Kultur

Galerie Rudolf L. Reiter: Interview mit Hamit Ataseven

Der Künstler Hamit Ataseven hat ein schweres Erbe angetreten: Er ist der Schwiegersohn des international erfolgreichen, 2019 verstorbenen Erdinger Künstlers Rudolf L. Reiter. Und zugleich Ehemann der Galeristin Victoria Reiter. Nach Trauerzeit und Pandemie möchte er jetzt dem legendären Künstlerhaus in der bayerischen Herzogstadt einen neuen Geist einhauchen.

Rudolf L. Reiter war längst Kultfigur im internationalen Kulturbetrieb. Seine Werke zieren den Deutschen Bundestag und hängen zudem in zahlreichen Münchener Museen, in Miami und Los Angeles. Hamit Ataseven braucht jetzt enorm viel Energie. Über seinen außergewöhnlichen Weg in die Kunst, die Unsicherheit während der Pandemie, Lebensziele und große Träume.

Ein glänzendes Rot neben tief sattem Orange, luftig-leichtes Blau und Violett vor olivdunklen Grüntönen: Das Atelier von Hamit Ataseven ist das reinste Farbenmeer und verströmt einen ganz eigenen Duft nach Drucker-Ölfarben. Dicht an dicht drängen sich unzählige Farbtöpfe in allen Formaten und Größen. Die Räume glänzen mit einer schillernden Vergangenheit: In mehr als vier Jahrzehnten schuf Rudolf Ludwig Reiter dort unten im lichtdurchfluteten Keller insgesamt rund 6800 Kunstwerke – Bilder, Skulpturen, Installationen. Ein Musentempel mitten in der Stadt. Genau zwei Jahre ist es nun her, dass der Malerfürst unmittelbar nach seinem 75. Geburtstag verstarb.

Eine Retrospektive im Frauenkircherl, einem Ausstellungsort der Stadt Erding, würdigte Reiter vor Kurzem anlässlich seines Todestages. Seit dem Tod des Meisters ist das Reiter-Atelier nun Hamit Atasevens persönliches Reich. Mehr als 25 Jahre stand dem Kunstgenie bei unzähligen Malaktionen zur Seite, ein Vierteljahrhundert war er „Meisterschüler“ seines großen Idols. Nur Malen durfte er in dieser Zeit nicht – so lautete die Anordnung des Meisters. Die Liebe zur Kunst aber begleitete Ataseven seit seiner Kindheit. Doch erst jetzt kann Ataseven freien Herzens unbeschwert zu Farben und Pinsel greifen.

Seit Monaten schon bricht die Kunst förmlich heraus aus dem 50-jährigen Deutschen mit den türkischstämmigen Wurzeln. „Aber mein Leben ist doch die Kunst“, meint der dunkelhaarige Künstler mit der kräftigen Statur und den dunkelbraunen Augen voller Pathos. Er weiß, dass er jetzt zwar erst ganz am Anfang seiner Karriere steht. Aber Hamit Ataseven möchte nun endgültig durchstarten: Erfolgreich werden in Erding – und sonst wo auf der Welt. Die Zeichen stehen ganz gut. Denn wer Hamit Ataseven begegnet, spürt von Beginn an seine enorme Energie, seinen Spirit und seine unbändige Leidenschaft für die Kunst.

Hamit Ataseven, lassen Sie uns über das Reiter-Atelier reden. Wie lässt es sich arbeiten in diesen Heiligen Hallen? Spüren Sie noch den Geist des Schwiegervaters?

Hamit Ataseven: Ja natürlich! Mein Schwiegervater ist schon immer dabei! Ich rede täglich mit ihm, sage „Guten Morgen“ und am Feierabend dann „Tschüss, mein Meister!“

Können Sie sich noch genau erinnern an den Augenblick, in dem Sie zum ersten Mal selbst kreativ wurden unter seiner Anleitung?

Oh ja! Im alten Atelier gegenüber zeigte er mir, wie man millimetergenau Passepartouts ausmittelt und schneidet. Feinarbeit. Später habe ich ihm die Farben hergerichtet. Und auch das Pinsel reinigen mit Terpentin war ihm sehr wichtig. Nach drei Lehrjahren war ich selbstständig, baute seine Ausstellungen auf und wieder ab, es war wirklich viel Arbeit! Und später habe ich angefangen, seine Bronze-Skulpturen mitzugestalten: Den St. Prosper in Erding zum Beispiel und die Epochalkugel am Audi-Forum beim Münchner Flughafen.

