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Frasdorfer Kriegserinnerungen

Veröffentlicht von Christina Rechl

»Kriegserinnerungen – Teil 2 – Kriegsende“ von Georg und Franz Osterhammer und Günter Merkens

Ein weiteres Erlebnis, das sich bei den Lerl Buben Georg und Franz Osterhammer eingeprägt hat, war im Frühjahr 1945. Unmittelbar vor Kriegsende, Anfang Mai 1945, marschierte ein Trupp Soldaten mit ihren Pferdegespannen von Söllhuben her kommend, Richtung Frasdorf. Damals führte diese Straße noch über den steilen Laiminger Berg über Stötten und Ginnerting nach Frasdorf.

Als sich an diesem Tag in den frühen Morgenstunden der dichte Nebel etwas lichtete und man zur Autobahn runter schauen konnte, sahen die Soldaten, dass die Amerikaner bereits auf der Autobahn waren, und sie flüchteten ganz spontan  mit allen Wägen und Pferden zum Lerl in den Obstgarten. Es müssen sehr viele Soldaten gewesen sein, denn der damals sechsjährige Franz erinnert sich, zuvor noch nie so viele Leute an einem Ort gesehen zu haben. Der ganze Obstgarten war voll Soldaten, Wägen und Pferden. Mehrere Wägen, die weiter draussen im Obstgarten stehen geblieben waren, wurden später vom Vater Georg und seinem Bruder Hias, der wegen eines schweren Hüftleidens ebenfalls auf dem Hof lebte, mit den verbliebenen Pferden weiter zum Haus herangezogen und die Pferde in der Tenne angehängt. Die Pferde waren so ausgehungert, dass sie die Holzleitern, an denen sie angehängt wurden, so hergebissen und angeknappert haben, dass diese nicht mehr brauchbar waren.

Die Wägen waren zum Teil mit Munition beladen.
Die Soldaten wurden dann von den Amerikanern gefangen genommen und zu einer Sammelstelle geführt, die zwischen Austraße und Pfannstiel eingerichtet war. Ein paar wenige wurden mit einem Jeep gefahren, darunter ein ganz junger Soldat, der kaum noch laufen konnte. Und Schorsch hörte wie er zu dem älteren Fahrer sagte: „Endlich darf ich einmal fahren, seit ich bei den Soldaten bin, mußte ich nur marschieren“. Aber der antwortete nur kurz: „Ja, jetzt fährst du in die Gefangenschaft“. Georg Osterhammer erinnert sich auch, dass die Fläche, auf der die Gefangenen zusammengeführt wurden, mindestens ein Tagwerk groß war und zwischen Austraße  und Pfannstiel war. Dieses Gebiet war von Stötten aus gut einsehbar. Die Wägen und die Munition blieben im Obstgarten stehen. Auch eine Kanone war dabei. Es gibt ein paar Fotos – die Mutter der Lerl Kinder, Barbara Osterhammer, hat schon in jungen Jahren selber fotografiert – wo der zwölfjährige Schorschl mit und auf der Kanone spielt. Der Vater, Georg Osterhammer sen., hatte zuvor bei den Kartuschen für die Kanone die Zünder entschärft, um eine Explosion durch die spielenden Kinder zu vermeiden.

Die Pferde wurden nach und nach von ehemaligen Pferdebesitzern abgeholt. Die Kanone wurde später von den Amis mit einem Panzer weggeschleppt, vorübergehend am Frasdorfer Bahnhof abgestellt und später über die Autobahn  abtransportiert. Auch eine Feldküche stand lange Zeit im Obstgarten. Auf einem der alten Fotos ist neben der Kanone ein sogenannter „Protzenkarren“ zu sehen. An diesen war die Feldküche angehängt, um sie transportieren zu können. Beides blieb vorerst beim Lerl stehen. Auf dem „Protzenkarren“ saß in der Regel der Fuhrmann (Pferdeführer) und meist jemand aus der sogenannten „Oberschicht“, darum vermutlich der beim allgemeinen Volk übliche, respektlose Name. Schorsch und Franz erinnern sich, dass der Vater, gemeinsam mit Heinz Merkens, diese Feldküche, solange sie in Stötten stand, zum Sirup kochen genützt haben. Heinz Merkens und Georg Osterhammer waren beide ziemliche Tüftler, und sie haben sich die Feldküche so zurecht gemacht, dass sie Rübensirup damit kochen konnten. Aber auch diese Feldküche wurde später wieder abgeholt.

