Um den Moorschutz in Bayern ging es bei der von den Oppositionsparteien im Bayerischen Landtag durchgesetzten Anhörung, zu der 10 Sachverständige eingeladen wurden, um zu einem umfangreichen Fragenkatalog ihre Sicht und Antworten darzulegen; darunter war auch der renommierte Moorforscher von der Universität Greifswald Prof.Emeritus Hans Joosten. Er sagte es unter Bezug auf Bayern frei heraus: was „eines der reichsten Bundesländer in einem der reichsten Länder der Welt auf dem Gebiet des Moorschutzes leiste , sei eine Schande“. In Bayern seien innerhalb von elf Jahren bis 2019 nur 1.000 Hektar über staatliche Programme wiedervernässt worden. Das arme Indonesien habe dagegen innerhalb von fünf Jahren 4,4 Millionen Hektar trockenes Moor wieder nass gemacht. Bayern will bis 2040 klimaneutral sein. Bis dahin will der Freistaat ein Viertel der Moorflächen renaturieren, also 55.000 Hektar. Dies sei einfach zu wenig, meinte Joosten, dem erstaunlicherweise keiner der sonstigen aus Bayern stammenden Experten lautstark beisprang.
Die Fundamentalkritik Joostens wollten denn auch weder Regierungs- noch Oppositionsparteien näher diskutieren, indem sie nach dem österreichischen Motto verfuhren: den ignorieren wir nicht einmal.
Stattdessen ging es fast schon wie im Schulunterricht um viele Einzelfragen des Moorschutzes, der bekanntlich auch von der neuen Bundesregierung angesichts von Klima-und Artenschutz und Biodiversitätserhaltung zu einem nationalen Anliegen erklärt wurde.
Ob bereits top oder Schande: Bayern verfügt immerhin schon seit 2018 über den Masterplan Moore und steht vor der Einführung eines Moorbauernprogramms , sobald die europäischen Richtlinien dies erlauben. Ziel ist immer , auch die Moorbauern zu unterstützen bei einer künftig moorschonenderen Nutzung (wie z.B. den stark vom Naturschutz ins Spiel gebrachten Paludikulturen) oder bei absolutem Schutz der Kernzonen beim Landtausch in andere Flächen.
Flurbereinigung kann Konflikte lösen zwischen Landwirten und Moorschutz
Hier kommt die Flurbereinigung ins Spiel , die über grossartige Möglichkeiten der Bodenordnung (freiwilliger Landtausch oder Ganzheitliche Verfahren ) verfügt und zu der Prof. Magel mit Kollegen Norbert Bäuml und Wolfgang Ewald Stellung nahm.
Eine großflächige Moorrenaturierung bei zersplitterten Grundstücksverhältnissen bedarf – und dies zeigen auch Beispiele aus dem ebenfalls moorreichen Norden Deutschlands – meist einer möglichst flächendeckenden behördlich geleiteten Neuordnung des Grundbesitzes. Den Rahmen hierfür sollte eine vorgeschaltete Landnutzungsplanung bilden. Diese Planung sollte die Kernbereiche der Renaturierung, in die wo nötig zusätzlich zu den vorhandenen nassen Flächen weitere zu vernässende Flächen eingeschlossen werden , sowie umgebende Pufferflächen (mit ggf. unterschiedlicher Nutzungsintensität) zum Inhalt haben. In den Pufferflächen wird in der Regel eine extensive landwirtschaftliche Nutzung im Vordergrund stehen, die durch staatliche Förderung langfristig abgesichert werden sollte. Die außerhalb der Kernbereiche und Pufferflächen liegenden weiteren Bereiche des sorgfältig und vorausschauend abzugrenzenden Neuordnungsgebiets dienen dazu, den Tausch aus den Kernbereichen und Pufferflächen für Eigentümer und Landbewirtschafter zu ermöglichen, für die eine nicht extensive landwirtschaftliche Nutzung im Vordergrund steht.
