Nachfolgend ein Beitrag von Prof. Dieter J. Weiß vom Bayernbund aus dessen Weiß-Blauer Rundschau über Lebenserinnerungen von Herzog Franz von Bayern.
Aus Anlaß seines bevorstehenden 90. Geburtstags hat S.K.H. Herzog Franz von Bayern zahlreiche Gespräche mit der Augsburger Historikerin Prof. Dr. Marita Krauss geführt, die diese zu einem Gesprächsband zusammenfügte. Es handelt sich nicht um abgeschlossene Memoiren, sondern um Erinnerungen an ein langes Leben in herausgehobener Position mit chronologisch und thematisch bestimmten Schwerpunkten, komponiert in elf Kapiteln.
Kindheit und Konzentrationslager
Als Prinz Franz Bonaventura Adalbert Maria am 14. Juli 1933 als Sohn von Erbprinz Albrecht von Bayern und seiner Gemahlin Maria (Marita), einer geborenen Gräfin Drašković von Trakošćan, das Licht der Welt erblickte, hatte das Land, von dem er den Namen trägt, seit einigen Monaten die Eigenstaatlichkeit verloren, hatte sich die nationalsozialistische Diktatur schwer über Bayern gelegt. Die ersten Jahre seiner Kindheit in Wildbad Kreuth waren davon überschattet. Schon 1934 und nach zeitweiliger Rückkehr 1939 ging die Familie über Jugoslawien ins Exil nach Ungarn, wo es auch während des Weltkriegs noch wesentlich freier zuging als in der Heimat. Diese Freiheit ging mit der Inhaftierung nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 verloren, Erbprinz Albrecht, seine Frau und die Kinder wurden auf Befehl Adolf Hitlers in Haft genommen und durch die Konzentrationslager Buchenwald, Flossenbürg und Dachau verschleppt. Erstmals kann man diese schrecklichen Erlebnisse nun aus der Erinnerung des damals elfjährigen Prinzen nachlesen. Sehr berührend sind die Geschehnisse aus der Sicht eines Buben, der vor allem den inneren Zusammenhalt der Familie, aber auch das unvorstellbare Grauen und die Brutalität schildert. Leichenberge vor dem Barackenfenster, aber auch der Flug eines in der Sonne leuchtenden Fasans über dem Lager von Dachau sind ihm im Gedächtnis haften geblieben.
Neuanfang in der Nachkriegszeit
Für Prinz Franz wie für die meisten Zeitgenossen begann in den Jahren nach dem Zusammenbruch, aber auch der Befreiung von 1945 das normale Leben erst allmählich. Zunächst bestimmten unmittelbar drängende Problem des Alltags, das Bemühen um Versorgung und die Wohnungsnot, das Leben auch der nach Bayern zurückgekehrten Familie. Im November 1945 ging Franz in das Internat der Benediktiner nach Kloster Ettal, wo er erstmals seit der Zeit in Budapest wieder regelmäßigen Schulunterricht erhalten konnte. Vor dem dort 1952 abgelegten Abitur besuchte ab 1947 für zwei Jahre das Collège St. Michel in Freiburg (Fribourg) im Üechtland, um in der Schweiz wieder zu Kräften zu kommen. Im Anschluß nahm er das Studium der Betriebswirtschaft auf, das er 1960 als Diplom-Volkswirt beendete. Immer wieder durchbrechen Erinnerungen besonders an Kronprinz Rupprecht von Bayern den Erzählstrang, der sich in den Nachkriegsjahren für den Wiederaufbau Bayerns und die Stärkung seiner Staatlichkeit einsetzte. Vergleichbar sind Großvater und Enkel in ihrer Leidenschaft für die Kunst, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Früh wurde Franz schon als Schüler in die repräsentativen Aufgaben des Hauses eingebunden, teils in Vertretung, teils an der Seite seines Großvaters und Vaters. Über deren Rolle in der Politik der Nachkriegszeit, über die Bedeutung von Naturschutz, Jagd und Pflege der Volksmusik kann man viel aus dem Band erfahren.
