Radtour nach Rom – Missbrauchsbetroffene aus München treffen mit dem Fahrrad in Rom ein Forderung nach Aufarbeitung und Prävention sexuellen und spirituellen Missbrauchs an Papst Franziskus
Bei einer Audienz am Mittwoch, 17. Mai, haben Missbrauchsbetroffene, die mit dem Fahrrad von München nach Rom gepilgert waren, Papst Franziskus das Kunstwerk „Heart“ von Michael Pendry und einen Brief überreicht. „Die Opfer von Missbrauch und Gewalt aus dem Erzbistum München und Freising kommen Ihnen, Heiliger Vater, mit offenen und zugleich verwundeten Herzen entgegen“, heißt es darin. Das Kunstwerk zeige ein Herz, das viele offene Stellen habe, Einblicke zulasse, kantig und verletzt sei. „Auch in unserem Innern, in der Mitte unseres Wesens, in unserer Herz-Mitte sieht es so aus“, so der Brief der Pilger und Pilgerinnen weiter. „Bis heute ist der Weg der Heilung eine gewaltige Herausforderung, einigen gelingt er unter mühsamem Ringen, für andere ist er – trotz allen Mühens und der Sehnsucht danach – nicht möglich.“ Als Betroffene seien sie „verwundete, gedemütigte und für ihr Leben gezeichnete Frauen und Männer – zugleich aber auch Frauen und Männer, die sich nicht mit dem Geschehenen abfinden“.
Die Pilger und Pilgerinnen formulieren in ihrem Brief einen klaren Appell an Papst Franziskus: „Wir erwarten, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, dass in alle Winkel der Weltkirche hinein das Thema sexueller wie spiritueller Missbrauch gesehen, aufgearbeitet und durch entsprechende Präventionsmaßnahmen unterbunden wird.“ Anfänge seien gemacht, aber es brauche „weiterhin ein starkes und klares Engagement aller Verantwortungsträger innerhalb der Kurie und in die Diözesen der Weltkirche hinein“.
Organisiert haben die Reise Dietmar Achleitner, Richard Kick und Kilian Semel vom Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising sowie Robert Köhler von der Initiative „Wir-wissen-Bescheid.de“ des Vereins „Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer“. „Die Erwartungen und Hoffnungen der Gruppe haben sich erfüllt, die Begegnung mit dem Papst war sehr bewegend. Ich habe das Gefühl, dass auch er die Eindrücke aus der Begegnung weiter mit sich tragen wird“, erklärt Kilian Semel nach der Begegnung mit Papst Franziskus. „Die Reise hat mich noch zusätzlich bestärkt, dass ich meinen Missbrauch wirklich überwunden habe“, ergänzt Dietmar Achleitner: „Ich sehe in der Herz-Skulptur, die wir dem Papst überreicht haben, auch meine Seele. Am Papst hat mir seine Freundlichkeit gefallen.“ Für Richard Kick hatte das „Symbol des Herzen Erfolg: Die Menschen auf dem Weg nach Rom waren berührt. Selbst Papst Franziskus hat es verstanden und gesagt, dass er für uns beten wird und wir für ihn.“ Und auch für Robert Köhler war die Begegnung mit Papst Franziskus „gut, er ist sehr auf uns eingegangen. Auf dem Weg nach Rom haben wir einige Geistliche getroffen und wir sehen, wie notwendig es ist, zum Thema Missbrauch flächendeckend sprachfähig zu werden.“
Am Vortag der Audienz, Dienstag, 16. Mai, hatten die rund 15 Missbrauchsbetroffenen sowie Begleiterinnen und Begleiter Rom erreicht. An der Piazzale Socrate wurden sie von Christoph Klingan, Generalvikar des Erzbischofs von München und Freising, Stephanie Herrmann, Amtschefin des Erzbischöflichen Ordinariats München, und Achim Schkade, Stellvertreter des deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl, empfangen. „Ich gratuliere den Pilgern und Pilgerinnen zu ihrem beeindruckenden Projekt und zum Erreichen des Ziels ihrer Fahrt hier in Rom“, betonte Generalvikar Klingan. „Sie haben ein starkes Zeichen gesetzt hinein in die Öffentlichkeit, bei uns im Erzbistum, wie auch in Italien und in der Kirche insgesamt, was durch die Begegnung mit Papst Franziskus deutlich wird. Die Botschaft ist und bleibt aktuell: Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt ist nicht abgeschlossen. Wir als Erzdiözese wollen jedenfalls weiter an Aufarbeitung und Prävention arbeiten, dabei die Betroffenen konsequent in den Mittelpunkt stellen und uns an ihren Anliegen und Bedürfnissen orientieren. Die vielfältige Unterstützung dieser Radpilgerreise verstehen wir als eine Bekräftigung dessen.“ Der Erzdiözese sei es auch künftig wichtig, Projekte und Vorhaben von Betroffenen nicht nur finanziell und organisatorisch zu unterstützen. Die Radpilgerreise habe gezeigt, was in diesem Bereich an Zusammenarbeit möglich sei. „Ich bin sehr dankbar für die Idee und die Initiative und hoffe, dass die Reise auch für die Pilger und Pilgerinnen fruchtbar war im Sinne von Ermutigung, dem Bewusstsein, etwas bewegen zu können und vielleicht ganz persönlich zu Schritten der Heilung und Bewältigung ihrer leidvollen Erfahrungen“, so der Generalvikar.
Am Donnerstag, 18. Mai, treffen die rund 15 Missbrauchsbetroffenen sowie Begleiterinnen und Begleiter Pater Hans Zollner, den Direktor des Instituts für Anthropologie der Päpstlichen Universität Gregoriana, zu Gesprächen über sexualisierte Gewalt, Aufarbeitung und Prävention. Am Samstag, 6. Mai, waren sie vom Münchner Marienplatz aufgebrochen. Ihre Radpilgerreise stand unter dem Motto „Wir brechen auf! Kirche, bist du dabei?“. Unterwegs setzten sich die Radpilger mit sexualisierter Gewalt auseinander, um Veränderungen im Umgang mit Betroffenen sowie in der Aufarbeitung anzustoßen. An verschiedenen Stationen ihrer Reise trafen sie sich mit kirchlichen und staatlichen Vertreterinnen und Vertretern, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, zum Beispiel in Schäftlarn, Bad Tölz, Bozen und Assisi. Die Radpilgerreise wurde finanziell und organisatorisch von der Erzdiözese München und Freising maßgeblich unterstützt. Nähere Informationen finden sich unter www.wir-brechen-auf.de sowie www.betroffenenbeirat-muenchen.de. (bs/uq)
Der Brief an Papst Franziskus kann im Wortlaut unter www.erzbistum-muenchen.de/radpilgerreise abgerufen werden.
Fotos & Text: Erzbischöfliches Ordinariat München