Im Gegenzug können Eigentumsflächen geeigneter Träger wie z.B. Flächen der Gemeinden, des Landkreises oder Bezirks in die Kernbereiche und Pufferflächen verlegt und so zusammenhängende Flächen gebildet werden. Die Möglichkeiten der Neuordnung werden durch einen gezielten Landzwischenerwerb wesentlich erweitert und unterstützt. Im Ergebnis können so bisher zersplitterter Grundbesitz im gesamten Verfahrensgebiet neu geordnet und zusammenhängende Flächen sowohl für die Natur als auch für die Landwirte geschaffen werden. Ergänzt werden diese Erfolge der Neuordnung durch eine gesicherte Wegeerschließung der neu geordneten Flächen und durch zusätzliche finanzielle Fördermaßnahmen. Der Ablauf und die Möglichkeiten dieses Vorgehens zur Ermöglichung großflächiger Moorrenaturierung bei bisher zersplitterten Grundstücksverhältnissen können anhand vieler erfolgreicher Projekte, wie beispielsweise des Murnauer Mooses oder des Dattenhauser Rieds (Landkreis Dillingen) aufgezeigt werden. Basis dieser Neuordnung muss eine gemeinsam getragene Vorstellung aller Betroffenen und Akteure sein, wie Landnutzung und Landschaft im „Moorgebiet“ in Zukunft aussehen sollen.
Für diese Zukunftsplanung setzt die Verwaltung für Ländliche Entwicklung auf Leitbildprozesse, die z.B. im Rahmen von Workshops an den drei Schulen für Dorf- und Landentwicklung organisiert werden können. Das Motto lautet dabei „Mitdenken, mitplanen, mitgestalten“. Dahinter steht die Erfahrung aus hunderten von solchen Prozessen: Wenn die Bürgerinnen und Bürger mitdenken, mitplanen und mitgestalten können, entstehen durch eigenes Durchdringen der Komplexität und Konflikte letztlich gemeinsam getragene und somit tragfähige Lösungen. In jedem Fall identifizieren sich die Beteiligten mit den von ihnen mitentschiedenen Ergebnissen – ob Leitbild(er) oder daraus entwickelte Zukunftsstrategien.
Es geht aber noch um mehr
Magel machte in seinen Ausführungen sehr deutlich, worum es neben den ökologischen, technischen und rechtlichen Aspekten noch geht:
Zu Veränderungen sind die betroffenen Eigentümer und Bewirtschafter nur dann selbsttätig und möglichst freiwillig bereit, wenn sie darin einen Sinn für sich selbst, für ihr eigenes Leben und für ihr gemeinschaftliches Umfeld sehen. Daher muss bei Landnutzungsänderungen in Moorlandschaften über die bestehenden fachlich konzeptionellen Schwerpunkte hinaus dringend den Aspekten der sozioökonomischen und kulturellen Transformation ein zusätzliches und höheres Gewicht gegeben werden.
Warum? Unabhängig von der hohen ökologischen und klimarelevanten Bedeutung von Moorlandschaften sind sie seit langem Lebens- und Wirtschaftsraum und somit Heimat für die dortigen Menschen. Die staatlichen und zweifellos im Sinne der Gesamtgesellschaft liegenden Ziele wie CO2 – Einsparung, Wiedervernässung oder Renaturierung und daraus resultierende Auswahlkriterien sind zwar richtig, geben aber den wenigsten Menschen in den betreffenden Regionen einen unmittelbaren eigenen Sinn bzw. Vorteil und führen daher nicht zum freiwilligen eigenen Handeln. Es muss mehr vermittelt werden als die reine Ökologie! Dazu müssen wie bei jeder Dorferneuerung oder Landschaftsplanung auch (besiedlungs-) geschichtliche, sozioökonomische, immaterielle Aspekte der Kulturlandschaft aufgegriffen und z. B. darauf aufbauend in Workshops und zusammen mit den Gemeindeverantwortlichen gemeinsame Leitbilder für die Weiterentwicklung der eigenen Heimat erarbeitet und diskutiert werden. Die Bayerische Akademie Ländlicher Raum verfügt diesbezüglich über sehr große Erfahrungen wie auch die Verwaltung für Ländliche Entwicklung. Letztere gestaltet seit Mitte der 1980er Jahre ihre Vorhaben in Dorf und Flur in dieser Weise. Bürgerinnen und Bürger werden informiert, beraten sowie aktiviert und können dadurch Veränderungen proaktiv selbst in die Hand nehmen (und müssen nicht Planungen und Maßnahmen über sich ergehen lassen).
