VON DER BEDEUTUNG DES ANFANGS — GEBOTE UND VERBOTE AM NEUJAHRSTAG – entnommen dem Buch Bräuche und Legenden für die Winterzeit
Wie das neue Jahr verlaufen wird, das hat nach altem Glauben jeder selbst in der Hand: Wer an Neujahr als Letzter aufsteht, wird das ganze Jahr nicht in die Gänge kommen. Wer als Erster aus den Federn hüpft, wird das ganze Jahr über früh dran sein. Hat man am Neujahrstag Geld, so wird man das ganze Jahr Geld haben und umgekehrt. Wer in der Neujahrsnacht schlecht schläft, wird das ganze Jahr Probleme mit dem Schlaf haben — wer an diesem Tag aber tagsüber schläft, wird das ganze Jahr lang schläfrig sein. Wer am Neujahrstag fröhlich ist und herumspringt, wird das ganze Jahr flink und lustig sein — und so weiter. Jeder bemühte sich also darum, den Neujahrstag und die vorhergehende Nacht so zu verbringen, wie er sich wünschte, dass das Jahr verlaufen möge. Wie in allen Raunächten gelten aber auch für diesen Tag die allgemeinen Verbote, Wäsche draußen aufzuhängen, Dinge zu verleihen oder halbfertige Arbeit vom alten ins neue Jahr hinüberzunehmen — etwa nicht abgesponnene Wolle auf dem Rocken oder eine unordentliche Wohnung. Diese Bedeutung des Anfangs übertrug man auch auf die Tiere im Stall, auf die Bäume im Obstgarten und die Felder und Wiesen. Am Neujahrsmorgen wurden die Obstbäume geschüttelt, man band volle Ähren um den Stamm, der Bauer steckte sich Körner von jeder Getreidesorte in die Tasche, bevor er in die Kirche ging — alles, um eine reiche Ernte im neuen Jahr anzuregen. Die Tiere bekamen besonders reichlich zu fressen — vielfach Erbsen oder Erbsenstroh. Denn Erbsen gehörten zu den Glücksspeisen am Neujahrstag, auch für Menschen. Wie bei den Linsen, der Speise für die Silvesternacht, so stehen die Erbsen für Reichtum an Geld ebenso wie für das Auf-quellen, das Vermehren, von Glück und Wohl-stand. Der Glaube an die Wirksamkeit der Erbsen am Neujahrstag ging so weit, dass man sogar Erbsen kochen sollte, selbst wenn keiner sie essen wollte. Aber von ihrem Verzehr versprach man sich nicht nur Geld, sondern auch Gesundheit im ganzen neuen Jahr.
DER ANGANG – Der Angang war das ganze Jahr über wichtig, an Neujahr aber wurde er als Vorzeichen für das ganze Jahr gedeutet.
Unter Angang versteht man die zufällige Begegnung mit einem Menschen oder einem Tier, aus der man eine Bedeutung für die nähere oder ferne Zukunft ableitet. Wir kennen heute nur noch den Aberglauben von der schwarzen Katze, die Unglück bringt. Am wichtigsten als Zukunftsorakel waren schon immer die erste Begegnung am Morgen, die auf den Verlauf des Tages hinweisen soll, und vor allem die erste Begegnung im Jahr, also am Neujahrsmorgen. Daraus leitete man Glück oder Unglück im ganzen Jahr ab. Unglück verheißende Zeichen waren immer alte Leute, von denen es hieß, sie hätten nicht mehr genügend Glück, um davon etwas abgeben zu können, ferner alles, was symbolisch auf den Tod hinweist: ein Mensch oder ein Tier, das in der Erde gräbt, jemand, der einen Kranz trägt, Menschen mit leeren Gefäßen in der Hand und alles Schwarze. Gute Vorboten sind junge, schwangere Frauen, geliebte Menschen, solche mit vollen Gefäßen und alles Weiße. Karl von Leoprechting hat 1855 über diesen Aberglauben im Lechrain Folgendes geschrieben: »In der Morgenfrüh, wenn der Tag noch jung und unentweiht, wenn man da über Land geht, was einem zuerst begegnet, das nennt man den Angang und bedeutet Gutes oder Uebles, je nachdem. Ein altes Weib, ein Geistlicher, ein Weib mit aufgelöstem Haar, das sind schlechte Angänge, sollte man lieber umkehren. Eine Hure