In den Messfeiern zum 18. Sonntag im Jahreskreis erklangen am vergangenen Wochenende in der katholischen Pfarrkirche Prien aus den gregorianischen Gesängen des Tages der Introitus „Sitientes“ und die Communio „Panem de coelo“. Zudem sang die Sängerschola im Wechsel mit der Gemeinde aus Teile aus dem Ordinarium Missae. Auf der Sängerempore in Prien ist aufgrund der Corona-Abstände von mindestens 2 Metern für Sänger derzeit sehr wenig Platz. Die Choralschola musizierte deshalb aufgeteilt in Gruppen von jeweils acht Männern unter der Leitung von Kirchenmusiker Bartholomäus Prankl. Zelebrant Pfarrer Klaus Wernberger sprach der Choralschola für die edle musikalische Gestaltung der Liturgie vor dem Schlusssegen seinen Dank aus.
Die Interpretation des gregorianischen Chorals erfordert vom Leiter einer „Schola“ ein langjähriges theoretisches und praktisches Studium der „gregorianischen Semiologie“, einem eigenen musikalischen Wissenschaftszweig, der sich mit der Deutung und Ausführung der Neumenschrift beschäftigt. Auch von den Scholamitgliedern fordert der Choral hohe Konzentrationsfähigkeit, stimmliche Sicherheit und nicht zuletzt einen Sensus für die spirituelle Dimension dieser Kultgesänge. Bartholomäus Prankl hat im Rahmen seiner Berufsausbildung acht Semester Gregorianik studiert. Zudem vertiefte er seine Kenntnisse in diesem Fachgebiet während seiner Tätigkeit als Lehrer der Diözesanen Kirchenmusikschule St. Gallen. Er hatte mehrmals die Gelegenheit den Codex Sangallensis 359 – die älteste Musikhandschrift der Welt aus dem 10. Jahrhundert – in der berühmten St. Galler Stiftsbibliothek zu bestaunen. Auch in Prien hat die Pflege des Gregorianischen Chorals eine gewichtige Tradition, die Prankl weiter ausbauen möchte. Die Priener Choralschola berücksichtigt den neuesten Forschungsstand und verwendet deshalb die Notenausgabe des „Graduale Novum“, das neben der Quadratnotation auch die Neumen aus den Klöstern St. Gallen (Schweiz) und Laon (Frankreich) enthält.
Der Gregorianische Choral gilt als Wurzel der abendländischen Musikkultur und erlebt durch den zeitlosen, meditativen Duktus der uralten Melodieverläufe derzeit eine Renaissance. Im Zeitraum zwischen dem vierten und achten Jahrhundert wurden die einstimmigen und unbegleiteten Gesänge für die römische Liturgie geschaffen und zunächst ausschließlich mündlich überliefert. Papst Gregor der Große (gestorben 604) setzte sich mit der Gründung der „Schola cantorum“ für die Pflege und Weiterentwicklung der Choralgesänge ein, so dass der Name dieses Papstes bis heute mit dem Choral verbunden ist. Ab dem neunten Jahrhundert wurden die lateinischen Texte mit den sogenannten „Neumen“ versehen, die Auskunft über die rhythmische Ausführung der Gesänge geben. Im Jahr 1025 entwickelte Guido von Arezzo das Vier-Linien-System. Dieses ermöglichte als Vorläufer der modernen Notenschrift, Melodieverläufe zu notieren.
Foto Hötzelsperger: Introitus „Sitientes“ im aufgeschlagenen „Graduale Novum“