Auch für Vorhaben zur Moorrenaturierung sind folgende vier zentrale Prinzipien oder Schwerpunkte aus Sicht der Ländlichen Entwicklung entscheidend:
- Die beteiligten Menschen können ihre eigenen Ziele entwickeln (Sinn erfahren), natürlich innerhalb des staatlichen klimarelevanten Korridors.
- Experten innerhalb und außerhalb der Verwaltung befähigen und unterstützen sie so weit, dass sie eigenständig handeln können (Autonomie erhalten).
- Die Bürgerinnen und Bürger können in Teilnehmergemeinschaften, Arbeitskreisen oder Akteurs-Netzwerken gemeinschaftlich agieren (Partizipation lernen).
- Die Akteure erhalten die notwendigen (Förder-)Mittel zur Umsetzung ihrer Ziele, z.B. für Konzepte und Maßnahmen (Umsetzungskompetenz erleben).
Diese Wege der Partizipation und Befähigung können auch mit folgenden Worten ausgedrückt werden: „Mitmachen lassen, mitmachen wollen, mitmachen können“.
Wir brauchen Pioniere und Unternehmer
Der Schwerpunkt bei Moorrenaturierung bzw. Wiedervernässung muss daher darin bestehen, zusammen mit den EigentümerInnen, BürgerInnen sowie den Kommunen und angesprochenen Verbänden Wege zu finden, wie sie ihre Heimat zukunftsfähig weiterentwickeln und wie Landbewirtschafter ihre unternehmerischen Perspektiven in einer moor- und klimaverträglichen oder ggfls. völlig neuen Landnutzung auf neuem Landaußerhalb der Moorflächen realisieren können. Im Kern geht es um die im Flurbereinigungsgesetz (FlurbG) normierten Ziele der Förderung der Landeskultur und Landentwicklung und die Auflösung von Konkurrenzen und Konflikten durch flächenhaft wirksame oder punktuelle Bodenordnung. Dieser „menschen- und handlungsorientierte Ansatz“ wurde in enger Partnerschaft mit den relevanten Verbänden in den Initiativen boden:ständig und Heimat-Unternehmen der Verwaltung für Ländliche Entwicklung in den letzten zehn Jahren konsequent weiterentwickelt, indem sie gezielt auf „Pioniere des Wandels“ und das Prinzip von „social entrepreneurship“ setzen. Diese Philosophie der Ländlichen Entwicklung kann und muss, auch im Sinne der Empfehlungen des ORH in 2021, der Schwerpunkt einer erfolgreichen Moorschutzstrategie insbesondere in den Gebieten sein, wo eine Renaturierung von nicht im staatlichen Besitz befindlichen Moorflächen angestrebt wird. Am Beginn des Projekts steht der Wille der Menschen vor Ort, selbst den Wandel gestalten zu können. Die staatliche Verwaltung kann nur die passenden Rahmenbedingungen schaffen. Statt fachlicher Priorisierung geht es um die Gestaltung eines Prozesses, der Kreativität und Innovation befördert. Es ist daher dringend erforderlich, genügend viele „Begleiter/Pioniere des Wandels“ in den betreffenden Regionen vor Ort zu haben bzw. zu finden.
Positive Auswirkungen der Renaturierungsprojekte auf Kommunen und Regionen!
