Kultur

LAG Chiemgauer-Seenplatte: Großes Forum der Römerregion Chiemsee

Seit der Gründung der Römerregion Chiemsee sind zwar erst vier Jahre vergangen, doch man kann schon jetzt von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Zu Ende erzählt und geschrieben ist sie aber noch lange nicht. Immer wieder kommen neue Attraktionen und Angebote hinzu. Mit Hilfe der Römerregion-Kooperation wurden an historischen Stationen in den Gemeinden Seeon-Seebruck, Grabenstätt, Chieming, Bernau, Prien, Bergen, Pittenhart, Breitbrunn, Bad Endorf, Grassau und Aschau der archäologische Gesamtbestand und die Lebensrealität der Kelten und Römer vor 2000 Jahren im Chiemgau sichtbar gemacht. Aber auch andere Epochen werden angeschnitten. Verwirklicht wurde und wird dies alles mithilfe von Archäologen, Historikern und Touristikern, dem Landesamt für Denkmalpflege und der Archäologischen Staatssammlung. Kofinanziert wird das Projekt mit Mitteln aus dem EU-Förderprogramm LEADER über die LAGs Chiemgauer Seenplatte und Chiemgauer Alpen.

Ein weiterer Höhepunkt war nun die erste große öffentliche Veranstaltung „Forum Römerregion Chiemsee“ in Seebruck, dem Lead-Ort des Folgeprojektes „Koordinationsstelle Römerregion Chiemsee“ mit neun Gemeinden. Viele Ehrengäste und Fachleute hatten sich dazu eingefunden. „Wir wollten nicht überall einen römischen Gutshof präsentieren, sondern haben versucht, für die einzelnen Orte Alleinstellungsmerkmale zu finden“, so die Projektbeauftragte der Koordinationsstelle der Römerregion Andrea Krammer bei ihrer bilderreichen Präsentation im Hafenwirt in Seebruck. In Aschau seien dies beispielsweise an einem Hang entdeckte Fluchthöhlen, die in der Spätantike von der Bevölkerung bei Gefahr aufgesucht worden seien. Die provinzialrömische Archäologin verwies auch auf zwei römische Ausgrabungen in Prien und Bernau im Sommer diesen Jahres, von denen man sich einiges erwarten dürfe. „Es ist wichtig, dass die Funde zeitnah aufgearbeitet werden und eine erlesene Auswahl später auch vor Ort der Öffentlichkeit präsentiert wird“, betonte Krammer und verwies exemplarisch auf die Vitrine im neuen Seebrucker Rathaus. Vor dessen Neubau waren Archäologen dort vor allem auf Funde aus der Römerzeit gestoßen. Anstatt dies Sondengehern zu überlassen, sollte immer fachkundig ausgegraben werden, „sonst fehlt der Fund und man kann den Befund nicht mehr richtig deuten“, so Krammer. Stolz sei man auf die gemeindlichen Römermuseen in Seebruck und Grabenstätt und dem Aschauer Fundmuseum Höhenberg von Wast Aringer. Letzterer ist einer der vom Bildungswerk Traunstein ausgebildeten Römerregion-Gästeführer, die seit diesem Jahr ihr Wissen vermitteln. Gästeführerin Marion Tippmann-Böge, die mit weiteren Kolleginnen vor Ort war, ist die 1. Vorsitzende der Gästeführer-Interessensgemeinschaft. Auf Initiative von Professor Siegmar Schnurbein, dem Schirmherr der Römerregion Chiemsee, wird es 2024 auch eine umfassende Broschüre zu den aktuellen Forschungsständen in den einzelnen Orten geben.

Annette Marquard-Mois, die Beauftragte der ersten Projektphase, erinnerte daran, dass es bei den Info-Tafeln klare Gestaltungsvorgaben gegeben habe, die man von der Limes-Kommission übernommen habe. Auf die Frage, welche Aufgabe der Heimat- und Geschichtsverein Bedaium nach der Übergabe des Römermuseums Seebruck an die Gemeinde nun noch habe, betonte 2. Vorsitzender Marcus Altmann, dass man „vorrangig das Wissenschaftliche mit Vorträgen flankieren“ wolle und noch weitere interessante Pläne habe.

„Wir halten einen Schatz in den Händen, den wir durch die Römerregion gemeinsam sichtbar machen. Ein Schatz, der unsere Region einzigartig macht und uns gemeinsam weit über die regionalen Grenzen hinaus erstrahlen lässt“, schwärmte die 3. Bürgermeistern der Gemeinde Seeon-Seebruck Dr. Christine Kosanovic und freute sich über das so gut angelaufene Projekt. Ein besonderer Dank gelte dem Schirmherrn, dem renommierten provinzialrömischen Archäologen Prof. Siegmar von Schnurbein, der sich nun in seinem Ruhestand für das historische Erbe seiner Chiemgauer Wahlheimat begeistere, sowie der „organisatorischen und archäologischen Speerspitze“ Andrea Krammer, die schon im ersten Projektabschnitt der Römerregion Chiemsee als provinzialrömische Archäologin die fachliche Betreuung innegehabt hatte. Ein Sonderlob verteilte Kosanovic an den gemeindlichen Römerbeauftragten und Museumsleiter Matthias Ziereis, „der voller Leidenschaft und Tatendrang die Römerzeit in der Gemeinde und auch darüber hinaus lebendig werden lässt“. An die Forumsbesucher appellierte sie: „Sie alle sind Bausteine dieses Projekts und wichtige Multiplikatoren, denn nur, wenn die Römerregion mit ihrem Programm auch angenommen wird, wenn weitererzählt wird, was sie zu bieten hat, dann kann daraus etwas Dauerhaftes, Nachhaltiges werden“.

