Kardinal Reinhard Marx fordert in einer Reihe von Radiobeiträgen anlässlich des 75. Jahrestags des Grundgesetzes, sich für ein demokratisches Europa einzusetzen und „dem Populismus, Nationalismus und Rassismus unserer Tage deutlich entgegenzutreten“. Ob das Grundgesetz sich als wirksam erweise, hänge davon ab, dass sich die Bürgerinnen und Bürger entsprechend engagierten, so Marx:
„Denn unsere Demokratie lebt von der Mitwirkung durch das Volk. Es liegt an uns, Europa mit Leben zu erfüllen und darin der obersten Maxime Rechnung zu tragen: dem Schutz der Menschenwürde und der Freiheit für alle.“ Der Erzbischof von München und Freising würdigt in sechs „Morgenandachten“, die von heute, Montag, 13. Mai, bis Samstag, 18. Mai, jeweils 6.35 Uhr, im Deutschlandfunk ausgestrahlt werden, dass das Grundgesetz individuelle Freiheitsrechte und den Schutz der Menschenwürde vor staatlicher Willkür garantiere. „Das ist die Grundlegung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die unser Gemeinwesen prägt und die wir gegen alle demokratiefeindlichen Versuche stärken werden!“ Kardinal Marx widmet sich in den „Morgenandachten“ der Entstehung des Grundgesetzes im Kontext der Nachkriegsordnung, dem christlichen Menschenbild, der Freiheit, dem Vertrauen in Europa, der Gerechtigkeit und der freien Ausübung der Religion.
Kardinal Marx verweist darauf, dass die Erarbeitung des Grundgesetzes unter dem Vorzeichen einer „eindeutigen Abkehr vom menschenverachtenden Nationalsozialismus“ stand. „Dieser Grundsatz ist bis heute ein markanter Teil unserer deutschen Identität in zwei Worten: ‚Nie wieder!‘ Das ist und bleibt eine Verpflichtung, die wir alle immer wieder gemeinsam einlösen müssen und die sich in der Realität politischer und gesellschaftlicher Verantwortung als leitend erweisen muss.“ Im Mittelpunkt stehe letztlich die Menschenwürde im Einklang mit dem biblischen Verständnis, „dass der Mensch Ebenbild Gottes ist und ihm deshalb unbedingte Würde zukommt“. Hinsichtlich der unbedingten Achtung der Menschenwürde sei entscheidend, dass unser Grundgesetz und unsere Demokratie nicht nur schöne Worte sind, sondern wehrhaft sind.“
Kardinal Marx sieht hier auch die Kirchen und ihre Mitglieder gerufen, die Verwurzelung des Grundgesetzes im jüdisch-christlichen Menschenbild der verantwortlichen Freiheit lebendig zu erhalten: „Wenn wir darüber nachdenken, dass wir auch in Zukunft eine moderne, freie, plurale, offene und globale Gesellschaft sein wollen, dann müssen wir auch über den Wurzelgrund nachdenken. Zu dieser Debatte sollten auch die Kirchen positiv und hoffnungsfroh beitragen! Freiheit bedeutet Fortschritt! Und wir sollten als Christinnen und Christen auf der Seite der Freiheit stehen!“ Eine freie Gesellschaft sei aber auch mit der Gefahr von Ungleichheit verbunden, warnt der Kardinal. Daher müsse sich der Gesetzgeber nach dem im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzip auch um die soziale Sicherheit und Gerechtigkeit kümmern. „Das begründet etwa auch, dass der Staat allen Hilfsbedürftigen ein Existenzminimum garantieren muss, und die existenziellen Lebensrisiken wie Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit solidarisch getragen werden.“ Im Hinblick auf die im Grundgesetz gewährleistete ungestörte Religionsausübung verweist Kardinal Marx darauf, dass Religion und Kirche auch die Gesellschaft brauchen. „Kirche existiert nicht neben der Gesellschaft, sondern mitten in ihr, sie ist keine Parallelgesellschaft.“ Religion öffne den Menschen über sich selbst hinaus, stifte Hoffnung und stärke Verantwortung. „Kirche, die auf der Höhe der Zeit den öffentlichen Diskurs pflegt, sich hinterfragt und weiterentwickelt, bietet dem Gemeinwesen darin auch die kritische Unterscheidung von Macht an und stärkt die Idee der Freiheit.“ (hor)
Hinweis: Alle „Morgenandachten“ sind unter www.deutschlandfunk.de/morgenandacht-100.html abrufbar.
Bericht: Erzbischöfliches Ordinariat – Foto: Hötzelsperger