Kunstleidenschaft
Passend zur Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit tauchte Prinz Franz in das kulturelle und gesellschaftliche Leben Münchens ein, lernte neue Kunstformen kennen und traf sich mit der Bohème. So besucht er nicht nur die Festspiele in Salzburg, sondern auch regelmäßig die „Donaueschinger Musiktage für zeitgenössische Tonkunst“. Schon in den 50er Jahren und besonders seit seiner prägenden Reise 1962 nach New York entwickelte er eine echte Leidenschaft, die sich mit Kennerschaft paart, für die zeitgenössische Kunst, die er als aufregend empfand. In den USA lernte er tonangebende Künstler und einflußreiche Sammler kennen. In diesem Band erfährt man sehr viel über die Kunstszene in New York in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, besonders über die Museum of Modern Art und sein künstlerisches Umfeld. Prinz Franz gehörte lange dessen International Council (Beirat) an, dessen Vorsitz er für sechzehn Jahre übernehmen sollte. So lernte er nicht nur sehr viel über moderne Kunst, sondern konnte auch die Erwerbungspolitik beeinflussen.
Die in New York erworbenen Kontakte und Fähigkeiten nützte Prinz Franz, um auch in München die moderne Kunst zu stärken, die hier zunächst nur in Galerien und dem Haus der Kunst zu sehen war. Dabei war und ist er vom Ehrgeiz getrieben, die Internationalität Bayerns und den Rang Münchens als Kunststadt zu heben, was oft auf Widerstände in der Politik stieß. Als ein Instrument dazu gründete er den Galerie-Verein. Früh nutzte er seine Möglichkeiten, um auch damals unpopuläre Kunstwerke zu fördern, wenn er von ihrer Qualität überzeugt war. Als eine Frucht seiner und seiner Gleichgesinnten Bemühungen ist die Einrichtung der Pinakothek der Moderne in München zu werten, der er immer wieder zentrale Bestände seiner Sammlungen als Dauerleihgaben des Wittelsbacher Ausgleichsfonds zur Verfügung stellt.
Mitglied einer Dynastie von europäischer Bedeutung
Dabei war und ist Franz von Bayern offen für Menschen aus allen Ständen und Bereichen, besonders wenn er sie für interessant hält. Bei einem legendären Treffen 1954 in Griechenland begegnete er den Mitgliedern der europäischen regierenden und nicht mehr regierenden Dynastien, mit denen er zum Teil verwandt ist. Zu seinen Repräsentationsaufgaben gehört die Teilnahme an den Staatsbesuchen in Bayern, bei denen die Wittelsbacher den Gästen häufig royalen Glanz boten und gerade in der schweren Nachkriegszeit halfen, die internationalen Beziehungen Bayerns zu verbessern. Sein Leben ist noch immer geprägt von vielfältigen Kontakten mit Monarchen und Adelshäusern, Politikern, Kunstmäzenen und Wissenschaftlern. Sicher auch unter dem Einfluß seiner Mutter engagierte sich Prinz Franz früh für Menschen in sozialen Notlagen, so schon 1956 für die Ungarnflüchtlinge. Seitdem unterstützt er nachhaltig den Hilfsverein Nymphenburg, dessen Aktivitäten über Ungarn auch nach Rumänien, Bulgarien und Albanien ausgreifen. Auch hier kann er auf die Beziehungen seiner Familie zurückgreifen. Gegenwärtig fördert er auch die Bildungsprojekte seines Neffen Prinz Ludwig für Afrika.