dagegen bringt Glück; drum sind die ledigen Kinder auch so häufig Glückskinder. Schweine sind schlechte, Schafe hingegen gute Zeichen. Ganz von übler Vorbedeutung ist es, wenn ein Hase über den Weg springt, da sagt man gern: Has, Has, Langohr, bist eine Hex bewahr mich Gott davor. Auch von dem Wiesel hat man gar einen schlechten Glauben. Ebenso ist die Eidechse ein geschiechenes Thier, ist giftig und soll aus fleischlicher Vermischung von Hexen mit dem bösen Feind herstammen. Ein schwarzer Hahn, eine schwarze Katze und ein schwarzer Bock können am leichtesten verhext werden darum üble Zeichen…. Besonders von den Katzen weiß man nicht recht, sind es Thiere oder verwunschene Geister…. So glaubt man auch, dass aus alten Katzen Hexen, und aus diesen endlich wieder Katzen werden. Wenn man Katzen peitscht, zeigen gewisse Weiber oft verhauene Gesichter. Raben dagegen, Krähen, Störche, Schwalben sind den Menschen glückbringende Thiere, und soll man keine schießen, das bringt ganzen Gemeinden Unglück. Elstern sind Galgenvögel, bedeuten für das vorhabende Geschäft einen ganzen verlorenen Tag. Das Aechzen der Käuzln zeigt ein Sterben an; ebenso das Erdschmidl, wenn es tickt; die Atter, wenn sie klappert; die Schermaus, wenn sie den Scherhaufen nahet menschlicher Wohnungen aufstößt und dergleichen mehr.« Gegen einen schlechten Angang, wenn er einen nun schon einmal ereilt hat, hilft es, umzudrehen, noch einmal ins Haus zurückzugehen und abermals seinen Weg anzutreten. Wenn man schon zu weit von zu Hause entfernt ist, dann ist ein probates Gegenmittel das Ausspucken, am besten dreimal. Schon bevor man das Haus endgültig verlässt, soll dreimaliges Ausspucken über der Türschwelle Böses abhalten und Gutes herbeizwingen. Heute haben wir gelernt, dass sich das nicht gehört. Wir sagen in-zwischen »Toi, toi, toi« — was nichts anderes ist, als eine gesprochene Erinnerung an das früher gebräuchliche dreimalige Ausspucken.
BAUERNREGELN AM NEUJAHRSTAG – Natürlich war der erste Tag des neuen Jahres auch ein wichtiger Lostag, an dem man aus dem Wetter Rückschlüsse auf den Verlauf des neuen Jahres zog. Wie das Wetter an Neujahr, so soll es das ganze Jahr über sein — also entweder gut oder schlecht. Das Neujahrs-Wetter hat nach altem Glauben aber auch Auswirkungen auf Mensch und Tier: Starker Wind am Neujahrstag bedeutet — je nach Region — viele Krankheiten im neuen Jahr, einen Sterbefall oder zumindest ein unruhiges Jahr. Entsprechend gilt: »Schöner Neujahrstag, fruchtbar Jahr.« Heiteres Frostwetter soll Gesundheit vorhersagen, feuchtes Nebelwetter dagegen Krankheiten. Ist der Himmel heiter, legen die Hühner gut, wenn es schneit, gibt es viele Bienenschwärme. Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen, sie zeigt vor allem, wie sehr die Menschen früher genauso wie heute versuchten, essentielle Ereignisse vorherzusehen: Wetter, Fruchtbarkeit, Krankheiten, Tod — mit dem Unterschied, dass es früher nicht die modernen Instrumente gab, über die wir heute verfügen, sondern nur Naturbeobachtungen, Glauben und Aberglauben.
Ein Spruch, ist heute noch gültig: Die dunklen Nächte werden kürzer, der Tag sichtbar länger — »an Weihnacht um an Mucken-schritt, Neujahr um an Hahnatritt, Dreikönig um an Hirschensprung, Lichtmess um a ganze Stund«.
Entnommen dem Buch: Bräuche und Legenden für die Winterzeit – von Dorothea Steinbacher
Information kompakt:
- Seitenzahl: 192
- Aufmachung: 17,0 x 24,0 cm – Durchgehend vierfarbig
- Preis: 18 Euro
- ISBN: 978-3-466-37224-9
- Erscheinungsdatum: 26. Oktober 2020
- Weitere Informationen: www.koesel.de