„Mumien – Archive des Lebens“ – diesen Titel trägt die Ausstellung, die von 13. April bis 3. Oktober 2019 im Naturkunde- und Mammut-Museum Siegsdorf zu sehen ist. Sie wurde von den renommierten Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim zusammengestellt und an die Räume in Siegsdorf adaptiert. Am 4. Oktober werden die Mumien dann wieder verpackt, um wenige Tage später in Tokio gezeigt zu werden. Eine sicherlich einzigartige Aneinanderreihung von Ausstellungsorten: Mannheim-Siegsdorf-Tokio.
Diese Ausstellung ist kein Gruselkabinett, sondern das Produkt eines wissenschaftlichen Projekts. Das „German Mummy Project“ wird seit 2004 bei den Reiss-Engelhorn-Museen betrieben. Dadurch lassen sich Informationen zu Herkunft, Alter, Lebensweise, Gesundheitszustand, mitunter auch die Todesursache und Bestattungspraktiken der Menschen gewinnen.
Neueste Forschungsergebnisse und ihre kulturgeschichtliche Bedeutung stehen dabei ebenso im Fokus wie die Präsentation wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden, die aus der modernen Mumienforschung nicht mehr wegzudenken sind.
Mumifizierung ist grundsätzlich ein natürlicher Prozess, der in Kraft tritt, wenn extreme klimatische Verhältnisse wie Trockenheit, Kälte, salzhaltige Umgebung oder Luftzug die Verwesung eines Körpers aufhalten. Der tote Körper vertrocknet, behält jedoch seine Form. Verändern sich die Umstände, kann ein Körper auch noch nach Jahrtausenden wieder in Verwesung übergehen und sich auflösen.
Mit hochmoderner medizinischer Technik kann eine Mumie „durchsichtig“ werden, ohne den empfindlichen Körper zu zerstören. Beispielgebend ist dafür die Mumie M2, eine Frau aus Südamerika. Sie liegt auf dem Rücken, hat ihre Arme vor dem Bauch verschränkt und beide Hände zur Faust geschlossen. Durch das bildgebende Verfahren der Computertomografie (CT) wurde der Körper der Mumie Schnittbild für Schnittbild sichtbar gemacht. Kleine Gegenstände in den Händen der Frau M2 erregten die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler. Die CT-Daten wurden auf einen 3D-Drucker übertragen, der ein erstaunliches Ergebnis ans Licht brachte: zwei menschliche Milchzähne. Diese durch den 3D-Druck erzeugten Zähne sind in der Ausstellung zu sehen. Warum die Frau sie in ihren Händen hält?
Die Mumienforschung kann das Leben vergangener Kulturen detailliert und kenntnisreich darstellen. Große Fragezeichen bleiben allerdings im Bereich Religion, Kult und Glaube, die oft recht rätselhaft erscheinen. So wurden im Alten Ägypten nicht nur Menschen, sondern auch Tiere mumifiziert und bestattet. Millionen von Tiermumien verweisen auf einen wichtigen religiösen Kult, aber auch auf einen bedeutenden Wirtschaftszweig: Produktion von Leinenfasern und –binden, Beschaffung von Harzen und Ölen zur Balsamierung bis hin zur absichtlichen Aufzucht von Tieren wie Krokodile, Ibisse, Affen speziell für die Mumifizierung.
Wenn es die Umweltbedingungen zulassen, können Mumien auf unterschiedliche Weise entstehen. Am bekanntesten sind wohl Eismumien. Dazu gehören die Funde von Eiszeittieren aus dem Sibirischen Permafrostboden, wie das 39.000 Jahre alte Mammutbaby Dima und Haut- und Haarreste vom Mammut. Zu den Eismumien gehören auch Gletschermumien, unter denen als Spezialfall die Feuchtmumie von Ötzi Weltruhm erlangte. Ötzi ist das Paradebeispiel einer Mumie, an dem interdisziplinäre Untersuchungen eine Fülle von Erkenntnissen zu seinem Leben ergaben. Das Institut für Mumienforschung der Eurac Research mit Sitz in Bozen hat von seinem Erbgut bis zu seiner Todesursache das meiste entschlüsselt.
Text: Naturkunde- und Mammut-Museum Siegsdorf
Foto: Wilfried Rosendahl – Bildunterschrift: Mumienkopf eines Mannes mit Bandagenresten. Von der ursprünglich vollständigen Umwicklung des Kopfes sind nur noch Reste an Gesicht und Oberkopf erhalten. Eine Radiokarbondatierung ergab, dass die Person in griechisch-römischer Zeit (200 v. Chr. – 70 n. Chr.) gelebt hat. Wie die computertomographische Analyse zeigte, handelt es sich um einen Mann zwischen 35 und 45 Jahren. Die Untersuchung offenbarte außerdem Veränderungen an einer „Sella turcica“ genannten, knöchernen Struktur der Schädelbasis, die auf einen Tumor an der Hirnanhangsdrüse hindeuten. Ein derartiger Tumor kann zu einer Erkrankung namens Akromegalie führen.