Kiew gilt als eine der schönsten Städte Europas – und als eine der ältesten. Spätestens am Anfang des 6. Jahrhunderts soll sie die ostslawische Familie des Kyr als Siedlung und Festung auf drei Hügeln am Dnepr gegründet haben. Im 11. Jahrhundert war Kiew eine der größten Städte Europas. Der totalen Zerstörung durch Mongolen folgte die Besitznahme durch Kosaken, die dem historisch rätselhaften Volk der Rus angehörten und Kiew im 17. Jahrhundert den Zaren schenkten. Nikolaus I. baute die Stadt dann als „Jerusalem auf russischer Erde“ zu einer prachtvollen Provinzmetropole aus. 1922 wurde die Ukraine der Sowjetunion zugeschlagen.
Mit meinem Sohn Thomas, der einen Foto-Auftrag hatte, habe ich Kiew vor der Corona-Sperre besucht. Mit ihren 2,9 Millionen Einwohnern erschien uns die ukrainische Hauptstadt fast wie eine Wallfahrtsstätte. In Kirchen mit goldenen Kuppeln und Klöstern mit unendlichen Katakomben drängten sich Menschen – ähnlich dicht wie in den U-Bahn-Stationen die geschmückt sind mit mittelalterlichen Bildern oder Porträts historischer Persönlichkeiten. Einige dieser Bauwerke aus dem 11. Jahrhundert gehören längst zum Weltkulturerbe. Kiew ist auch eine gebildete und jugendliche Stadt – mit über 40 Hochschulen und Universitäten.
Künstlerateliers, Galerien und Kneipen säumen den geschichtsträchtigen Andreas-Steig, schöne Parks, Ausflugslokale und Outdoor-Spots den breiten Dnepr. Auch hier blühendes Leben. Dann aber, im alternativen Stadtteil Podil, das monströse Tschernobyl-Museum, wo die Katastrophe vom 26. April 1986 auch als Animation rekonstruiert ist. Auf einer Anhöhe über dem Maidan, dem Verkehrszentrum, wird an die Todesopfer der Protestaktionen von 2014 gegen russische Einflussnahme erinnert. Und mehrmals konnten wir von unserer kleinen Pensions aus Tausende von Demonstranten mit Plakaten und blau-gelben Fahnen beobachten. Die Ruhe trog, die schöne Stadt schien in Wartestellung. Wenige Tage vor dem Fall der Berliner Mauer haben München und Kiew eine Sädtepartnerschaft besiegelt. Seit 2020 hat Perlach eine Kiewstraße.
Bericht: Karl Stankiewitz
Fotos: Thomas Stankiewitz