Familie Merkens aus Dülken war in Stötten, weil die Menschen am Niederrhein evakuiert wurden, da diese Gegend während des Krieges stark bombardiert wurde. Eigentlich sollten alle nach Thüringen kommen, aber Frau Merkens hat gefragt und gebeten, ob sie nicht Bayern könnte, weil ihre Schwester im Landkreis Rosenheim lebte und ein Quartier besorgen könnte. Mary Keller, die Schwester von Elisabeth Merkens , hatte beim Lerl bei der Geburt deren letzten Kindes, Franz, als „Landjahrmädel“ auf dem Hof gearbeitet und immer noch Kontakt zu dieser Familie. Sie hat nun vermittelt, dass Frau Merkens mit ihrem kleinen Sohn vorrübergehend beim Lerl eine Bleibe fand. Der Ehemann, Heinz Merkens, war bei Kriegsende in Italien und hat sich dann zu Fuß nach Frasdorf zu Frau und Kind durchgeschlagen. Laut Erzählungen war er bei schwierigsten Witterungsverhältnissen unterwegs. Es gab zum Teil Neuschnee. Als Vorsichtsmaßnahme hat er die Route über den Brenner gemieden und ist durch das Zillertal gelaufen, wobei es auch hier einige Gefahrensituationen gab, bis er Frasdorf erreichte.

Die Familie wohnte anschließend mehrere Jahre beim Lerl. Heinz Merkens war Schuster, und hat  allen Leuten in der Umgebung die Schuhe gerichtet. Später fand er in Rosenheim Arbeit als Schuster und hat auch weiterhin in Stötten ein wenig geschustert. Lisbeth und Heinz Merkens waren auch große Gartenliebhaber. Sie bekamen vom Lerl ein kleines Grundstück zur Verfügung gestellt und bauten ihr eigenes Gemüse an. Auch Gemüsesorten die man bis dahin in Stötten nicht kannte, die aber dann auch hier übernommen wurden. Erst einige Jahre nach dem Krieg zogen die Merkens wieder an den Niederrhein. Der Sohn Günter wurde 1948 eingeschult, und das war der Grund, wieder in ihre Heimat zurück zu kehren. Zwischen den Familien Merkens und Osterhammer hat sich damals eine Freundschaft entwickelt, die bis heute besteht.
Die Schwester von Frau Merkens, Maria Keller -Mary, wie sie in Frasdorf genannt wurde- und ihr Mann Willi, haben viele Jahre beim Keil Schorsch in Ginnerting gewohnt und sind dann zur Familie Traurig in den heutigen Blumenweg umgezogen. Und hier durfte Günter Merkens, einige Jahre seine Ferien verbringen, nachdem er am Niederrhein eingeschult worden war und er doch so gern in Frasdorf gewesen ist. Die Ferien in Nordrhein Westfalen waren aber auch damals schon viel früher im Jahr als bei uns in Bayern. Und in dem kleinen Frasdorf hat sich natürlich schnell herum- gesprochen, dass hier ein kleiner Junge ist, der nicht in die Schule geht. Darum kam gleich im ersten Jahr zu Beginn der Ferien der damalige Frasdorfer Lehrer zu Familie Keller und informierte diese, dass in Bayern um diese Zeit noch Schule ist und daher der schulpflichtige Bub hier in die Schule gehen muß, solange er sich hier aufhält. Familie Keller akzeptierte diese Mitteilung und schickte ihren kleinen Neffen währen dieser Zeit in die Frasdorfer „Volksschule“, wie sie damals hieß. Und so mußte der kleine Grundschüler während der Schulzeit den Unterricht in Dülken am Niederrhein und während der Ferienzeit in Frasdorf im Chiemgau besuchen.

Ja, das war eine andere Zeit. Heute undenkbar. Wie so vieles andere auch.

  Fotos & Text: Franz u. Hildegard Osterhammer

 

 

 

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Christina Rechl

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