Der erste der ausgewilderte Bartgeier hat heute die Felsnische im Klausbachtal verlassen – In den kommenden Wochen im Nationalpark zu beobachten
Genau vier Wochen nachdem der Nationalpark Berchtesgaden zusammen mit dem bayerischen Naturschutzverband LBV im Klausbachtal über 100 Jahre nach ihrer Ausrottung in Deutschland die ersten Bartgeier ausgewildert hat, hat heute das erste der beiden jungen Bartgeierweibchen die Felsnische verlassen. „Heute Morgen hat uns Bavaria um 5:19 Uhr alle überrascht. Nationalpark-Praktikant Sebastian hatte gerade die üblichen morgendlichen Flugübungen beobachtet und protokolliert, als Bavaria mit ein paar kräftigen Flügelschlägen wie ein Senkrechtstarter plötzlich aufstieg und aus der Nische segelte. Nun ist der Bartgeier wieder ein Teil unserer faszinierenden Natur in den bayerischen Alpen und wir sind überglücklich, dass alles so gut geklappt hat“, sagt das Bartgeier-Team von Nationalpark und LBV unisono.
Der Jungfernflug der jungen Bartgeierdame verlief unerwartet elegant und nachdem sie nach 100 Metern sogar noch eine Kurve flog, landete sie außer Sichtweite in einer Wiese. „Beim Bartgeier ist der erste Ausflug kein erhabener Moment, sondern eher vergleichbar mit einem erfolgreichen großen Hopser. Aufgrund seiner Ausmaße kann der größte Vogel der Alpen gar nicht von einem Tag auf den anderen plötzlich anfangen, schon wie der König der Lüfte zu segeln“, erklärt LBV-Projektleiter und Bartgeierexperte Toni Wegscheider. Bis der zweite Jungvogel zum ersten Flug ansetzt, ist es nur noch eine Frage der Zeit: „Wenn der erste Bartgeier einmal ausgeflogen ist, hat das einen Zugeffekt auf den Zweiten und so wird Wally in den nächsten Tagen wohl bald nachziehen und Bavaria folgen“, so Nationalpark-Projektleiter Jochen Grab. Wally live per Webcam mitverfolgen kann man unter www.lbv.-de/bartgeier-webcam sowie auf der Webseite des Nationalparks Berchtesgaden.
In den vergangen vier Wochen haben die beiden Bartgeierweibchen ihr Flugtraining in der gesicherten Auswilderungsnische von Tag zu Tag intensiviert. Beide waren am Tag ihrer Auswilderung am 10. Juni nicht flugfähig, hatten sich aber sehr gut entwickelt und sowohl an Gewicht als auch an Flügelspannweite zugelegt. „Die meisten ausgewilderten jungen Bartgeier machen zwischen dem 120. und 125. Lebenstag ihren Jungfernflug. Bavaria konnte es aber wohl nicht mehr erwarten und startete schon mit 119 Tagen in die Freiheit“, freut sich Jochen Grab. Im Anschluss an ihren Erstflug bewegte sich Bavaria erstaunlich leichtfüßig durchs Gelände. Junge Bartgeier müssen vor dem ersten Ausflug nicht nur ihre Flügel, sondern auch ihre Beine kräftig trainieren. Bei Gleitstrecken von zunächst nur 50 bis 100 Metern können sie gerade in der ersten Woche nach der Landung nicht immer gleich wieder starten. Stattdessen müssen sie regelmäßig mühsam erst den Berg zum nächsten geeigneten, höhergelegenen Abflugpunkt wieder aufsteigen, um erneut in die Luft zu starten. „Das sind jetzt noch keine Präzisionsflieger. Jeder Tag mehr Entwicklung in der Nische bringt Vorteile, denn umso stressfreier wird es für alle Beteiligten. Je später sie ausfliegen, umso eleganter geht es und umso sicherer sind sie vor möglichen Bedrohungen, weil sie dann auch nicht mehr so lange in Wiesen herumsitzen und nur wenig fliegen“, weiß LBV-Biologe Wegscheider.
In Vorbereitung auf den ersten Ausflug hat das Bartgeier-Team von Nationalpark und LBV bereits in direkter Umgebung der Nische Futter ausgebracht, das auch fußläufig für die beiden Geier erreichbar ist. „Die Knochen werden so ausgelegt, wie die Bartgeier sie in der Natur finden würden, also nicht einfach in der Wiese, sondern zum Beispiel in Rinnen wo auch sonst das Fallwild zum Liegen kommt“, erklärt Jochen Grab. In die Nische werden die Projektmitarbeiter nach dem baldigen Ausflug von Wally keine Knochen mehr werfen, weil auch die Elternvögel in der Natur dann keine Nahrung mehr ins Nest bringen würden. In der direkten Umgebung der Felswand werden die Projektmitarbeiter von LBV und Nationalpark auch in den kommenden Wochen immer vor Ort sein und das Verhalten der beiden Bartgeier weiterhin genauso intensiv überwachen wie bisher. Für den Notfall, dass einer der Vögel sich bei seinen Flugübungen verletzt, könnte dann auch eingegriffen werden.