Repräsentation in Bayern
Für unser Land interessant ist die Rolle von Franz von Bayern als Erbprinz, seit 1996 als Herzog und Chef des Hauses. Durch die veränderten Zeitumstände, aber auch durch die differenzierten Persönlichkeiten ergaben sich Unterschiede im Rollenverständnis im Verhältnis zu seinem Großvater und Vater, wie an verschiedenen Stellen des Bandes thematisiert wird. Als Grundtenor ist die Wahrung der Tradition des Hauses und des Einsatzes auf verschiedenen Feldern für das Land Bayern festzuhalten. Nur erschließen kann sich der Leser aus vielen Einzelnachrichten den ungeheuren Einsatz von Franz von Bayern und der übrigen Familienangehörigen, die bei zahlreichen Veranstaltungen im ganzen Land präsent sind. Hier kann man durchaus einen Vergleich mit dem britischen Königshaus ziehen, dem dafür aber viel größere Ressourcen zur Verfügung stehen. In Vertretung zunächst seines Großvaters und Vaters und schließlich in eigenem Namen nahm und nimmt Herzog Franz an repräsentativen Veranstaltungen im ganzen Land teil – Zuschauer in der ersten Reihe eben, wie der elegante Titel des Bandes lautet. Dazu kommen Protektorate über den Bayerischen Sportschützenverband und Traditionsverbände, aber auch die Mitwirkung bei zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften und Kuratorien, etwa der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der Katholischen Akademie in Bayern und dem Hochschulrat der LMU. Nicht erwähnt wird die Mitgliedschaft im Kuratorium des Instituts für bayerische Geschichte der LMU, aber ein kleiner Abschnitt ist der bayerischen Geschichtslandschaft gewidmet.
Allerdings war und ist Herzog Franz viel mehr als nur ein Zuschauer, wie aus seinen Erinnerungen deutlich wird. Er hat den unschätzbaren Vorteil, daß er unabhängig von Legislaturperioden seinen großen Erfahrungsschatz an Politiker im ganzen Land weitergeben kann. Besonders betont er den Austausch mit den bayerischen Ministerpräsidenten seit Wilhelm Hoegner. Und er verfolgt dabei durchaus eigene Prioritäten, wie immer wieder deutlich wird. Dazu gehört die Stärkung Bayerns als Kulturstandort von internationaler Bedeutung. Eindrucksvoll ist sein Bekenntnis: „Ich sehe es als einen Teil unserer Aufgabe, gegebenenfalls die Interessen des Landes, wenn notwendig sogar gegenüber der regierenden Politik zu vertreten. Dazu gehört die Grundfrage des Föderalismus.“
Zukunft
Herzog Franz äußert sich zur Rolle der Dynastie und setzt sich für ihre fortdauernde Präsenz im Land ein, um weiterhin etwas für Bayern zu bewirken, auch und gerade in Zeiten, in denen die geschichtliche Erinnerung zurücktritt. Dazu gehört seine Erfahrung, daß er beim Rückzug aus Ehrenämtern meist gebeten wird, die freigewordene Position mit einem anderen Familienmitglied zu besetzen. Auf seine eigene Initiative gehen die Nymphenburger Empfänge und die von dem verstorbenen Intendanten des Bayerischen Rundfunks Professor Albert Scharf inspirierten Berchtesgadener Gespräche zurück. Zur Abrundung des Gesprächsbandes sind am Ende in alphabetischer Folge Aperçus zu vielen Themenbereichen vom Älterwerden bis Zukunft beigefügt, darunter seine Vorstellungen über seine Rolle als Familienchef. Marita Krauss hat das Gesprächsbuch durch ein ausführliches Personenregister, das Biogramme aller genannten Persönlichkeiten enthält, zusammengefügt. Es handelt sich um keinen Bildband, aber zahlreiche kleinformatige Schwarz-Weiß-Abbildungen illustrieren die Darstellung. Viele Anekdoten machen das Buch vergnüglich zu lesen, dessen eigentliche Bedeutung aber darin liegt deutlich zu machen, wie der Chef des Hauses Bayern sich für das Land in seiner Eigenständigkeit und internationalen Bedeutung einsetzt und diese Aufgabe auch an seine Nachfolger weiterreichen wird. Seine Vorstellungen für Bayern zielen dabei in die Zukunft: „Es ist mein Ehrgeiz, dass wir in Bayern nicht verprovinzialisieren, sondern dass Bayern seine eigene Stimme behält – in Deutschland, aber auch als Bayern weit darüber hinaus im internationalen Maßstab“.
Text: Prof. Dieter J. Weiß – Franz von Bayern, Zuschauer in der ersten Reihe. Erinnerungen, in Zusammenarbeit mit Marita Krauss, Verlag C.H. Beck, München 2023.
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