Italienisches Lebensgefühl in all seinen Facetten – Musikalische Reise mit Etta Scollo am 21. Oktober in Bruckmühl
Die italienische Wahl-Berlinerin und Musik-Künstlerin Etta Scollo kommt am 21. Oktober in die Kulturmühle nach Bruckmühl. „Das Leben ist ein Lied, und im Lied erzählt man das Leben“ – dieses Motto hat die sizilianische Sängerin, die bei ihren Konzerten immer Anekdoten zu ihren Liedern erzählt und transportiert es, wie keine andere von der Bühne zu den Zuhörern. Über das Leben und ihre Lieder sprach sie vorab uns. Etta Scollo wird von vielen Kritikern als „Stimme Siziliens“ gefeiert. Ihr neues Programm „Ora“ wird sie in Bruckmühl darbieten. Darin vertont sie einmal mehr sizilianische Gedichte und fügt eigene Texte hinzu, die die Kraft des Lebens besingen. Was sie unter dem „Ora“, dem „Jetzt“, versteht, erzählt Etta Scollo im Gespräch mit unserer Zeitung. Musikalisch wird sie dabei von Daniel Moheit (Akkordeon und diverse Klang-Instrumente) sowie Susanne Paul (Cello, Stimme) begleitet.
Mit ihrem neuen Opus „Ora“ geben Sie eine musikalisch vielschichtige Antwort auf das „Im Hier und Jetzt sein“. Was steckt hinter dem Jetzt-Gedanken?
Es ist Zeit zu sein –jetzt, jetzt, jetzt…“ singe ich im abschließenden Titelstück von „Ora“. Die Pandemie hat uns in eine musikalische Lethargie versetzt. Plötzlich war alles weg, ich hatte keine Perspektive, habe keinen einzigen Ton gesungen. Doch dann fing ich an, körperlich zu arbeiten: Ich habe in meiner neuen Wohnung Nägel in die Wand geschlagen, Lampen montiert, Regale gebaut. Ich habe gemerkt: Ich muss meinen Körper spüren, muss spüren, dass ich ein Mensch bin in dieser schlimmen Zeit der Isolation. Aus diesem Tasten und Tun erwächst ein Album. Jedes Setting steht für einen Moment, der in meinem Leben einmal wichtig war. Das Werk stellt sich den Herausforderungen der Gegenwart. „Ora“ ein Bekenntnis zum Leben. Zum Mut, ohne Zögern zu lieben.
Die Tradition der Klagelieder ist in vielen südlichen Ländern weit verbreitet. Wie erklären Sie einem Laien deren Existenz?
Etta Scollo: Sizilien hat eine sehr starke Tradition der Klagelieder. Die unterschiedlichen Themen wurden dazu genutzt, um Geschichten zu erzählen, als Zeitungen noch nicht so weit verbreitet waren. Es gab auch Männer, die mit einem Caretto, einer kleinen Karre, durch das Land zogen. Sie waren vorrangig Warenhändler, haben aber auch Nachrichten verbreitet, indem sie mit einer Gitarre Lieder über die aktuellen Ereignisse vortrugen. Oft haben sie dazu auch gemalte Tafeln verwendet, auf denen die Handlung illustriert war. Das sind jedoch nicht die typischen Klagelieder, sondern Cantohistorien. Richtige Klagelieder sind für spezielle Situationen geschrieben worden. Wenn jemand verstorben war, holten die Angehörigen Frauen, die den Verlust beklagten. Diese Klageweiber entwickeln spezielle Gesänge nach einer vorgegebenen, überlieferten Art und Weise.
Was macht sizilianische Musik für Sie aus?
Etta Scollo: Die Musik von Sizilien wurde im Laufe der Zeit von mehreren Kulturen beeinflusst – zum Beispiel vom griechischen und arabischen Raum. Im Mittelalter war Palermo eine Stadt mit 300 Moscheen. Als Friedrich der II, der deutsche König, sie eroberte, veränderte sich das wieder. Alle Kulturen haben stark miteinander interagiert. Es gab auch französische und spanische Einflüsse. Auf Sizilien gibt es Orte, wo ein französischer Dialekt gesprochen wird. Und so ist auch die Musik: Alle diese Elemente sind erkennbar in der Art, wie sich die Melodien strukturieren. Das Material, das überliefert wurde, besteht meistens aus einer Gitarre und einer Stimme, oft auch nur aus einer Stimme, oder aus einer Maultrommel und einer Stimme. Manchmal finden sich Besetzungen aus Geige, Cello, Mandoline. Das war ca. Anfang des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit bestanden viele Berührungspunkte zwischen der romantisch-klassischen Musik und der Folkmusik. Das Alles macht einen besonderen Klang aus.
Bei all der Vielfalt, hat ein Instrument besonders ihr Herz erobert?
Etta Scollo: Ja, die Harfe. In zwei Liedern setzen wir sie ein. Ich hätte zuvor nie gedacht, dass ich eine Harfe lieben würde, denn ich habe sie immer mit etwas engelhaft-süßem, sehr kitschigem verbunden. Björk ist einige der wenigen Musikerinnen, die sie zum Beispiel im Popbereich genutzt hat. Es kommt immer darauf an, wie ein Instrument verwendet wird. Ich war selber überrascht, dass ich ein Gefängnislied mit einer Harfe singe.
Natürlich haben Sie in Bruckmühl auch ihr beliebtes „Canta Ro` im Gepäck. Was hat es damit auf sich Frau Scollo?
Darin lasse ich die vergessenen Volkslieder der Rosa Balistreri wieder aufleben – im Trio in reduzierter Form und dadurch noch purer und unter die Haut gehender. Durch den Einsatz von Gitarre, Akkordeon, Mandoline, Flöte, Klarinette, Trompete, Posaune, Tuba, Percussioninstrumenten, Harfe, Laute, Fiedel, Harmonikum und Maultrommeln entsteht ein besonderer Klangkörper. Sehnsuchtsvolle, ausdrucksstarke und temperamentvolle Lieder werde ich in Bruckmühl darbieten und zugleich einen Einblick in die sizilianische Kultur und Geschichte geben
Zur Person:
Etta Scollo ist Sängerin, Komponistin und Musikproduzentin. Sie wurde im Mai 1958 in Sizilien geboren, hat eine Schwester und zwei Brüder, keine Kinder und pendelt zwischen Berlin und Catania. Nach einem Studium der Kunst und Architektur in Turin (ab 1980), das sie abbrach, und einer Ausbildung in Gesang und Tanz am Konservatorium Wien (ab 1983) gewann sie den ersten Preis beim Diano Marina Jazzfestival. Anschließend arbeitete Etta Scollo mit den Bluesmusikern Eddie Lockjaw Davis, Memphis Slim, Joachim Palden und Champion Jack Dupree zusammen. 1988 landete sie mit einer italienischen Coverversion des Beatles-Songs Oh, Darling! einen Nummer-eins-Hit in Österreich. Etta Scollo ist es ein Anliegen geworden, Musik mit Literatur und Dichtung zu verbinden.
Karten für das Konzert am 21. Oktober in der Bruckmühler Kulturmühle, Bahnhofstraße 10, gibt es in der Bücherei Bruckmühl oder online direkt bei München Ticket sowie an allen amtlichen Vorverkaufsstellen.
Interview: Johann Baumann – Foto: Giulia Bersani