Leitartikel

Hochries-Besuch – Münchner Erinnerungen 

Veröffentlicht von Toni Hötzelsperger

Kurz vor seinem 96. Geburtstag kehrte Karl Stankiewitz aus München noch einmal auf „seine“ Hochries zurück. Stankiewitz ist seit 1947 als Journalist tätig und ist Autor von 38 Sachbüchern. Aufgrund seiner eingeschränkten Augenkräfte ist er in Begleitung unterwegs, mühsam gelingen ihm immer noch sogenannte „Gedankenblitze“, einen davon verfasste er auch nach seiner Rückkehr vom Samerberg – mit ganz besonderen Erinnerungen.  

Karl Stankiewitz fasst seine Eindrücke von seinem Hochries-Besuch wie folgt zusammen: „Noch einmal ruft der Berg – vielleicht zum letzten Mal. Der Goldene Oktober will genutzt werden. Ziel der Tour, begleitet von Sohn und Enkelin, ist die Hochries, der Hausberg von Rosenheim. Für mich ein alter Bekannter.

Noch grünen die Almwiesen unter der gemächlich dahinziehenden Sesselbahn. Kühe lagern dort und kauen wieder, während auf dem steinigen Serpentinenweg Mountainbiker in Kolonnen gemächlich downhill rauschen – nicht rasen. Doch warum sind so wenige Wanderer unterwegs an diesem schönen Tag? Und wo sind die Drachen- und Gleitschirmflieger, die sonst in den Aufwinden an diesem Vorposten der Alpen ihre Runden ziehen? „Wahrscheinlich wegen der Föhnstürme, die heute früh im Rucksackradio angekündigt wurden,“ vermutet der Pilot der Gondel, in die wir an der Mittelstation umständlich umsteigen müssen – so umständlich wie eh und je.

Den Aufstieg von der Bergstation zum bewirtschafteten Gipfelhaus, das gerade 110 Jahre alt geworden ist, schaffe ich mit meinen 95 Jahren nur bis zur ersten Wegkreuzung. Thomas und Tania müssen den Rest des Weges alleine gehen. Währenddessen strecke ich mich auf einem bemoosten Stein aus, wie Goethe in der Campagna, und genieße den „grandiosen Blick“, den der Prospekt verspricht: südwärts bis zum Großvenediger, nördlich zum flimmernden Chiemsee mit seinen Inseln – die ich heute eigentlich besuchen wollte, wenn nicht Lino plötzlich an Corona erkrankt wäre. Bald ziehen Nebelschleier auf, und mit ihnen kommen Erinnerungen an frühere Zeiten in den Chiemgauer Alpen.

Die Hochriesbahn entstand 1973. In der Gipfelregion war ein groß angelegtes Wintersportzentrum geplant, finanziert von Anteilseignern, denen lebenslange Freifahrten auf allen Bahnen und Liften versprochen wurden. Das reizte auch mich, und so investierte ich 5.000 Deutsche Mark, erspart aus meinen Olympia-Berichterstattungen. Doch der Ausbau wurde nie genehmigt – Naturschutz und Lawinengefahr standen im Weg. Die Gondelbahn blieb ein isoliertes, alpines Unikum. Dass sie nur über den offenen Sessellift erreichbar ist und nicht mit dem Auto, schränkt ihre Attraktivität weiter ein. Lediglich der „Bikerpark“ mit seinen Schanzen zieht inzwischen ein wachsendes Publikum an.

Die fertigen Anlagen wurden schnell verkauft, die Besitzer wechselten mehrfach. Wohlhabende Brauer und Holzhändler versuchten ihr Glück, doch der Pleitegeier war immer in der Nähe. Heute gehört die Bahn der Gemeinde Samerberg und der Sektion Rosenheim des Deutschen Alpenvereins, die sich einst vehement gegen den Ausbau gewehrt hatte, nun aber die Bahn als Zubringer für ihre Riesenhütte gut gebrauchen kann.

Für mich waren die 5.000 DM verloren. Im Winter wagte ich nur einmal, die steile und enge Nordflanke auf Skiern hinunterzufahren – ein teuflisches Abenteuer. In den Sommern hingegen habe ich „meine“ Hochriesbahn und das verzweigte Wegenetz im Gipfelbereich gerne genutzt. Einmal unternahm ich mit Monika eine zweitägige Wanderung über Berg und Tal bis hinüber zur Priener Hütte am Geigelstein, dem zweithöchsten Gipfel der Chiemgauer Alpen.

Auch der sogenannte Blumenberg Geigelstein verbindet mich mit zahlreichen Erinnerungen, von denen ich einige in einem Buch erzählt habe. Der Untertitel zitiert Wilhelm von Humboldt: „Die Gegend hier ist göttlich.“ Auch der Geigelstein sollte einst „erschlossen“ werden – Seilbahnen von Schleching und Sachrang waren geplant. Doch es regte sich Widerstand: Bürgerinitiativen formierten sich, die Politiker und Presse mit wohlbegründeten Protesten konfrontierten. Immer wieder berichtete ich darüber. Zu den Wortführern gehörten mein Chiemgauer Freund und Kollege Hans Steinbichler sowie der kürzlich verstorbene SPD-Abgeordnete Dr. Gustav Starzmann. Einmal führte mich Fritz Irlacher, langjähriger CSU-Bürgermeister des Bergsteigerdorfes Schleching und Initiator des Öko-Modells Achental, ins Problembereich am Geigelstein, um mir eine naturschonende Ausbauvariante zu erläutern – vergeblich. 1991 stellte Peter Gauweiler, der damalige CSU-Umweltminister, den bei Botanikern besonders geschätzten Berg unter strengen Naturschutz“.

Fotos:   Eindrücke vom Besuch von Karl Stankiewitz mit seiner Betreuerin, seinem Sohn Thomas und dessen Enkelin auf der Hochries an einem Goldenen-Oktober-Tag mit Samerberg-Impressionen

Kontaktdaten für Fotografen Thomas Stankiewicz  – Tel.:  089 5702480  

Foto: Karl Stankiewitz mit Toni Hö. bei der heurigen Oktoberfestzug-Aufstellung.

 

Redaktion

Toni Hötzelsperger

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