Wie schauten Ihre Lehrjahre beim Meister genau aus? Wurden Sie wie in der Schule unterrichtet, oder gab es mehr ein heimliches „Spicken der Tricks und Kniffe“?

Bei seinen Malarbeiten war ich zwar jedes Mal dabei. Aber er wollte nicht, dass ich selbst male. Einmal zeichneten er und ich eine Skizze auf ein weißes Blatt Papier und zeigten es seiner Frau Hilde Amalie, die ihn als Galeristin betreut hat. `Welches gefällt Dir besser`, lautete die Frage. Schlussendlich war das Meines. Das hat ihn sehr wütend gemacht. In dem Moment hat er die Tür zugeknallt und ist einfach davon gelaufen.

Künstler gelten oft als launische Gefühlsmenschen. Gab es mehr Zwist im Atelier?

Wir hatten „Krieg und Frieden“! Es war schon schwierig. Er hat jeden Tag gebrüllt und ich bin mehrmals vom Atelier abgehauen. Doch spätestens nach fünf Minuten rief er mich an und meinte „Bua, entschuldige, ich habe das doch so nicht gemeint!“ Und wir hatten auch viel zusammen zu lachen. Ja, es war eine anstrengende aber auch sehr schöne Zeit mit ihm.

Sind Sie ebenso impulsiv?

Nein, nein. Ich bin eher ruhig und ausgeglichen. Sternzeichen Waage. Aber wenn ich mich über etwas richtig ärgere, dann bleibt das lange hängen!

Wie haben Sie die Corona-Pandemie überstanden?

Die Corona-Zeit war unsere persönliche Trauerzeit! Mitten in der Trauer habe ich urplötzlich angefangen zu malen. Es war wie ein Rausch. Ich habe nach und nach alle 13 Leinwände bemalt, die noch leer waren. Dass es genau 13 waren, empfand ich als Glücksfall. Denn die 13 war die Glückszahl des Meisters. Der Tag, an dem seine Tochter Victoria geboren wurde.

Wie ging es Ihnen dabei?

Die Gemälde sind allesamt in dunklen, düsteren Farben – eben, weil ich so traurig war. Sie haben Titel wie „Krieg und Frieden“, „Freiheit, „In Trauer“ und „Vermisse Dich…“ Ich war jeden Tag kaputt – richtig am Ende! Durch den plötzlichen Tod des Schwiegervaters, den Lockdown – einfach Alles…Auch wegen Allem, was ich mit ihm mitgemacht habe. Der „Löwe mit den Flügeln“ stammt auch aus dieser Zeit. Ein weiteres Gedenken an meinen Meister.

Rudolf Ludwig Reiter war in Erding zuhause, arbeitete zeitweise aber auch in New York und auf Island. Konnten Sie ihn auf diesen ganz großen Reisen denn begleiten?

Leider hat das nicht geklappt. Er wollte mich überall mitnehmen, aber meine Frau Victoria wollte nicht so lange Zeit alleine zurückbleiben. Das habe ich verstanden. So war es eben! Aber in Deutschland war ich überall mit dabei!

Der große Meister fühlte sich in vielen Stilrichtungen zuhause: Impressionismus, Expressionismus oder auch sehr der Romantik der Moderne zugewandt. Welche Epoche hat sie besonders inspiriert?

Meine Stilrichtung ist die Abstrakte, die informelle Malerei. (Anmerkung der Redaktion: gegenstandslose Kunst) Daran reizt mich besonders die starke Spontanität und das Formlose, aus dem dann etwas ganz Eigenes entsteht. Ich male nach meinen Gedanken!

In welchen Farben finden Sie sich selbst wieder? Was ist Ihre Lieblingsfarbe?

Lacht: Oh, es gibt da zwei Kategorien: Als türkischer Fußballfan meiner Heimatstadt Rize liebe ich natürlich vor Allem grün und blau. Werde ich aber als Künstler gefragt, dann sind meine Lieblingsfarben Rot, Orange, Gelb und Blau. Aber ehrlich gesagt: Beim Malen sind alle Farben meine Lieblingsfarben!

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ hat der antike griechische Geschichtsschreiber Thukydides vor etwa 2500 Jahren formuliert. Welche Rolle spielt bei Ihnen der/die Bildbetrachter/in?

