In Bayern gibt es immer weniger Alm- und Alpweideflächen: Steigende Temperaturen, sinkende Auftriebszahlen und fehlendes Weidemanagement haben allein in Oberbayern zwischen 2008 und 2021 1.855 Hektar Alm-/Alpweideflächen verschwinden lassen. Im trockenen Sommer 2022 wurden nicht abgefressene Bereiche auf vielen Almen und Alpen bereits Ende Juli braun. Langfristig fallen solche Flächen brach und gehen der Alm-/Alpwirtschaft verloren. „Zentrale Faktoren sind der Klimawandel und der damit verbundene frühere Vegetationsbeginn“, sagte Siegfried Steinberger, Experte für Alm- und Weidewirtschaft an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft bei einem Vor-Ort-Termin mit LfL-Präsident Stephan Sedlmayer auf der Mühlbergalm am Sudelfeld. Versuche der LfL zeigen: Um die Alm- und Alpweideflächen zu erhalten, muss dringend der Auftriebszeitpunkt an den Vegetationsbeginn angepasst, die Anzahl der aufgetriebenen Tiere auf das gestiegene Futterangebot ausgerichtet und eine Koppelwirtschaft eingeführt werden.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind auf den Almen und Alpen schon heute drastisch und offensichtlich: Liegt der Temperaturanstieg im Vergleich zum Referenzzeitraum 1960 bis 1991 global etwa 0,8 Grad Celsius, so ist die Durchschnittstemperatur im Alpenraum bereits um 1,6 Grad angestiegen. Ein wesentlicher Grund dafür: Bei hohen Tagestemperaturen speichern Gestein und Felsen die Sonnenenergie, um diese dann in der Nacht abzugeben. Gleichzeitig sind die Winter um zwei bis drei Wochen kürzer geworden und Gletscher schmelzen ab. Der Schnee schmilzt früher und die Almen und Alpen ergrünen drei bis vier Wochen früher.
Durch den Temperaturanstieg und die frühere Vegetation wächst bei gleichbleibenden Niederschlagsmengen deutlich mehr Biomasse. So finden die Tiere mehr Futter vor als früher. Doch es kann nur so viel Weidefläche offengehalten und erhalten werden, wie vom Vieh abgegrast werden können. „Bei extensiver, nicht über Koppeln gelenkter Weidewirtschaft gelingt das heute nicht mehr ohne Weiteres“; sagte Steinberger. Denn die Tiere weiden in dieser Situation nur die schmackhaftesten Plätze ab und suchen diese immer und immer wieder auf. Dieses Verhalten führt auf der Alm zu einer selektiven Nutzung des Aufwuchses. Die Tiere schaffen sich „Fressinseln“, welche stets abgeweidet werden. Die nicht beweideten Flächen liegen brach, wachsen zu und scheiden langfristig als Weidefläche aus.
Im Rahmen des Projektes „Anpassung der Beweidung von Almen und Alpen an den fortschreitenden Klimawandel“ hat die Bayerische Landesanstalt deshalb Versuche auf Projektalmen in Bayern und Österreich durchgeführt und Empfehlungen abgeleitet. Unter anderem wurde der Auftriebszeitpunkt um drei bis vier Wochen vorgezogen, die Tierzahlen nach und nach dem Aufwuchs angepasst und eine gelenkte Weideführung in Form einer Koppelwirtschaft eingeführt. Dadurch wird der Aufwuchs zeitgerecht genutzt und es kann sich nach jedem Umtrieb ein erneuter Aufwuchs entwickeln.
Auf Niederalmen um 1.000 m NN sind auf Grund des intensiveren Graswachstums vier bis fünf Koppeln erforderlich. Auf Höhenlagen bis etwa 1.600 m reichen i.d.R. drei Koppeln aus. Darüber ist es meist nur erforderlich, die Weideflächen einmal abzuteilen, damit die Tiere nicht die gesamte Almfläche auf einmal zur Verfügung haben. So stand den Weidetieren bis in den Herbst hinein frisches, qualitativ hochwertiges Futter zur Verfügung. „Werden diese empfohlenen und in der Praxis erprobten Maßnahmen umgesetzt, lässt sich das gewachsene Futter effektiv nutzen, die Weideflächen bleiben offen und die gewünschte Kulturlandschaft bleibt erhalten“, sagte Steinberger.
Auf den Projektalmen wurde so der kalkulierte Futterertrag um mehr als 50 % erhöht. Dies ist umso erstaunlicher, da dieses Futter ohne zusätzliche Düngemaßnahmen nur aufgrund der sich ändernden Klimageschehnisse entwickelte. Auf den oberbayerischen Almen ist so ein ungenutztes Futterpotential für etwa 8.000 Jungrinder vorhanden. „Es müssten die Vorteile einer weidebetonten Jungrinderaufzucht gegenüber der Stallhaltung stärker in der Aus- und Fortbildung der Landwirte vermittelt werden“, machte Steinberger deutlich. Insbesondere das Verbringen der Tiere ins Berggebiet während der Sommermonate könnte die Futter- und Düngersituation auf zahlreichen Betrieben entspannen.
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Bericht und Foto: LfL