In diesen Tagen jährt sich die erste Entdeckung eines Asteroiden zum 220. Mal. In der Nacht vom 1. auf den 2. Januar 1801 fiel Giuseppe Piazzi, dem Leiter der Sternwarte von Palermo, an der Schulter des „Stiers“ im gleichnamigen Sternbild ein ‚Stern‘ auf, dessen Position sich von Nacht zu Nacht änderte. Er hatte Ceres entdeckt, den größten Körper im weiten Raum zwischen den Planeten Mars und Jupiter. Ceres, inzwischen zu einem Zwergplaneten ‚befördert‘, war nach dem Asteroiden Vesta zwischen 2015 und 2018 das zweite Ziel der NASA-Mission Dawn. Auf den Ceres-Bildern der deutschen Kamera an Bord des Orbiters und in den Spektralmessungen fielen einige Stellen durch eine ungewöhnliche Blaufärbung auf, deren Ursprung bis heute rätselhaft blieb. Laborexperimente eines Teams um den DLR-Planetenforscher Stefan Schröder dürften das Rätsel nun gelöst haben: Einschläge in der jüngeren Vergangenheit haben mit Eis gemischtes Material an die Oberfläche befördert. Anschließend sublimierte das in der Kristallstruktur von darin enthaltenen Tonmineralen eingelagerte Wassereis. Zurück blieb ein feinporöser Staub, der aufgrund seiner ’schaumigen‘ Struktur das Sonnenlicht bläulich reflektiert.
„Ceres hat keine Atmosphäre, deshalb ist Wassereis an der Oberfläche nicht stabil und sublimiert rasch, geht also direkt von der festen Phase in die gasförmige über“, erläutert Dr. Stefan Schröder vom DLR-Institut für Planetenforschung. „Im Labor konnten wir jetzt simulieren, was passiert, wenn Wassereis, das beispielsweise durch Einschläge auf Ceres zunächst in die Kristallstruktur von ganz bestimmten Mineralen eingebaut und an die Oberfläche verfrachtet wurde, von dort ins All entweicht. Zurück bleibt auf Ceres eine feinporöse, fast schaumige Staubschicht, die für die bläulich schimmernden Flächen an einigen jungen Einschlagskratern verantwortlich ist.“ Zu diesem Ergebnis kamen Schröder und seine Kollegen von der Universität Grenoble und dem Institut für Astrophysik und Planetologie in Rom mit einem Experiment. Dafür beobachteten sie im Labor unter Vakuumbedingungen und Temperaturen wie im äußeren Asteroidengürtel über den Zeitraum von knapp einer Woche wassereishaltiges Material, das jenem an den auffallend ‚blauen‘ Stellen von Ceres entspricht. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in der heutigen Ausgabe von Nature Communications.
Helle, ‚blaue‘ Flecken auf Ceres stellten die Forscher vor ein Rätsel
Der knapp tausend Kilometer große, fast kugelförmige Zwergplanet Ceres umrundet die Sonne in Entfernungen zwischen 382 und 445 Millionen Kilometer auf einer elliptischen Umlaufbahn nahe dem äußeren Rand des Asteroidengürtels. Im Gegensatz zu den weiter innen kreisenden, fast ausschließlich ‚felsigen‘ Asteroiden enthalten die Kleinkörper am äußeren Rand des Asteroidengürtels einen signifikanten Anteil an Wassereis. In der Kruste von Ceres könnten beträchtliche Anteile davon gespeichert sein, die Schätzungen reichen von einem Zehntel bis zur Hälfte des Volumens. Eis könnte also bereits wenige Meter unter der Oberfläche anzutreffen sein.
Äußerlich unterscheidet sich Ceres nicht wesentlich von anderen kraterübersäten Körpern. Sein Antlitz ähnelt der Rückseite des Mondes oder dem zahlreicher eisiger Trabanten von Jupiter oder Saturn. Schon aus diesem Grund waren zum einen außergewöhnlich helle, das Sonnenlicht stark reflektierende Flächen in jungen Impaktkratern sowie blaue Flächen in deren Umgebung seit Ankunft der Dawn-Raumsonde eines der am meisten diskutierten Phänomene auf Ceres. Helle Flächen wie beispielsweise im Krater Occator rühren von Mineralsalzen her. Diese Erklärung greift jedoch nicht bei den blauen Flächen. Auffallend ‚blaue‘ Spektren zeigte zum Beispiel ein mehrere tausend Quadratkilometer großes Gebiet am vermutlich nur zwei Millionen Jahre jungen Krater Haulani. Ganz offensichtlich führt jeder Impakt eines Körpers auf die Oberfläche von Ceres zu einem Aufschmelzen von Eis in der Kruste und einem Durchmischen mit den Mineralen im Regolith, der Staubschicht an der Oberfläche des Körpers.