Die Moorrenaturierung stellt angesichts des Klimawandels einen hohen gesellschaftspolitischen Wert und eine ohne Zweifel volkswirtschaftlich kostengünstige Klimaschutzmaßnahme dar. Diese gesellschaftlichen Leistungen werden in der Region oft als Einschränkung und Opfer gesehen ,die durch positive örtliche Auswirkungen der Renaturierungsprojekte sicherlich nicht ausgeglichen werden. Es bedarf daher umfassender staatlicher Unterstützung. DER SPIEGEL vergleicht diese staatliche Aufgabe des Moorschutzes in seinem am 08.01.2022 erschienenen Artikel „Treibhausgras“ mit der Unterstützung der vom Kohleausstieg betroffenen Regionen, wo sich die Politik darauf verständigt hat, die negativen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen mit erheblichen staatlichen Mitteln abzufedern. Die mit der am 20.10.2021 abgeschlossenen „Bund-Länder-Zielvereinbarung zum Klimaschutz durch Moorbodenschutz“ vereinbarten Ziele sind ohne erhebliches und dauerhaftes finanzielles Engagement von EU, Bund und Land sicherlich nicht erreichbar. Die neue Bundesregierung hat in der Koalitionsvereinbarung die Verabschiedung und zügige Umsetzung einer Nationalen Moorschutzstrategie angekündigt. „Die Moorschutzmaßnahmen sollen „durch einen partizipativen Prozess zur Erarbeitung nachhaltiger Entwicklungskonzepte begleitet, Perspektiven für die Regionen entwickelt und alternative Bewirtschaftungsformen gestärkt werden (u.a. Paludikulturen)“.
Dies ist zu begrüßen, denn den auf Renaturierungsprojekte aufbauenden Entwicklungsansätzen in den davon berührten Kommunen und Regionen kommt eine zentrale Bedeutung zu, wenn es darum geht , dort auch Mehrwerte zu erzeugen. Diese Entwicklungsansätze reichen von der Nutzung neuer touristischer Potenziale (insbesondere in den Bereichen Öko- und Agrotourismus) über sonstige neue Wertschöpfungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Moorbewirtschaftung bis hin zu einer insbesondere bei großflächigen Moorgebieten neuen Imagebildung der diese Gebiete umgebenden Kommunen und Regionen. Die Moore haben längst ihr früher abschreckendes Image verloren und sind nun begehrtes Ziel vieler an Natur und (Kultur-) Geschichte interessierten Touristen. Beispiele aus dem Ausland wie z.B. das berühmte Dartmoor in England zeigen diesen Wandel und den ökonomischen Gewinn für die Regionen an. Auch das Donaumoos bei Neuburg ist eine diesbezüglich attraktive Landschaft mit reicher Geschichte. Es zeigt aber zugleich, wie ganz anders man heute die seinerzeit als landeskulturelle Großtat gefeierte Entwässerung und Kolonisierung des Donaumooses durch Karl Theodor betrachten kann, ja muss , und wie schwierig nun der gesellschaftlich gewünschte Weg zurück zu mehr Natur und Klimaschutz ist. Gleiches gilt für Moorentwässerungen und Torfabbau im Chiemgau!
Fakt ist, dass immer mehr Menschen gerade auch im Zusammenhang mit Erholung in freier Natur und Ökotourismus einen hohen Wert auf den Erhalt bzw. Renaturierung von historisch und kulturell bedeutsamen Landschaften oder z.B. den Schutz von relevanten Geotopen o.ä. legen. Dieses Potential sollte genutzt werden . Welche Wertschöpfung konkret damit verbunden sein kann, hat beispielsweise die JuliusMaximilians-Universität Würzburg in der im Dezember 2019 veröffentlichen Untersuchung bei landschaftsaffinen Naturtouristen aufgezeigt. In dem im Biosphärenreservat Rhön gelegenen Landkreis Rhön-Grabfeld haben im Jahr 2017 insgesamt 878.662 Naturtouristen regionalökonomisch wirksame Ausgaben von 23 Mio. € getätigt. Der Grund: es waren die landschaftsästhetischen Attraktionen.
Wir sind in der Pflicht für unsere Nachkommen
Soweit einige markante Ausführungen aus der Sicht der Ländlichen Entwicklung , die angesichts eigener zusammen mit der Wasser- und Landwirtschaft begangenen „Entwässerungssünden“ der Vergangenheit sich in der Pflicht sieht , unsere uns geschenkten und anvertrauten Moore als ökologische und landeskulturelle Zeugnisse für die nächsten Generationen zu erhalten.
Text: Prof. Dr.-Ing. Holger Magel