Kultur

Buchtipp: Gerhard Jäger, Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod

Veröffentlicht von Günther Freund

Ein Buch, das in einem abgelegenen Tiroler Bergdorf im historischen Winter 1950/51 spielt, in dem fast 300 Menschen in den Alpen von Lawinen in den Tod gerissen wurden – gerade jetzt nach einem der schneereichsten Winter des Jahrhunderts brandaktuell.

Ein Roman um Liebe, Aberglaube, Hexen und einen Historiker, der in der Vergangenheit wühlt.

Im Herbst vor dem historischen Winter 1950/51, in dem fast 300 Menschen in den Alpen von Lawinen in den Tod gerissen werden, kommt der frisch promovierte Wiener Historiker Max Schreiber in ein Tiroler Bergdorf, angeblich um ungestört den Winter über an einem Buch zu arbeiten. Tatsächlich ist sein Hauptbeweggrund, der ihn in das abgelegene Bergdorf führt, der alten Geschichte um eine mysteriöse Katharina Schwarzmann auf den Grund zu gehen. Angesichts der erdrückenden Berggipfel rund um ihn herum und konfrontiert mit der unzugänglichen Dorfgemeinschaft fühlt sich der Historiker anfangs in dem kleinen Ort ziemlich unwohl. Die Dorfbewohner begegnen ihm bei seinen Spaziergängen durch das Dorf mit neugierigen Blicken, aber einer seltsamen Befangenheit. Die Wirtin im Dorfwirtshaus, in dem er sich auch einquartiert hat, redet nur das Nötigste mit ihm, die anderen Wirtshausbesucher beäugen ihn misstrauisch, wenn er allein an seinem Tisch sitzt und sein Bier trinkt. Auf seine Fragen erhält er keine Antworten, besonders wenn es um Katharina Schwarzmann geht. Erst als er die Marmelade der Wirtin lobt, begegnet diese ihm endlich freundlicher und als er den Kühbauer-Brüdern beim Holzreißen hilft, erwirbt er sich deren Respekt. Jetzt darf der „Herr Doktor“ im Wirtshaus am Stammtisch sitzen und sogar mit den anderen Kartenspielen. Schreiber macht ausgedehnte Wanderungen, bei denen er auf eine hübsche junge Frau trifft, zu der er sich sofort hingezogen fühlt. Die Sympathie beruht offensichtlich auf Gegenseitigkeit, doch die allein auf dem Lanerhof außerhalb des Dorfes auf einer Anhöhe lebende Frau sagt nichts. Er erfährt, daß sie stumm ist und daß Georg, einer der Kühbauer-Brüder, ein Auge auf sie geworfen hat, von ihr aber abgewiesen wird. Als Georg Kühbauer merkt, daß auch Schreiber sich für die Stumme interessiert, wird er diesem gegenüber immer feindseliger und irgendwann wird er sogar gewalttätig gegen den Historiker. In der folgenden Nacht brennt die Kühbauer-Scheune, in der der Sarg mit dem unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommenen alten Kühbauer gelagert ist. Die Schuld wird Schreiber in die Schuhe geschoben, denn offensichtlich hatte sich Georg Kühbauer wegen der blutigen Auseinandersetzung mit ihm betrunken und deswegen den Brand verursacht. Alle weichen Schreiber jetzt aus, die Wirtin spricht nicht mehr mit ihm. Nur noch mit dem Pfarrer und dem Dorfvorsteher kann er reden. Der Pfarrer rät ihm,sich von der Stummen fern zu halten. Doch auch das hält Schreiber nicht davon ab, diese auf dem Lanerhof aufzusuchen, was ihm erst recht von allen Seiten böse Blicke einbringt. Schreiber fühlt sich mehr und mehr isoliert, an Silvester sitzt er allein in seinem Zimmer, während in der Gaststube darunter lautstark gefeiert wird. Dann wird das Dorf eingeschneit und von der Umwelt abgeschnitten, Lawinen verschütten mehrere Häuser, es gibt viele Tote. Schreiber ist verzweifelt und als es auch noch einen Mord gibt, spitzt sich die Situation für ihn dramatisch zu. Er wird verdächtigt, verschwindet spurlos, nur sein Manuskript bleibt zurück. Mehr als 50 Jahre später fliegt ein achtzigjähriger vor vielen Jahren aus Österreich in die USA ausgewanderter Antiquar nach Innsbruck. Im Innsbrucker Landesarchiv forscht er Tag für Tag in historischen Unterlagen, weil er endlich die Wahrheit über seinen Cousin Schreiber und dessen angeblichen Mord wissen will. Seine Spurensuche in der Vergangenheit beginnt mit dem Manuskript seines Cousins und endet mit einem Ausflug in das abgelegene Bergdorf, wo sich allmählich die Nebel lichten und eine tragische Lebensgeschichte deutlich wird .

Der österreichische Schriftsteller Gerhard Jäger entspinnt in dem ersten von ihm veröffentlichten Buch mit großem Einfühlungsvermögen eine magische Geschichte über die scheinheile Welt der Bergbewohner vor noch gar nicht allzu langen Zeiten. Der Autor versteht es raffiniert und mit bildhafter Sprache Milieu-Beobachtung und spannungsreiche Dramaturgie miteinander zu verbinden und verschafft tiefe Einblicke in das Seelenleben seines Protagonisten und in die harte Realität eines Ortes, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Eine ganz besondere Art Heimat-Roman, der die Enge des Alpendorfes, seine Menschen und deren Glauben sehr gut einfängt.

Gerhard Jäger: Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod

BLESSING, 2016, 400 S.
ISBN/EAN: 9783896675712


Redaktion

Günther Freund

1944 in Bad Reichenhall geboren, Abitur in Bad Reichenhall, nach dem Studium der Geodäsie in München 3 Jahre Referendarzeit in der Vermessungs- und Flurbereinigungsverwaltung mit Staatsexamen, 12 Jahre Amtsleiterstellverteter am Vermessungsamt Freyung, 3 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Zwiesel und 23 Jahre Amtsleiter am Vermessungsamt Freyung (nach Verwaltungsreform mit Vermessungsamt Zwiesel als Aussenstelle). Seit 2009 im Ruhestand, seitdem in Prien am Chiemsee wohnhaft.

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