Die beiden Bartgeierweibchen werden sich zunächst nur im Aufwindbereich der bekannten Felswand aufhalten und sich erst nach ein bis zwei Wochen hinaus in den Luftraum wagen. Dann werden sie einige Wochen in einem Radius von rund zwei Kilometern um die Nische verbringen. Mit dem weiteren Aufbau ihrer Flugmuskulatur werden ihre Flugversuche dabei sukzessive eleganter werden. „Die erste Woche wird dabei sehr mühsam, doch danach wird man schnell Verbesserungen bemerken und die Manövrierfähigkeit wird sich steigern. Bavaria und Wally werden ihre Beweglichkeit in der Luft immer weiter verbessern“, erklärt Wegscheider. Die Trainingsflüge werden dabei immer besser werden und die Junggeier werden zunehmend mit Thermik und Turbulenzen zurechtkommen. Nach ein bis zwei Monaten werden sie das Klausbachtal endgültig verlassen und außerhalb des Einflussbereichs der Beobachter nicht mehr zu sehen sein. „Das wird kein einfacher Moment, aber genau das wollen wir ja erreichen“, gibt Wegscheider zu.
Trotzdem werden die Projektmitarbeitenden wahrscheinlich noch bis Oktober weiterhin Futter auslegen, denn selbst wenn Geier sich weiter von ihrem Auswilderungsort entfernen, können sie immer für Futter wieder in die Region zurückkehren, sollten sie einmal nichts finden. So bekommen die Junggeier die Zeit, die sie brauchen, um sich zu entwickeln. „Das ist auch einer der Erfolgsfaktoren dieser Auswilderungsmethode: der Kühlschrank zuhause ist immer gefüllt. Es wird also etwas Essbares zu finden sein werden, wenn man heimkommt“, verspricht Wegscheider. Erst wenn Bavaria und Wally sich länger nicht mehr zeigen, wird das Projektteam aufhören, Knochen für sie auszulegen.
Bei ihren zukünftigen Ausflügen und Streifzügen durch den Nationalpark Berchtesgaden und später durch die Alpen werden die beiden Bartgeierweibchen in den kommenden zwei Jahren auch dank ihrer eindeutigen Flügelmarkierungen mit dem Fernglas zu erkennen sein. „Dabei lassen sie sich ganz einfach unterscheiden: Wally mit dem Doppel-L im Namen hat ihre zwei unterschiedliche Bleichstellen in derselben Schwinge. Bavaria mit dem V im Namen hat unter anderem zwei gebleichte Federn im Stoß, der als Schwanz ja ähnlich wie ein der Buchstabe V geformt ist“, erklärt Jochen Grab. Wer Wally und Bavaria künftig außerhalb des Auswilderungsbereichs entdeckt, der wird gebeten, alle Sichtungen der beiden Geier per E-Mail zu melden unter bartgeier@lbv.de. Wenn möglich sollte dabei der Geiername, die Flugrichtungen – also woher und wohin – und mögliche Aktivitäten beschrieben werden. „Am wichtigsten ist uns dabei allerdings, dass immer ein Foto oder Video mitgeschickt wird, selbst wenn es nur unscharf mit dem Smartphone aufgezeichnet wurde“, bittet LBV-Biologe Toni Wegscheider.
In Kürze werden dank der angelegten GPS-Sender auch die Flugrouten der beiden Bartgeier auf einer Karte auf der LBV-Webseite www.lbv.de/bartgeier-auf-reisen mitzuverfolgen sein. Dabei werden die Senderdaten der Öffentlichkeit allerdings mit einer Verzögerung von drei Tagen angezeigt. „Dies dient der Sicherheit der Vögel und trotzdem erfährt jede und jeder, wo sie überall hingeflogen sind. So können wir zum Beispiel Schlafplätze geheim halten und die Vögel vor zu viel menschlicher Aufmerksamkeit schützen“, sagt Wegscheider.
Am offiziellen Bartgeier-Infostand auf der Halsalm, der direkt auf einer Wanderroute liegt, können sich in den kommenden Wochen alle Interessierten täglich bei den Projektmitarbeitenden erkundigen, wo genau sich Bavaria und Wally gerade im Nationalpark aufhalten und wo man sie beim Beobachtungen am wenigsten stört. Vor allem Naturfotografen sind angehalten, großen Abstand zu den beiden Bartgeiern zu halten. Nationalpark-Ranger sind vermehrt im Einsatz, um die jungen Bartgeier vor aufdringlichen Gästen zu schützen. Sowohl der LBV als auch der Nationalpark Berchtesgaden bieten regelmäßig Bartgeier-Führungen an, eine Anmeldung ist erforderlich. Informationen gibt es unter www.nation
Pressemitteilung Nationalparkverwaltung Berchtesgaden vom 8.Juli