Leitartikel

Nachruf Dr. Jan Bodo Sperling – II

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Von Christiane Giesen – „Geschenke des Lebens an die Gesellschaft zurückgeben“  Dr. Jan Bodo Sperling starb im Alter von 96 Jahren in Marquartstein

 Über 50 Jahre lang lebte Dr. Jan Bodo Sperling mit seiner Familie in Schleching im Achental – einem winzigen Dorf – im Vergleich zu seinen bis dahin erlebten Einsatzorten auf der ganzen Welt. Hier widmete er sich neben seiner beruflichen Arbeit von Anfang an sehr engagiert ehrenamtlichen Aufgaben im Dorf und der evangelischen Kirchengemeinde. Ursprünglich um die Schlechinger Musikschule zu retten, gründete er 1997 er den Kulturförderverein, dessen Vorsitzender er zehn Jahre lang war, durch seine Aktion „Rettet den Klobenstein“ konnte das Wirtshaus nach dem Großbrand im Jahr 2000 wieder aufgebaut werden. Er rief die Förderstiftung des Ökomodells Achental ins Leben, beriet häufig Jugendliche, die sich bei beruflichen und Bewerbungsfragen an ihn wandten und gab sogar regelmäßig einen englischen Sprachkurs für Bäuerinnen, die sich auf den englischsprachigen Tourismus vorbereiten wollten. All das auch noch im hohen Alter mit über 80 Jahren und reichster beruflicher Erfahrung in vielen Ländern der Erde.

„Mir ist ein so reichhaltiges, interessantes Berufs- und harmonisches Familienleben geschenkt worden, dass ich mich seit Jahren bemühe, diese Geschenke des Lebens an die Gesellschaft zurückzugeben“, begründete Dr. Sperling sein vielfältiges Engagement bei einem Gespräch mit der Autorin dieses Nachruf

Jugend gezeichnet vom Krieg

Jan Bodo Sperling wurde am 7. Januar 1928 in Braunschweig geboren. Er war 13, als sein Vater, ein Offizier, im ersten Weltkrieg fiel, seine Schwester Monika, die noch heute in Schleching lebt, war damals erst ein Jahr alt. Beide wuchsen bei der Mutter auf. Rückblickend bezeichnete sich Sperling durch seine Jugend im Krieg als „schock-gereift“: er war mit 14 Jahren Haus-Luftschutzwart in Hannover, total ausgebombt, Flakhelfer in Braunschweig, Reichsjugendführer der Hitlerjugend, dann unter der englischen Besatzungsmacht im Zuchthaus und Internierungslager. Nach dem Abitur absolvierte Sperling erst eine Lehre als Zimmerer, dann als Sägewerks-Facharbeiter und schließlich als Industriekaufmann. Danach, mit 24 Jahren, studierte er Volkswirtschaft in Göttingen und Marburg und arbeitete zwei Jahre lang als Geschäftsführer der Holzgroßhandlung seines Onkels in Braunschweig.

Rourkela in Indien

Sperlings wichtigste Station im Leben, war die Stelle in Rourkela, Indien, wo er im Auftrag der Firma Krupp vier Jahre lang, von 1958 bis 1962, für den Aufbau eines deutschen Stahlwerks verantwortlich war. 4000 Deutsche und rund 60 000 Inder waren hier beschäftigt. Sperling war als Leiter des „German Social Centre“, als „Sheriff von Rourkela“ (wie ihn der „Spiegel“ damals bezeichnete) für das reibungslose Zusammenleben von Deutschen und Indern auf der Großbaustelle zuständig. Bei Monsun, Hitze, Krankheiten und Tropenkoller musste er sich um alles kümmern, was das tägliche Leben dieser aus allen Teilen und Schichten Deutschlands nach Rourkela geströmten Deutschen betraf: die höchst ungewohnten Arbeits- und angespannten Lebensbedingungen der Deutschen, zumeist ohne Frauen, die Zusammenarbeit mit den Indern, die Sprachschwierigkeiten und Reibereien aller Art. In einem Artikel des „Stern„ von 1959 wird Sperling als “drahtiger, junger Mann, offen und von zupackender Art“ beschrieben. Auf die Frage nach den Zuständen im Lager sagte er dem „Stern“:“… Sicherlich haben wir ein paar, wenn ich so sagen darf, schwarze Schafe unter uns. Natürlich kommen aus Kalkutta Flittchen herüber. Sie können sie abends vor dem Klub spazierengehen sehen. Natürlich hat es auch ein paar Geschichten mit Eingeborenenfrauen gegeben. Aber das sind Ausnahmen. Unsere Monteure sind abends viel zu müde. Sie gehen noch in den Klub ein Bier trinken. Dann fallen sie in die Koje. Frühmorgens müssen sie wieder raus. Sie haben es nicht leicht. Die Masse der indischen Arbeiter kommt direkt aus dem Dschungel, aus Dörfern, in denen noch mit Pfeil und Bogen gejagt wird. Sie haben vor ein paar Monaten noch nie einen Schraubenschlüssel gesehen, geschweige  denn ein Stahlwerk. Da passieren dann schon Geschichten, die man ihnen nicht übel nehmen kann…“. Als zentraler Mann der 40-Firmen-Baustelle, über die in aller Welt berichtet wurde, war Sperling Gastgeber vieler bekannter Persönlichkeiten, die alle nach Rourkela kamen, um sich das Projekt anzuschauen, zum Beispiel Theodor Heuß, Ludwig Erhard, Alfred Krupp von Bohlen und Halbach, Jawarhal Nehru, Heinrich Lübke, Walter Scheel als Entwicklungshilfeminister und viele andere.