Es sei schon „eine Besonderheit“, dass sich elf Gemeinden aus zwei Landkreisen und verschiedenen LEADER-Regionen vor vier Jahren zum ambitionierten Projekt „Römerregion Chiemsee“ zusammengeschlossen haben, so der Manager der LAG Chiemgauer-Seenplatte Christian Fechter. Die Errungenschaften und Synergieeffekte seien längst auf verschiedenen Ebenen spürbar, meinte er und sprach von „einem Projekt par excellence“ im Rahmen dessen man in den kommenden Jahren noch viele weitere gemeinsame Höhepunkte erleben werde.

Es sei erst in den letzten 20 Jahren langsam in Gang gekommen, dass Fachleute ihre archäologische Forschungsarbeit mit anschaulichen Informationstafeln und vielen Bildern für den Laien verständlich präsentieren und erklären, betonte Schirmherr Prof. Siegmar von Schnurbein. Um dieses Wissen zu vermitteln, seien auch die Gästeführer der Römerregion nun ein ganz wichtiger Baustein. Er wünsche sich, dass die vielen Fäden weiterhin erfolgreich gesponnen und zu einem großen Ganzen zusammengeführt werden – unter der Leitung von Andrea Krammer, „die die Dame ist, die in diesem großen Netzwerk als Spinne sitzt“. Er könne nur alle dazu animieren, die Besonderheiten und Potentiale der Region nach außen zu tragen. „Nehmen sie die Leute an die Hand und zeigen sie ihnen, was sie hier Großartiges haben“, appellierte der provinzialrömische Archäologe und frühere Direktor der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt am Main.

Der provinzialrömische Archäologe Dr. Bernd Steidl von der Archäologischen Staatssammlung in München (Abteilung Römerzeit) beleuchtete in seinem Festvortrag die Puzzle-Arbeit eines Archäologen nach der Ausgrabung. Es sei sehr wichtig, die Befunde, Funde und Dokumentationen immer wieder neu zu betrachten, um mit neuen Erkenntnissen alte Theorien zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten. So sei er auch zu der Überzeugung gelangt, dass das spätantike Römerkastell (Wachtposten auf dem heutigen Kirchenhügel) von Bedaium (römisches Seebruck) einen lange nicht lokalisierten keltoromanischen Tempel als Vorgängerbau gehabt habe, an dem die Römer den Wassergott Bedaius (übernommener Keltengott Bid) verehrten. „Immer am 18. Oktober stifteten die Bürgermeister der Verwaltungsstadt Iuvavum/Salzburg einen Weihestein“, verblüffte Steidl. Dieser große kultische Festtag von Bedaium sei überliefert. Man wisse mittlerweile auch, dass der Tempelbau wesentlich größer und monumentaler gewesen sei als die heute dort stehende Pfarrkirche. Einige Architekturteile am Museumsvorplatz erinnern bis heute daran. Steidl hat sie für seine Forschungsarbeit genau vermessen lassen. Erwähnung fand auch die Freilegung einer großen Pflasterung 2018 im Vorfeld des Rathausneubaus. Steidl zufolge sei man damals auf den zirka ein Hektar großen antiken Fest- und Marktplatz gestoßen. Zu den dortigen Funden zählten auch interessante Bleietikette, mit denen die Römer ihre Ware auszeichneten. Unweit davon sei man vor einigen Jahren auch auf Fundamente von Streifenhäusern gestoßen, die auch ganz typisch seien für Handwerks- und Gewerbeviertel in römischen Siedlungen.

Volle Aufmerksamkeit war bei der abschließenden Vortragsveranstaltung des Heimat- und Geschichtsvereins Bedaium gefragt, in der Althistoriker Prof. Dr. Konrad Vössing über die Vandalen referierte und die Frage beleuchtete, ob sie Erben oder Zerstörer des Imperium Romanum waren. In der Völkerwanderungszeit waren die aus dem östlichen Mitteleuropa stammenden Vandalen mit anderen Germanenstämmen plündernd durch Süddeutschland nach Gallien gezogen. Der 2. Vorsitzende des Bedaiumsvereins, Historiker und Gymnasiallehrer Marcus Altmann hatte den Kontakt mit Vössing hergestellt und den Vortrag ermöglicht. Alle Beteiligten waren sich einig, dass die Premiere des historischen Forums ein Erfolg war.

Bericht und Fotos: Markus Müller

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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