Über gesellschaftliche Vielfalt, das Leben zwischen zwei Welten und den Umgang mit Schuld und dem Bösen.
Die österreichisch-polnische Psychologin Mania, ihr Kindheitsfreund Tomek und ihre beste Freundin Ruth leben in Wien. Als Mania sich als Gefängnispsychologin in Berlin bewirbt, hat Ruth keinVerständnis dafür. Mania bekommt die Stelle an der JVA Moabit, zieht nachBerlin und betreut dort Roland K., einen verurteilten Sexualstraftäter. Tomek, der noch unter den Spuren eines in der Kindheit erlittenen sexuellen Missbrauchs leidet, hat schon vor über einem Jahr den aus Syrien geflüchteten Zahit in seiner Wohnung aufgenommen. Zahit, der das Trauma, das die Ereignisse im Krieg in Syrien und auf der dramatischen Flucht verursacht hat, immer noch nicht überwunden hat, weiß nichts anzufangen mit sich in Wien. Er hat keine Papiere, keine Arbeit, lebt in ständiger Angst vor einer Ausweisung und vertreibt sich die Zeit mit Surfen im Internet und gelegentlichen Party-Besuchen, die er nie ohne eine Frau verläßt. Kontakt zu seiner Mutter in Schweden und seinem Bruder in Aleppo hält er über Skypen. Nur Tomek und dessen Labradorhündin Sue bewahren ihn davor, vollständig in Depression zu verfallen. Tomek aber hat noch ein anderes Problem, denn seine psychopathische Freundin Marina spricht ständig von Selbstmord. Als Tomek und Marina plötzlich spurlos verschwinden, nimmt Mania sofort den Zug nach Wien und findet in Tomeks Wohnung Notizen, die darauf hinweisen, daß er mit Marina nach Warschau gefahren ist. Die drei Freunde brechen von Wien nach Warschau auf, um ihren gemeinsamen Freund zu suchen. Zahit ist dabei, weil er nicht alleine in Wien zurückbleiben will, Ruth weil sie als professionelle Hackerin dazu in der Lage ist, Tomeks Smartphone zu tracken und auszulesen. Unterwegs bekommt Mania die Nachricht, daß Roland K. , mit dem sie weit mehr als die wöchentlichen Therapiestunden in der JVA Moabit verbindet, Selbstmord begangen hat. Mania fühlt sich schuldig, ihrem Patienten nicht genug geholfen zu haben.
Kaśka Bryla, in Wien und Warschau aufgewachsene Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, widmet sich in ihrem Romandebüt „Roter Affe” den Themen Freundschaft, Missbrauch, Depressionen, posttraumatische Ängste, Suizid und Migration. Daneben setzt sie sich mit der Frage was ist Schuld, was ist Gut, was ist Böse auseinander, sowie mit dem Leben in einer Welt, in der gesellschaftliche Vielfalt normal ist. Die Autorin beeindruckt mit ruhiger, intensiver Sprache, frei von Pathos. Der Roman ist allerdings keine leichte Kost und empfiehlt sich daher nur für entsprechend interessierte Freunde literarischer Romane der Gegenwart.
Buchprofile-Rezension von Günther Freund
Kaska Bryla, Roter Affe
RESIDENZ, 2020, 233 S., 22,00 €
ISBN/EAN: 9783701717323