechtzeitig entgegentreten muss: so läuft der Marktzugang oft über Plattformen und Portale; deren Betreiber haben eine große Macht, einseitig zum Beispiel  die Positionierung und Rangfolge eines Anbieters,  Preise und u.U. verdeckte Provisionen festzulegen und vor allem den „Rohstoff des Jahrhunderts“, die Daten der Plattform-Teilnehmer, für ihre Zwecke zu nutzen. Damit hier Mittelstand und neu gegründete Unternehmen nicht zu kurz kommen, wäre in meinen Augen ein über die bisherigen Planungen hinausgehendes deutsches oder besser europäisches Digitalisierungs-Rahmengesetz notwendig.

Frage: Für die Vereine mit Jugendarbeit gibt es neue Situationen – gibt es Ratschläge für die Nach- Corona -Zeit?

Antwort: Leider müssen wir uns beim gegenwärtigen Stand der Impf-Möglichkeiten auf eine längere Zeit der Einschränkungen und möglicherweise auf eine „dritte Welle“ des Corona -Virus einstellen. Aber nach Überwindung der Pandemie wird wohl eine große Aufbruchstimmung kommen, eine Sehnsucht der Menschen, wieder Gemeinschaft zu zeigen und gemeinschaftliche Aktivitäten zu unternehmen; auf diese Chance sollten wir uns in den Vereinen und Organisationen jetzt schon vorbereiten.

Das Interview führte: Anton Hötzelsperger

Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler ist der Heimat- und Brauchtumspflege persönlich und mit seiner Familie eng verbunden. Als langjähriger Beirat beim Förderverein für das Trachtenkulturzentrum in Holzhausen hat er sich stark für eine solide Finanzierung des Projektes vom Bayerischen Trachtenverband eingesetzt und auch Wege für Zuschüsse aufgezeigt. Zu seinem 70. Geburstag im Jahr 2018 überreichte ihm Landesvorsitzender Max Bertl das Buch „Trachtenlandschaft Bayern“.

 Fotos: Hötzelsperger – 1. Porträt Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler  – 2. Landesvorsitzender Max Bertl vom Bayerischen Trachtenverband gratuliert zum 70. Geburtstag – 3. Prof. Zeitler bei der Versammlung des Fördervereins für das Trachtenkulturzentrum in Holzhausen im Jahr 2009.

 

 


Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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