Dawn-Spektralmessungen aus der Umlaufbahn haben gezeigt, dass an diesen Stellen sogenannte Schicht- oder Phyllosilikate (von phyllos, griechisch für Blatt) als wesentliche gesteinsbildende Minerale vorhanden sein müssten. Auch Salze dürften in wässrigen Lösungen aus geschmolzenem Eis nach oben gedrungen sein. Schichtsilikate sind auf der Erde als Glimmer weit verbreitet, schwarzer Biotit oder hell schimmernder Muskovit in Granitgestein zum Beispiel. Bei der Verwitterung von Basalt, dem häufigsten vulkanischen Gestein, entstehen im Kontakt mit Wasser Tonminerale, wie etwa die Phyllosilikatgruppe der Smektite (das Mineral Montmorillonit ist ein etwas bekannterer Vertreter). Solche Schichtsilikate haben die Eigenschaft, dass sie durch die in ihnen enthaltene Wassermoleküle quellen können, also ihr Volumen größer wird – das war der Ansatz für das Laborexperiment der Planetenforscher.
Von grau zu blau – verdampftes Wasser verändert Mineralstruktur
In einen Probenbehälter füllten sie ein Smektit-Präparat, das chemisch-mineralogisch und hinsichtlich seiner spektralen Eigenschaften (Farbe, Helligkeit) dem Material auf der Oberfläche von Ceres sehr ähnlich ist. Beim Experiment wurde die Probe im Labor des Instituts für Planetologie und Astrophysik der Universität Grenoble für 133 Stunden einem Hochvakuum und tiefen Temperaturen von minus 100 Grad Celsius wie bei Ceres ausgesetzt. Wie erwartet sublimierte das Wassereis und entwich aus der Probe. Die Feinstruktur der Schichtsilikate aber blieb erhalten und dabei blieb ein skelettartiges, porenreiches Restsubstrat zurück. Wegen der mikroskopisch kleinen Hohlräume vergrößerte sich das Volumen der blasigen, fast schaumartigen Struktur der Mineralprobe sogar ganz erheblich. Und dabei veränderten sich auch dessen spektrale Eigenschaften: Das zuvor mehr oder weniger kontinuierliche Spektrum, das dem ‚weißen‘ Sonnenlicht mit seinen Blau-, Grün- und Rotanteilen bis ins nahe Infrarot (Wärmestrahlung) entsprach, zeigte nun deutliche Reflexionen der blauen Lichtanteile.
„Das ist vergleichbar mit dem Phänomen, dass uns der Himmel auf der Erde blau erscheint“, erklärt Stefan Schröder. „Das vergleichsweiße langwellige Sonnenlicht wird an den winzigen Molekülen der Erdatmosphäre in Abhängigkeit von der Wellenlänge mehr oder weniger stark gestreut. Die höherfrequenten Anteile des Lichts, die blauen Wellenlängen, werden stärker gestreut, als die niederfrequenteren Anteile des Lichts, die grünen und roten Wellenlängen. Als Folge davon erscheint uns der Himmel blau. Ganz ähnlich findet dieser Effekt, auch ‚Rayleigh-Streuung‘ genannt, an den Hohlräumen der Schichtsilikate auf Ceres statt, aus denen das Wasser entwichen ist.“ Die Substanz reflektierte etwa 40 Prozent mehr Licht, was die auffallende Helligkeit dieser Flächen auf Ceres erklärt, außerdem ist der Anteil von blauem Licht deutlich höher. „Vermutlich sind es vor allem die winzigen Hohlräume und die weniger als einen Mikrometer großen Filamente, durch die sie miteinander verbunden sind, die eine Rayleigh-Streuung ermöglichen und wir deshalb mehr Anteile des energiereicheren blauen Lichts reflektiert sehen“, so Schröder.
Die Gebiete mit einem erhöhtem Anteil an reflektierten blauen Anteilen des Lichts auf Ceres sind nicht so hell wie die weißen Flächen, deren Ursprung auf das Empordringen von Mineralsalzen in Wasser-Eis-Gemischen, sogenannten ‚Solen‘ zurückgeht. Das Experiment der Wissenschaftler mit der Simulation von Sublimationsvorgängen im Oberflächenmaterial an jungen Kratern auf Ceres hat gezeigt, dass das Verdampfen von Wasser aus Tonmineralen mikroskopisch der Mechanismus ist, der die winzige Strukturen im Regolith erzeugt, die ursächlich für die Blaufärbung sind: An den im Vergleich zur Wellenlänge des sichtbaren Lichts und dem nahen Infrarot sehr viel kleineren Hohlräumen und ihrer Verbindungen führt der Rayleigh-Effekt zur Blaufärbung des Mineralstaubs.
Bericht und Fotos: Deutsches Luft- und Raumfahrtzentrum
Layout: Egon Lippert (www.lippert-egon.de)