Brauchtum

Frauentragen in Diessen am Ammersee – Barockes Brauchtum

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Von Beate Bentele – Jedes Kind weiß, was ein Adventskalender ist. Die sind heutzutage nicht nur mit nostalgischen Miniaturbildchen hinterlegt, mit denen Kinder durch die 24 Dezember-Tage bis zur Heiligen Nacht navigiert werden. Nein, heuer – im Corona-Advent – fallen sie besonders üppig aus und sind mit allerhand Überraschungen gefüllt. Es gibt noch einen weiteren, aber weit weniger bekannten Wegweiser vom ersten Advent bis zur Heiligen Nacht, der vielen nicht mehr geläufig ist – aber in Diessen am Ammersee seit einem Vierteljahrhundert gepflegt wird: Das Frauentragen.

Das Frauentragen im Advent gehört zu den alten christlichen Überlieferungen, die ursprünglich im Alpenraum heimisch waren, jedoch heute in städtischen, aber auch in vielen ländlichen Gegenden verschwunden sind. Manche Quellen siedeln den Brauch in der Frömmigkeit des Barocks an. Demnach steht die vorweihnachtliche Zeit im Zeichen des Wegs, des Aufbruchs und des Wanderns am Beispiel der Heiligen Familie: Zuerst besucht Maria ihre Cousine Elisabeth, um von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Später macht sie sich mit Josef auf den Weg nach Bethlehem zur Volkszählung. Sie scheitern an der Herbergssuche und lassen sich in einem Stall nieder. Dann ziehen auch die Hirten los und suchen das Kind – so sind Gott und Mensch unterwegs zueinander.

Diese Ereignisse verbinden sich symbolisch im „Frauentragen“, bei dem vom ersten Advent bis zur Heiligen Nacht eine schwangere Marienfigur von Haus zu Haus getragen, und von Familie zu Familie weitergegeben wird. Wo Maria einkehren darf, steht sie einen Tag und eine Nacht im Mittelpunkt und führt die Familie in Spiritualität zusammen. Am schönsten ist es, wenn die Generationen miteinander feiern, wenn sie Geschichten erzählen, Adventslieder singen, miteinander musizieren und beten.

In Diessen ist Anneliese Wernseher mit ihrer Familie auf dem Tonihof in St. Georgen seit Jahren Gastgeberin für Maria. Dafür richten die Wernsehers – ähnlich wie es andere Familien auch tun – in der guten Stube oder im Esszimmer einen Platz für das Marienbild ein, schmücken es mit Tannengrün und Kerzenlicht, ein Teller Plätzchen steht dabei und in der heimeligen Stimmung verbringt die Familie den Abend miteinander, bevor sie das Marienbild am nächsten Tag weiter trägt.

MARIA MIT DEM STERN

In der Marktgemeinde am Ammersee hat Monsignore Werner Schnell während seiner Diessener Zeit zwischen 1996 und 2000 eine Ikone extra nur für das Frauentragen renovieren lassen. Es ist eine Mariendarstellung aus dem Pfarrmuseum, die der kunstsinnige Geistliche in einem Aufstellrahmen hinter Glas sichern ließ. Eigens für das Bild wurde auch ein Koffer angefertigt, damit es schadlos von Haus zu Haus kommt. Bei dem Bild, so hat es Werner Schnell aufgeschrieben, handelt es sich um ein „auf alt“ behandeltes Holz, auf das eine italienische Malerei in „Maniera greca“ angebracht wurde. Das eigentliche Vorbild dürfte eine Malerei des 16. Jahrhunderts sein.

Auf dem Bild neigt sich Maria – vermutlich – ihrem Sohn zu, dafür spricht auch der Stern mit seiner roten Farbigkeit. Auf ein sichtbares Jesuskind wurde offensichtlich verzichtet, um das Bild als antikes Fragment erscheinen zu lassen. Die Marienbild-Ikone ist einem bestimmten Gnadenbild-Typus zuzuordnen, der – beeinflusst von Byzanz – die Ost- und Westkirche bereichert hat. Der Stern, der im und am Marienmünster Diessen eine bedeutende Rolle spielt, war auch schon in frühester Zeit ein „Schriftzeichen“ der Gottheit.

DIE „GRÜNDERVÄTER“

Es gibt keine gesicherten Unterlagen, wann das Frauentragen in Diessen entstanden ist, oder ob es jemals in der Vergangenheit diese Art der vorweihnachtlichen Brauchtumspflege gab. Aber eines ist sicher: Vor gut einem Vierteljahrhundert haben Max Schwarz, Vorsitzender von der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung Diessen, KAB, und der Kaindl Sepp vom Heimat- und Trachtenverein d‘ Ammertaler Diessen-St. Georgen das Frauentragen im Advent neu begründet und eine Zeitlang auch organisiert. Solange, bis es von der Pfarrei übernommen wurde.

Wie es dazu kam? „Do samm mr zamma g‘hockt und ham gredt. Im Wirtshaus. Auf oimoi war d‘ Red‘ vom ‚Frauentragen‘“, erinnern sie sich. „Wir sind froh“, sagen sie heute bei einer gemütlichen Kaffeerunde, „und wir sind dankbar, dass es weitergeht. Gerade im Corona-Advent ist es eine wunderbare Möglichkeit, vor allem Kindern das Geschehen rund um die Heilige Nacht nahe zu bringen. In der vorweihnachtlichen Atmosphäre daheim. Wie kann man nachhaltiger und erlebnisreicher das fromme Geschehen in Bezug auf den heutigen Alltag vermitteln?“ Jetzt wünschen sich die Zwei, dass besonders junge Familien als Gastgeber auftreten für die Mutter Gottes. Das ist ganz einfach: Wer dabei sein kann, meldet sich umgehend im Pfarramt Diessen an 08807.94894.0.

Die Aussendung des Marien-Bildes findet am Ersten Adventsonntag, 29. November, während des 10 Uhr-Gottesdienstes im Marienmünster statt. Am Heiligen Abend, 24. Dezember kehrt es – voraussichtlich zum 16 Uhr-Gottesdienst – wieder zurück, informiert Pfarrer Josef Kirchensteiner. Über den Jahreswechsel bleibt es auf einem großen Wurzelstock zur Anbetung im Altarraum.

Beate Bentele.

 Zu den Bildern:

  • Die Marien-Ikone wandert im Advent in Diessen am Ammersee von Haus zu Haus. Foto Beate Bentele.
  • Zwischen Weihnachten und Neujahr verbleibt die Darstellung Mariens im Altarraum des Marienmünster. Ihr Platz ist wie seit Jahren auf einer großen Wurzel.        Foto Hans-Jürgen Oppler.
  • Organisieren das Frauentragen in der Pfarreiengemeinschaft Diessen (von links) Pfarrsekretärin Michaela Noll, Pastoralassistentin Ruth Hoffmann, Pfarrer Josef Kirchensteiner und Anneliese Wernseher. Foto Beate Bentele.
  • Sepp Kaindl vom Heimat- und Trachtenverein Diessen-St. Georgen (links) und Max Schwarz, Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer Bewegung Diessen, KAB, sind die „Urväter“ des Frauentragens in Diessen. Heute freuen sie sich, dass der Brauch im Corona-Advent eine gute Alternative ist, in Familien das christliche Geschehen hautnah zu erleben.            Foto Magnus Kaindl.

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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