Ich male in erster Linie für mich selbst. Aber es ist mir auch sehr wichtig, dass die Werke am Ende den Menschen gefallen! Ich habe glücklicherweise super positive Rückmeldungen bekommen. Es gab Kundschaft, das darf ich hier so sagen, die hat beim Ankauf der Bilder geweint. Und sagte: “Welche Freude Du mir mit diesem Bild gemacht hast, ist einfach unglaublich!“ Wenn mich ein Mensch so lobt, das tut natürlich gut. Und was ich von meinem Schwiegervater in all den langen Jahren gelernt habe, das gebe ich doch gerne weiter!

Wann ist ein Werk vollendet?

Das ist meist schwer zu sagen. Wenn ich mit einem Bild fertig bin, überlege ich oft hundert Mal, ob das Gemälde noch etwas braucht. So manches Werk habe ich sechs bis acht Mal überarbeitet.

Welche Bedeutung hat die traditionsreiche Portrait-Malerei?

Portraits sind mir sehr wichtig. Ob jung oder alt. Dabei verheimliche ich auch „nix“. Ich benötige ein schönes Foto, das wird auf Leinwand gedruckt und auf einen Keilrahmen gespannt. Dann beginnt der Prozess: Alles wird Stufe für Stufe übermalt. Am Ende sind es zwei Bilder übereinander: Das Porträt und die abstrakte Kunst. Besonders beliebt sind inzwischen aber auch Porträts von Tieren.

Kann man sich Ihre Porträts leisten?

Beim Preis habe ich komischerweise ein weiches Herz! Wichtig ist mir, dass sich jemand wirklich für Kunst interessiert. Ich bin so ein Typ: Bei Porträts komme ich den Leuten auch schon mal entgegen. Das Wichtigste ist, dass meine Werke gefallen – der Rest ergibt sich.

Viele Ihrer jungen Meisterwerke wie die großformatigen „Krieger“ und der eindrucksvolle „Löwe“ sind wohl eher für den öffentlichen Raum bestimmt.

Nein, so kann man das nicht sagen. Ich kann mir den Löwen auch sehr gut vor dem Haupteingang einer Villa auf einer schönen Säule vorstellen. Oder die beiden „Krieger“ im Grünen, das stelle ich mir irgendwie wunderschön vor…

Möchten Sie irgendwann einmal den berühmten Erdinger Kulturpreis gewinnen?

Oh ja – das würde mich ehrlich freuen. Oder auch, wenn ein Auftrag käme von Landkreis oder Stadt, ein Bild oder eine Skulptur, egal wo in der Stadt – das würde ich sofort machen! Ich bin doch inzwischen ein „Erdinger Junge“!

Welche Rolle spielt dabei Ihre Frau Victoria als Galeristin?

Es spiegelt sich alles wider: So wie mein Meister seine kluge, liebenswerte Frau Hilde Amalie als Managerin hatte, so wichtig ist Victoria auch für mich als Managerin und Galeristin. Aber auch als Ehefrau und Mutter unserer beiden Kinder!

Und zum Schluss: Was macht Sie glücklich in der Kunst?

Wenn ich hier eintrete ins Atelier, bin ich ein freier Mensch: Ich komme herein, mache mir schöne Panflötenmusik an und dann geht`s los. Malen macht mich ohne Ende glücklich! Ich bin endlich am richtigen Platz angekommen!

Haben Sie in der Mitte Ihres Lebens noch einen großen Traum?

Nun ja, das Wichtigste ist natürlich, dass meine Kinder und meine Frau gesund sind. Aber mein ganz großer Traum wäre natürlich, dass ich am Ende so berühmt werde wie mein Schwiegervater: Malen war sein Leben. Für mich war und bleibt er der beste Künstler!

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Hamit Ataseven, 50, ist in der Türkei am Schwarzen Meer geboren, kam aber bereits mit vier Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland. Er ging in Freising und später in Erding zur Schule und leitete zunächst ein türkisches Spezialitäten-Restaurant in Erding, ehe ihn sein großes Vorbild Rudolf L. Reiter als „Lehrbub“ in dessen Atelier holte. Nur ein Beruf hätte ihn fast noch von der Kunst abgebracht:Der Profi-Fußball. Denn fast wäre Hamit Ataseven als Spielmacher bei 1860 München gelandet: Eine „Rote Karte“ beim Relegationsspiel stoppte das Vorhaben in letzter Minute. Wohl ein Wink des Schicksals: Die Kunst zog sich wie ein roter Faden durch sein Leben: „Im Zeichnen war ich in der Schule immer Klassenbester!“

Interview: Annette Berger, Kunsthistorikerin – Foto: Atelier + Galerie Rudolf L. Reiter, Erding

Anhang:

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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