Ausgehend von seiner Tätigkeit in Rourkela studierte Sperling ab 1962 Psychologie und Soziologie in Aachen, wo er auch drei Jahre lang Assistent bei Klaus Mehnert war. Die Erkenntnisse seiner Arbeit in Indien fasste er in seiner 1965 geschriebenen Doktorarbeit „Die Rourkela-Deutschen“ zusammen, die kurz darauf als Buch in Deutschland und Amerika erschien. In der Soziologie sind die „Rourkela-Deutschen“ bis heute ein bekannter Begriff, denn die Arbeit mit ihnen enthält für alle in der Entwicklungsgeschichte Beschäftigten viele Erkenntnisse. Durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgesellschaft konnte Sperling anschließend an der Harvard-Universität studieren. Dabei arbeitete er ein Jahr lang unter dem damaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger am „Centre for International Affairs“. 1967 erhielt er ein Angebot der UNO, für die er künftig 12 Jahre lang tätig war und alle an seinen früheren Stellen erworbenen Kenntnisse einbringen konnte. Im Auftrag der UNO war Sperling in verschiedenen Städten wie Genf, Rom, New York und zuletzt Turin stationiert, wo er ein UNO-College von 300 Instruktoren und Professoren leitete. Von diesen Städten aus wurde er in vielen Entwicklungsländern eingesetzt, zum Beispiel beriet er mehr als zehnmal den damaligen Schah Reza Pahlevi in Aus- und Fortbildungslagern des Landes. Im Auftrag der UNO war er ihm auf diese Weise bei der „Weißen Revolution“ behilflich, das heißt bei dem Versuch, sein Land in Richtung auf einen europäischen Staat hin zu modernisieren.

Auf der Todesliste

Der Einsatzort Turin war 1979 schließlich Sperlings letzte Station bei der UNO. Der Grund: als höchster UNO-Beamter stand er in Italien mit der ganzen Familie auf der Liste der Roten Brigaden, was einem Todesurteil gleichkam. Rückblickend sprach Sperling von „erschütternden Erfahrungen mit der eigenen Angst“. Rund um die Uhr wurde die Familie von der Geheimpolizei bewacht. Schließlich „wurde es einfach zu viel“, sagte Sperling, so dass er und seine Frau beschlossen „auszusteigen – egal, was nachkommt“. Nach so vielen Jahren im Ausland, ohne alle beruflichen Beziehungen fühlte er sich in Deutschland erstmal „wie vor dem Nichts“. Das 1970 in Schleching gekaufte Ferienhaus wurde nun zur festen Bleibe der Sperlings. Zur Überbrückung nahm Sperling einen Lehrauftrag in Linz an und veröffentlichte eine Reihe soziologischer Fachbücher. Schließlich erinnerte er sich an die Firma Coverdale London, mit der er in der Entwicklungshilfe öfter zu tun hatte. 1980 gründete Sperling die deutschsprachige Niederlassung der Firma Coverdale, eine internationale Management-Beratungsfirma, die sich hauptsächlich mit Fragen der Zusammenarbeit, Team-Management, Fusionen und ähnlichem beschäftigt. Die Firma bietet Kurse für Unternehmen in acht Sprachen an, so dass jeder Mitarbeiter mindestens drei Sprachen gut beherrschen muss. Das Unternehmen agiert heute auch in der Schweiz, Österreich, der Tschechei und Russland. Auch beim Aufbau dieser Firma bemühte sich Sperling um moderne, menschenfreundliche Methoden: die Gehälter sind transparent, es gibt Grundgehalt und Bonus, also eine flexible Bezahlung. Der erwirtschaftete Gewinn wird jährlich verteilt. In den letzten Jahren seines Lebens machte ihm und seiner Frau die Gesundheit immer wieder das Leben schwer, so dass beide vor rund drei Jahren ins Wohnstift Marquartstein zogen, wo sie rundum gut betreut waren. Das Haus in der Schlechinger Au wurde verkauft. Ein schwerer Schlag für Bodo Sperling war der Tod seiner Frau Brigitte nach langer Krankheit. Beide hatten sich Jahrzehnte lang aktiv in der evangelischen Kirchengemeinde im Achental und der Diakonie engagiert. Besonders mit Pfarrer Ekkehard Purrer arbeitete das Ehepaar auch in der Ökumene viel zusammen.

Am Samstag, 24. Februar, um 14 Uhr hält Pfarrer Purrer den Trauergottesdienst für seinen Freund  Jan Bodo Sperling in der Schlechinger Pfarrkirche St. Remigius. Anschließend ist die Urnenbeisetzung im Neuen Friedhof. Jan Bodo Sperling hinterlässt eine Tochter und zwei Söhne sowie fünf Enkel.                                                                                       .

Bericht: Christiane Giesen –  Foto: Veronica Frenzel  Repro:  Giesen – Dr. Jan Bodo Sperling

 


Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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