Das aktuelle Corona-Tagebuch von Karl Stankiewitz: Hurra, ich bin dran. „Sie können jetzt Ihre Termine zur Corona-Impfung vereinbaren,“ teilt das Impfzentrum München per E-Mail mit. Erst klappt es gar nicht, denn ich soll einen Code eingeben; den hat man mir ins Smartphone gesendet, das aber seit Dezember in Reparatur ist und nicht ausgeliefert werden darf. Als ich alternativ die Mobilnummer meiner Enkelin online melde, bekomme ich den ersten Termin schon zum nächsten Tag, 16.15 Uhr. Bestimmte Dokumente soll man mitbringen und pünktlich soll man sein, denn „wegen der sehr kurzen Haltbarkeit nach Auftauen wird der Impfstoff bei kurzfristiger Absage oder Nichterscheinen möglicherweise verfallen“.
Das Impfzentrum ist die große Halle C, weit draußen in der Messestadt. Sie war letztmals vor einem Jahr genutzt worden: mit der Messe „free“, die für weltweiten Tourismus warb. Am Eingang deutet sich Chaos an: Pausenlos kommen Menschen zu Fuß, mit Rollator, auf Rollstühlen, die hier auch verliehen werden. Sie suchen rum. Sitzgelegenheiten werden angeboten. Privatautos, Pendelbusse, Sanitätswagen fahren vor. Die meisten Impfterminierten gehören der zeitlich bevorzugten Gruppe der über 80-Jährigen an. Doch auch Jüngere reihen sich in die Schlange; sie sind Betreuer der Alten oder frei tätige Angehörige von Rettungs- und Pflegediensten. Einige Witzige versuchen (vergeblich), auch ohne Termin an die rettende Spritze zu gelangen.
Die uniformierten Helfer, knapp hundert sollen es insgesamt sein, lassen die Wartenden im Viertelstundentakt in die Halle. Sie alle sind erfüllt von Höflichkeit und Hilfsbereitschaft. Einer verrät mir: „Heute ist der erste Tag im Vollbetrieb.“ Dieser Betrieb läuft ab jetzt wie am Schnürchen, ist ja lange und mit bayerisch-deutscher Gründlichkeit vorbereitet worden. Etwa 1600 Leute sollen in den acht Stunden am Samstag geimpft werden. Noch ein paar Infoschalter, Sperren, Fragen, Auskünfte, fast wie früher auf dem Flughafen, der jetzt so leer ist. Ich lande in Koje C 13, werde von einer Ärztin und einem Sanitäter freundlich begrüsst und nochmal ein bisschen nach Vorerkrankungen befragt. Als ich melde, dass ich vor vielen Jahren in der Wüste von Arizona über Nacht eine schwere allergische Reaktion bekommen hatte, die mich ins Krankenhaus von Phönix zwang, sagt die Ärztin, es sei nicht auszuschließen, dass gleich nach der Impfung ein anaphylaktischee Schock aufträte. Doch im Ruheraum, wo ich wie alle anderen frisch Geimpften noch eine halbe Stunde sitzen muss, löst sich der Schock in Nichts auf. Neben mir scherzt ein 95-Jähriger: „Jetz werd i glei no älter.“ Die Stimmung lockert sich.
Daheim empfängt mich die frohe Botschaft eines Reiseveranstalters: „Ob ein Badeurlaub in Kroatien, eine Mittelmeerkreuzfahrt oder bereits Vorfreude auf Silvester – für jeden Geschmack ist etwas dabei.“ Das Leben geht weiter, vielleicht bald wieder so normal wie gehabt. Und dann kommen im Fernsehen auch noch die Franken mit ihrer unverwüstlichen Fastnachts-Show in Veitshöchheim. Allerdings: Das kostümierte Publikum besteht aus ein paar Statisten im Sicherheitsabstand, die sonst so gern angepflaumten Politiker aus Pappköpfen und der Tusch kommt aus der „Duschmaschin“. Aber die Witze, Songs und Elegien zum Thema Corona sind erste Ware. In Altbayern hingegen nähert sich der Fasching eher verhalten und geräuschlos. Eigentlich müsste es jetzt hoch hergehen. Nach Starkbierzeit und Wiesn entfällt nun auch diese Gaudi, die den Corona-Gefangenen ein Ventil.hätte bieten können. Ganz will die offizielle „Narrhalla“ aber doch nicht verzichten, sie hat einfach, wie so viele Kulturträger, auf Online umgeschaltet: Die meisten der planmäßigen Veranstaltungen, von der Inthronisation des Prinzenpaares bis zum „Schlagerfasching“ am „Unsinnigen Donnerstag“, wurden und werden per Live Streaming dargeboten, natürlich ohne eigentliches Publikum. Und einige „verdiente“ Mitbürger sowie 2000 Seniorinnen und Senioren bekommen einen vom Karikaturisten Dieter Hanitzsch entworfenen Orden mit maskiertem Münchner Kindl.Dabei ist Münchens Faschingsgeschichte doch eng mit dem Seuchengeschehen verbunden. Die Legende führt nämlich den alle sieben Jahre fälligen Schäfflertanz auf die Pest zurück. Im Jahr 1517 soll der „Schwarze Tod“ dermaßen gewütet haben, dass die meisten Ratsleute aus der Stadt geflohen seien und die meisten Bürger in ihren Häusern blieben, was eine gewaltige Hungersnot zur Folge gehabt haben soll. Als die Seuche endlich abflaute, habe ein mutiger Mann aus der Zunft der Schäffler seine Wohnung im Färbergraben verlassen und Kollegen animiert, die Bürger durch Musik und lustiges Spiel aufzuheitern. Leider tanzen die Schäffler heuer nicht.
Bericht: Karl Stankiewitz – Fotos: Thomas Stankiewitz