Der Ich-Erzähler, Präsident a.D. der Geographischen Gesellschaft, lässt im Jahr 1933 in seinen Erinnerungen sowohl sein eigenes Leben als auch die Expeditionen des berühmten italienischen Afrikaforschers Vittorio Bottego aus den Jahren 1892 bis 1897 Revue passieren.
Der mutige Offizier unternahm mehrere Expeditionen zur geographischen Erforschung des Kaiserreichs Abessinien, der einzigen afrikanischen Nation, die sich im 19. Jh. erfolgreich der europäischen Kolonialisierung Afrikas widersetzte und ihre Unabhängigkeit bewahren konnte. Hintergrund war der Aufbau eines Imperiums in Ostafrika im Interesse des italienischen Kolonialismus. Auf seinen abenteuerlichen Streifzügen durch Gebiete, die noch kein Weißer erforscht hatte, entdeckte der Eroberer, dessen Motto „zerstören oder zerstört werden“ lautete, die in Äthiopien entspringenden Flüsse Juba und Omo. Dabei nahm er keine Rücksicht auf Menschenleben und brannte in seiner Gier nach Elfenbein, Gold und anderen Schätzen ganze Dörfer nieder. Gnadenlos trieb er seine aus Einheimischen bestehenden Expeditionskarawanen voran, plünderte das Land brutal aus und erbeutete tonnenweise Elfenbein, bis er 1897 in der Schlacht von Daga Roba fiel.
In seinem neuen Roman verbindet der in Eritrea geborene Gianfranco Calligarich, ein ausgezeichneter Kenner der Geschichte des italienischen Kolonialismus, auf bemerkenswerte Weise die historische Geschichte eines Afrikaforschers mit der damaligen politischen Rolle Italiens in Äthiopien. Eritrea war von 1890 bis 1941 italienische Kolonie. Der Autor erzählt flüssig, gut lesbar und authentisch von der Mentalität der Kolonialisten, von der Gier nach Reichtum und der Gefährlichkeit der Macht. Ein beeindruckender Roman, der durch die Unmittelbarkeit des Erlebten fesselt, sehr empfohlen für Leser und Leserinnen zeitgeschichtlicher Stoffe.
Buchprofile-Rezension von Günther Freund
Gianfranco Calligarich „Wie ein wilder Gott“ , Paul Zsolnay Verlag (2024), 203 Seiten, ca. 24,00 €
ISBN 978-3-552-07510-8