Vom Leben einer türkischen Familie mit der Willkür der Staatsmacht in den 80er Jahren und ihrer Emigration nach Deutschland.
Das türkische Ehepaar Selim und Hülya Kutlosoy emigriert 1983 nach Berlin, wo die Tochter Nihay auf die Welt kommt. Etwas später bekommen sie noch Sohn Emre. Als Selim jung ist, lebt er in Izmir, ist marxistisch-leninistisch orientiert und vertreibt verbotene Literatur. Hülya demonstriert für Frauenrechte. Selim und Hülya glauben an eine Zukunft in der Türkei und engagieren sich dafür mit Enthusiasmus, aber Polizei und Militär greifen hart durch, Parteien und Gewerkschaften werden verboten, Tausende Menschen verhaftet, gefoltert oder umgebracht. Enttäuscht emigrieren die Kutlosoys nach Berlin. Von dort verfolgt die Familie die Ereignisse in der Türkei in der Hoffnung, wieder zurückkehren zu können. Nach den massiven Demonstrationen 2013 auf dem Taksim-Platz für Freiheit und gegen eine Politik der Stadterneuerung, die sich v.a. gegen Baudenkmale des Kemalismus und der Verwestlichung richtet, fasst die sechzehnjährige Nilay gegen den Willen der Eltern den Entschluss, wieder nach Istanbul zu gehen, um einen Beitrag zu einer neuen, besseren Türkei zu leisten und Teil der Revolution gegen Machthaber Erdo?an sein. Bruder Emre versucht es ihr auszureden: „Du bist einfach nicht von da, Nilay, du bist von hier.“
Die in Berlin geborene Özge Inan schreibt in ihrem Debütroman über den Traum vom Leben in der Freiheit. Der Roman spielt in Rückblenden weitgehend in den 1980er Jahren in Izmir. Die Autorin erzählt lebendig und mit großem Einfühlungsvermögen vom individuellen Erleben der Protagonisten, die historischen Hintergründe werden leider nicht näher erläutert. Ein Stück Zeitgeschichte, das berührt und ein wenig teilhaben lässt an den Hoffnungen und Ängsten der Menschen in der Türkei.
Buchprofile Rezension Günther Freund
Inan Özge, Natürlich kann man hier nicht leben, PIPER 2023, 240 S., 24,00 €
ISBN/EAN: 9783492071680