In der Wallfahrtskirche im Ortsteil Kirchwald von Nußdorf gibt es wenige Zeiten von hoher Besucherfrequenz: Zum Patrozinium am 2. Juli, an den Goldenen Samstagen im Oktober und um Weihnachten herum. Ansonsten ist Kirchwald ein stiller Ort für die individuelle Einkehr, bis heute betreut von einem Einsiedler.
Auf einem Tafelbild über der südlichen Sakristei steht geschrieben: „Wer die Goldne Sambstagnächt mir wirdt zuliebe halten, der solle im Himmel seyn bevor er wirdt erkaldten“. 1790 privilegierte Papst Pius VI. die Goldenen Samstage in Kirchwald mit einem vollständigen, immerwährenden Ablass. Dieser wurde allen Gläubigen gewährt, die ihre Sünden bereuten, beichteten und kommunizierten. Aber vor allem mussten sie an drei aufeinander folgenden Goldenen Samstagen die Messen von der ersten bis zur letzten besuchen: „von der ersten Vesper angefangen bis zur Sonnenuntergang“. Heutzutage finden um sieben, um acht und um neun Uhr heilige Messen statt. Und sie sind immer noch gut besucht.
1830 wurden an den drei Samstagen 24 Ämter gelesen! 2.000 Oblaten waren notwendig und 18 Geistliche erhielten ein Frühstück. Im 19. Jahrhundert nahmen Hunderte von Gläubigen an den Messen teil. Da die Kirche für diesen Andrang zu klein war, stand die Menge auf dem Anger westlich der Kirche und lagerte am südlichen Hang; die Predigt hielt der Zelebrant auf der geöffneten Außenkanzel. Vor der Messe musste jeder Gläubige die Beichte ablegen. Dazu waren in jeder Kammer im Obergeschoss der Klause, in den Oratorien (Obergeschosse) der beiden Sakristeien sowie mit mobilen Beichtstühlen im Freien Beichtgelegenheiten eingerichtet, an denen die Menschen Schlange standen. Zehn Aushilfen aus den umliegenden Gemeinden hatte der Nußdorfer Pfarrer Gierlinger 1874 zur Abnahme der Beichte angefordert.
Die in dem Ablassbrief von 1790 geforderte Bedingung „zu kommunizieren“ verlangte von den Gläubigen, vor dem Gottesdienstbesuch nüchtern zu bleiben (eucharistische Nüchternheit), also nichts zu essen und höchstens Wasser zu trinken. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein betrug der erforderliche zeitliche Abstand zwischen der letzten Mahlzeit und der heiligen Kommunion mehrere Stunden. Praktisch bedeutete dies für die Pilger und Pilgerinnen der Goldenen Samstage, dass sie sich ohne Morgenmahlzeit auf den Weg machten, mit leerem Magen in Kirchwald ankamen und sich vor dem Heimweg stärken wollten. Die Brotzeithütten der beiden Nußdorfer Gastwirte waren deswegen sehr willkommen. Wann diese heute noch lebendige Tradition einsetzte, ist fraglich. Nach der Kirchenrechnung von 1830 wurden an den Goldenen Samstagen 18 Geistliche verpflegt, möglicherweise setzte zu dieser Zeit auch der Verkauf von Brotzeiten an die Wallfahrer ein.
Urkundlich erwähnt sind die beiden Hütten am Kirchwald, die im Kirchenbesitz waren, zum ersten Mal 1859. Der Tafernwirt (heute Schneiderwirt) Josef Ried hatte das Recht in der „Bierschankstätte“ Bier auszuschenken und Brot zu reichen und die Sappl-Wirtin Barbara Bernrieder in ihrer „Brandweinschenkhalle“ Schnaps auszugeben. Dieser Unterschied blieb bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts bestehen. Dazu kamen noch zeitweise ein bis zwei Bäckerstände, vom Huberbäck und vom Schneiderbäck, bei denen es Brot und Süßigkeiten gab. Eine Spezialität war und ist das sogenannte Weinbeerweckerl, ein Gebäck aus neutralem Semmelteig mit Rosinen. So manches Kind wurde dort von seiner Patin mit solch einem Weckerl beschenkt, was für das Kind etwas ganz Besonderes war. Mit dem Ende der Sappl-Wirtschaft 1979 endete auch der Ausschank in dessen Hütte. Der Schneiderwirt setzt diese Tradition seitdem alleine fort und seine Würste sind heiß begehrt. Die für solche Orte typischen Wallfahrts-Andenkenläden sind in Kirchwald dagegen nicht bekannt.
Die Tradition der Goldenen Samstage ist in den umliegenden Gemeinden weiterhin sehr lebendig. Auf diese Samstage wurden auch im 20. Jahrhundert noch besondere Termine gelegt: Nach Kriegsende 1945 wurde an den drei Goldenen Samstagen das 300-jährige Jubiläum des Wallfahrtsortes gefeiert und 1988 legten die vier Gemeinden Nußdorf, Neubeuern, Rohrdorf und Samerberg, die in diesem Jahr ihre 1200-jährige Ersterwähnung in der Notitia Arnonis von 788 begingen, auf den letzten Goldenen Samstag einen großen gemeinsamen Festgottesdienst. Heuer fällt der erste Goldene Samstag auf den 1. Oktober. Die Geschichte der Wallfahrtsstätte wurde zum 300-jährigen Weihejubiläum der Kirche für eine Ausstellung und eine Publikation recherchiert. Die Freiluftausstellung steht noch bis Ende Oktober und die Chronik ist erhältlich im Pfarramt Neubeuern.
Text: Dr. Elisabeth Weinberger / Michaela Firmkäs, Ortsheimatpflege – Bildrechte: siehe Galerie
Beitrag entstand in Kooperation mit dem Wendelstein Anzeiger – www.wendelstein-anzeiger.de